Viel Verve und wenig Erfolg
E r war die Zukunftshoffnung der SPÖ, charismatisch, unkonventionell, bejubelt. Auch Christian Kern empfand das und sich selbst so: Wo er hinkam, wurde er gefeiert, die Menschen stellten sich für gemeinsame Fotos mit ihm an, stundenlang. Und er mochte das. Auf SPÖ-Terminen wurde ihm gehuldigt. Angesichts des Hypes um seine Person war es für ihn selbst nicht leicht, auf dem Teppich zu bleiben. Aber der Hype hielt nicht lange an. Der junge Sebastian Kurz stahl ihm die Show, wurde erst ÖVP-Chef, dann Kanzler. Das Interesse an Kern, dem roten Wunderwuzzi, erlahmte ein wenig, die Euphorie in der SPÖ ebbte ab.
Es war am 9. Mai 2016, als Werner Faymann ankündigte, sowohl als Bundeskanzler als auch als SPÖ-Chef zurückzutreten. Faymann war zermürbt von den Debatten in der Partei, vom fehlenden Rückhalt, von immer neuen Nachfolgegerüchten. Damals schon war Christian Kern, Chef der ÖBB, als heißester Kandidat im Gespräch, neben Gerhard Zeiler. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl wurde beauftragt, die Geschäfte in der Partei fortzuführen und einen Nachfolger zu finden. Häupl hatte Präferenzen für Zeiler, die Mehrheit in der SPÖ drängte aber auf Kern.
Beim Bundesparteivorstand am 12. Mai 2016 wurde es fixgemacht: Kern folgte auf Faymann, wenige Tage später wurde er von Bundespräsident Heinz Fischer als Bundeskanzler angelobt. Kern baute den roten Teil der Regierungsmannschaft um, sein Partner auf ÖVP-Seite blieb vorläufig noch Reinhold Mitterlehner.
Beim Parteitag im Juni 2016 wurde Kern mit 97 Prozent gewählt, die Partei lag ihm zu Füßen. Ein eloquenter Redner, witzig, intellektuell, selbstkritisch, auch fesch. Die eng geschnittenen Designeranzüge störten niemanden in der einstigen Arbeiterpartei.
Gerechtigkeit für den Würstelstand
Ein Interview im Standard wurde rund um den Globus zitiert. Kern kritisierte im September 2016 den Umstand, dass in Österreich „jeder Würstelstand mehr Steuern als ein globaler Konzern“zahle. Er kämpfte für Steuergerechtigkeit.
Es lief gut für Kern. Er reüssierte in Europa, in Wien gab er einen souveränen Kanz- ler, der vermeintlich auch die ÖVP im Griff hatte. Das Murren dort würde Mitterlehner schon überstehen. Aber um Sebastian Kurz, den eifrigen Außenminister, hatte sich längst ein Team mit einem detaillierten Plan formiert: Kurz for Kanzler. Kern schätzte die Bedrohung noch falsch ein.
Im Jänner 2017 inszenierte Kern in Wels auf einer nach allen Seiten hin offenen Bühne seinen „Plan A“, den er den begeisterten Delegierten nahebrachte. Die ÖVP wertete dies als Wahlkampfauftakt und sabotierte die Regierungsarbeit. Kerns Reaktion: Er stellte dem Koalitionspartner ein Ultimatum, den Plan A als Teil des Regierungsprogramms zu akzeptieren. Die ÖVP gab zwar nach, verschärfte ihrerseits aber den Druck auf Parteichef Mitterlehner. Als dieser schließlich entnervt am 10. Mai 2017 alles hinwarf und seinen Rückzug erklärte, zwang er damit auch seinen innerparteilichen Widersacher Kurz, Farbe zu bekennen. Kurz übernahm die Partei, nicht aber das Vizekanzleramt, und entzog sich so auch dem Zugriff Kerns. Kurz begriff sich nicht als Teil des Teams und forderte schließlich Neuwahlen. Kern wollte nicht wählen, konnte aber nicht anders.
So glamourös und überzeugend der Plan A wenige Wochen zuvor noch gewirkt hatte, im Wahlkampf war damit nicht viel zu holen. Kurz hatte ein Thema, nämlich die Schließung der Mittelmeerroute. Kern tat dies als populistischen „Vollholler“ab, hatte sich aber verrechnet. Das Thema zog.
Pannen, Fehler und Silberstein
Der Wahlkampf der SPÖ war von Pannen und Fehlern gekennzeichnet, Mitarbeiter gingen handgreiflich aufeinander los, der Kampagnenleiter zog sich zurück. Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler war mit der Aufgabe, den Wahlkampf zu managen, offenbar überfordert. Der israelische Berater Tal Silberstein, der für die SPÖ Umfragen auswertete, machte sich mit Dirty Campaigning selbstständig – ein Fiasko. Die SPÖ bekam keinen Fuß auf den Boden. Kurz war mit dem Bekanntwerden seines Antretens in den Umfragen nach oben geschnalzt, dort blieb er auch.
Bei der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 wurde die ÖVP stimmenstärkste Partei. Die SPÖ konnte zwar leicht dazugewinnen, war als Zweite aber aus dem Rennen: Kurz verhandelte mit der FPÖ eine Koalition, die SPÖ ging in Opposition. Kern war damit der Kanzler mit der kürzesten Amtszeit in der Zweiten Republik. Dennoch beharrte er immer wieder darauf, zehn Jahre in der Politik zu bleiben und nicht als SPÖChef zurückzutreten. Bis zum Dienstag.