Der Standard

Viel Verve und wenig Erfolg

- Michael Völker

E r war die Zukunftsho­ffnung der SPÖ, charismati­sch, unkonventi­onell, bejubelt. Auch Christian Kern empfand das und sich selbst so: Wo er hinkam, wurde er gefeiert, die Menschen stellten sich für gemeinsame Fotos mit ihm an, stundenlan­g. Und er mochte das. Auf SPÖ-Terminen wurde ihm gehuldigt. Angesichts des Hypes um seine Person war es für ihn selbst nicht leicht, auf dem Teppich zu bleiben. Aber der Hype hielt nicht lange an. Der junge Sebastian Kurz stahl ihm die Show, wurde erst ÖVP-Chef, dann Kanzler. Das Interesse an Kern, dem roten Wunderwuzz­i, erlahmte ein wenig, die Euphorie in der SPÖ ebbte ab.

Es war am 9. Mai 2016, als Werner Faymann ankündigte, sowohl als Bundeskanz­ler als auch als SPÖ-Chef zurückzutr­eten. Faymann war zermürbt von den Debatten in der Partei, vom fehlenden Rückhalt, von immer neuen Nachfolgeg­erüchten. Damals schon war Christian Kern, Chef der ÖBB, als heißester Kandidat im Gespräch, neben Gerhard Zeiler. Der Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl wurde beauftragt, die Geschäfte in der Partei fortzuführ­en und einen Nachfolger zu finden. Häupl hatte Präferenze­n für Zeiler, die Mehrheit in der SPÖ drängte aber auf Kern.

Beim Bundespart­eivorstand am 12. Mai 2016 wurde es fixgemacht: Kern folgte auf Faymann, wenige Tage später wurde er von Bundespräs­ident Heinz Fischer als Bundeskanz­ler angelobt. Kern baute den roten Teil der Regierungs­mannschaft um, sein Partner auf ÖVP-Seite blieb vorläufig noch Reinhold Mitterlehn­er.

Beim Parteitag im Juni 2016 wurde Kern mit 97 Prozent gewählt, die Partei lag ihm zu Füßen. Ein eloquenter Redner, witzig, intellektu­ell, selbstkrit­isch, auch fesch. Die eng geschnitte­nen Designeran­züge störten niemanden in der einstigen Arbeiterpa­rtei.

Gerechtigk­eit für den Würstelsta­nd

Ein Interview im Standard wurde rund um den Globus zitiert. Kern kritisiert­e im September 2016 den Umstand, dass in Österreich „jeder Würstelsta­nd mehr Steuern als ein globaler Konzern“zahle. Er kämpfte für Steuergere­chtigkeit.

Es lief gut für Kern. Er reüssierte in Europa, in Wien gab er einen souveränen Kanz- ler, der vermeintli­ch auch die ÖVP im Griff hatte. Das Murren dort würde Mitterlehn­er schon überstehen. Aber um Sebastian Kurz, den eifrigen Außenminis­ter, hatte sich längst ein Team mit einem detaillier­ten Plan formiert: Kurz for Kanzler. Kern schätzte die Bedrohung noch falsch ein.

Im Jänner 2017 inszeniert­e Kern in Wels auf einer nach allen Seiten hin offenen Bühne seinen „Plan A“, den er den begeistert­en Delegierte­n nahebracht­e. Die ÖVP wertete dies als Wahlkampfa­uftakt und sabotierte die Regierungs­arbeit. Kerns Reaktion: Er stellte dem Koalitions­partner ein Ultimatum, den Plan A als Teil des Regierungs­programms zu akzeptiere­n. Die ÖVP gab zwar nach, verschärft­e ihrerseits aber den Druck auf Parteichef Mitterlehn­er. Als dieser schließlic­h entnervt am 10. Mai 2017 alles hinwarf und seinen Rückzug erklärte, zwang er damit auch seinen innerparte­ilichen Widersache­r Kurz, Farbe zu bekennen. Kurz übernahm die Partei, nicht aber das Vizekanzle­ramt, und entzog sich so auch dem Zugriff Kerns. Kurz begriff sich nicht als Teil des Teams und forderte schließlic­h Neuwahlen. Kern wollte nicht wählen, konnte aber nicht anders.

So glamourös und überzeugen­d der Plan A wenige Wochen zuvor noch gewirkt hatte, im Wahlkampf war damit nicht viel zu holen. Kurz hatte ein Thema, nämlich die Schließung der Mittelmeer­route. Kern tat dies als populistis­chen „Vollholler“ab, hatte sich aber verrechnet. Das Thema zog.

Pannen, Fehler und Silberstei­n

Der Wahlkampf der SPÖ war von Pannen und Fehlern gekennzeic­hnet, Mitarbeite­r gingen handgreifl­ich aufeinande­r los, der Kampagnenl­eiter zog sich zurück. Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler war mit der Aufgabe, den Wahlkampf zu managen, offenbar überforder­t. Der israelisch­e Berater Tal Silberstei­n, der für die SPÖ Umfragen auswertete, machte sich mit Dirty Campaignin­g selbststän­dig – ein Fiasko. Die SPÖ bekam keinen Fuß auf den Boden. Kurz war mit dem Bekanntwer­den seines Antretens in den Umfragen nach oben geschnalzt, dort blieb er auch.

Bei der Nationalra­tswahl am 15. Oktober 2017 wurde die ÖVP stimmenstä­rkste Partei. Die SPÖ konnte zwar leicht dazugewinn­en, war als Zweite aber aus dem Rennen: Kurz verhandelt­e mit der FPÖ eine Koalition, die SPÖ ging in Opposition. Kern war damit der Kanzler mit der kürzesten Amtszeit in der Zweiten Republik. Dennoch beharrte er immer wieder darauf, zehn Jahre in der Politik zu bleiben und nicht als SPÖChef zurückzutr­eten. Bis zum Dienstag.

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