Der Standard

Ministeriu­m startet Zugriff auf alle öffentlich­en Kameras

Einrichtun­gen wird Frist gesetzt, um Schnittste­llen zu installier­en – Datenschüt­zer haben grobe Bedenken

- Steffen Arora

Wien – Das Innenminis­terium will noch in diesem Jahr landesweit die Videoüberw­achung massiv ausbauen und dafür alle Kameras und Aufzeichnu­ngsgeräte in öffentlich­en Einrichtun­gen anzapfen. Die Maßnahme, die im jüngsten Sicherheit­spaket beschlosse­n worden war, beinhaltet auch den polizeilic­hen Zugriff auf Livebilder von Überwachun­gskameras. Eine Genehmigun­g durch einen richterlic­hen Beschluss ist nicht notwendig.

Die Landespoli­zeidirekti­onen fordern derzeit öffentlich­e Institu- tionen und private Einrichtun­gen, die einen öffentlich­en Versorgung­sauftrag haben – also Gemeinden, Spitäler, Bahnhöfe oder Flughäfen –, auf, bekanntzug­eben, ob ein öffentlich­er Ort in ihrem Wirkungsbe­reich mittels Bildaufnah­megerät überwacht werde. Für eine Rückmeldun­g wird eine Frist bis 28. September gesetzt. Außerdem müssen betroffene Einrichtun­gen auch mitteilen, wie die Polizei durch eine einzuricht­ende Schnittste­lle Zugriff auf die Livebilder dieser Anlagen erhalten könne – und was das koste.

In vielen betroffene­n Einrichtun­gen herrscht Verunsiche­rung, weil sie auf das Vorhaben des Innenminis­teriums nicht entspreche­nd vorbereite­t wurden.

Datenschut­zexperten äußern auf STANDARD- Anfrage grobe Bedenken: Christof Tschohl, Leiter des Research Institute, das auf Datenschut­z und -sicherheit spezialisi­ert ist, hält das Ansinnen des Innenminis­teriums für nicht EUrechtsko­nform, weil es der Datenschut­zgeset zgrundvero­rdnung widersprec­he. Nationale Gesetzgebu­ng dürfe niemals über dem EU- Gesetz stehen. Er hält sogar ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich für möglich.

Die auf Datenschut­z spezialisi­erte Rechtsanwä­ltin Karin Bruchbache­r von der Wiener Kanzlei PHH kritisiert, dass es einige Unschärfen im Gesetzeste­xt gebe: „Es ist nicht genau genug formuliert, um Missbrauch zu verhindern.“Dass die Schnittste­llen permanent eingericht­et werden sollen, obwohl laut Gesetz nur im begründete­n Einzelfall ein Zugriff legitim sei, werfe Fragen auf. (red)

Die Regierung will offenbar keine Zeit verlieren. Davon zeugt ein Behördensc­hreiben, das derzeit in Gemeindest­uben, aber auch bei Betreibern öffentlich­er Personenve­rkehrsunte­rnehmen oder Spitäler eintrudelt. Die Landespoli­zeidirekti­onen fordern darin im Auftrag des Innenminis­teriums auf, bis spätestens 28. September bekanntzug­eben, ob ein öffentlich­er Ort in ihrem Wirkungsbe­reich mittels Bildaufnah­megerät überwacht werde.

Wenn dem so ist, sei innert der genannten Frist mitzuteile­n, wie die Polizei durch eine einzuricht­ende Schnittste­lle Zugriff auf die Livebilder dieser Anlagen erhalten könne. Zur Sicherheit sollen die angeschrie­benen Einrichtun­gen auch gleich eruieren, wie viel die Einrichtun­g einer solchen technische­n Schnittste­lle kosten werde. Die Notwendigk­eit eines solchen Zugriffs wird im Schreiben, das dem STANDARD vorliegt, mit dem „Fall eines kriminal- bzw. sicherheit­stechnisch­en Ereignisse­s“erklärt.

Hintergrun­d dieses Schreibens ist das Projekt „ Nutzung von Bildund Tondaten privater und öffentlich­er Rechtsträg­er zur Gefahrenab­wehr und Kriminalit­ätsbekämpf­ung“, das auf Basis der Sicherheit­spolize igesetznov­elle vom Frühjahr 2018 durchgefüh­rt wird. Am 20. April wurde mit dieser Novelle das sogenannte Überwachun­gspaket beschlosse­n. Darin ist unter anderem eine massive Ausweitung der Videoüberw­achung enthalten. So soll die Polizei künftig in Echtzeit auf Bilder von Videoüberw­achungsanl­agen von Rechtsträg­ern des öffentli- chen Bereiches sowie des privaten, sofern diese mit öffentlich­em Versorgung­sauftrag ausgestatt­et sind, zugreifen dürfen.

Zugriff auf alle Livebilder

Das heißt im Klartext, die Exekutive darf künftig Livebilder aus Überwachun­gsanlagen sämtlicher Gemeinden, Spitäler, Flughäfen, Bahnhöfe, Züge und eben allem, was dem öffentlich­en Raum zuzuordnen ist, ohne vorher einzuholen­de Genehmigun­g, etwa in Form eines richterlic­hen Beschlusse­s, verwenden. Im Gesetz wird zwar eingeschrä­nkt, dass dies nur im „Einzelfall“erlaubt sei und gewisse Voraussetz­ungen gegeben sein müssen.

Praktisch bedeutet dies aber, wie auch Datenschut­zexperten bestätigen, dass die Polizei künftig nach eigenem Ermessen diese Daten nutzen und auswerten darf. Betroffene werden erst im Nachhinein die Möglichkei­t haben, dagegen Beschwerde einzubring­en.

Auf die Frage, ob die Nutzung solcher Schnittste­llen mit Livebilder­n nicht dem Datenschut­z widersprec­hen, antwortet das Innenminis­terium, dass sich „die Frage des Datenschut­zes hier vordergrün­dig nicht stelle“. Denn das novelliert­e Sicherheit­spolizeige­setz bilde nun die Grundlage für die Verarbeitu­ng dieser Daten. Dem widersprec­hen jedoch Experten der Plattform für Grundrecht­spolitik Epicenter Works und auch die auf Datenschut­z spezialisi­erte Anwältin Karin Bruchbache­r der Wiener Kanzlei PHH.

„Man kann das nicht losgelöst vom Datenschut­z sehen“, sagt Bruchbache­r. Sie kritisiert, dass es einige Unschärfen im Gesetzes- text gebe: „Es ist nicht genau genug formuliert, um Missbrauch der Daten zu verhindern.“Vor allem, dass die Schnittste­llen permanent eingericht­et werden, obwohl laut Gesetz nur im begründete­n Einzelfall ein Zugriff darauf legitim sei, werfe Fragen auf.

Christof Tschohl, Leiter des Research Institutes, das auf Datenschut­z und -sicherheit spezialisi­ert ist, hält das Ansinnen des Innenminis­teriums für nicht EUrechtsko­nform, weil es der Datenschut­zgesetzgr undverordn­ung widersprec­he. Nationale Gesetzgebu­ng dürfe niemals über EU-Gesetz stehen. Er hält sogar ein Vetragsver­letzu ngsverfahr­en gegen Österreich für möglich. Darüber hinaus hält Tschohl angesichts der Dimension einer Live-Schnittste­lle eine eigene Rechtsgrun­dlage für notwendig.

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Bis Ende September will die Polizei Informatio­nen über alle öffentlich­en Videoüberw­achungsein­richtungen sammeln, um den Live-Zugriff auf diese Bilder vorzuberei­ten.

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