„Es ist klar, dass es kein Rosinenpicken geben kann“
Beim Salzburger EU-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag soll neben der Migration der Brexit zum Hauptthema werden. Bundeskanzler Sebastian Kurz will dazu einen Sondergipfel im November vorschlagen.
Standard: Sie haben gerade eine Hauptstadttour in Madrid, Berlin, Paris und Rom hinter sich. Was ergibt sich daraus an Erwartungen für den EU-Gipfel von Salzburg? Kurz: Der Streit über die Verteilung der Flüchtlinge, der lange alles dominiert hat, steht nicht mehr im Vordergrund. Fast alle haben eingesehen, dass die Frage der Migration nur an den EU-Außengrenzen gelöst werden kann. Daher gibt es jetzt zu Recht einen Fokus auf die Stärkung der EUGrenzschutzbehörde Frontex und die bessere Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern.
Standard: Das ist im Prinzip alles schon im Juni beschlossen worden. Was ist jetzt neu? Kurz: Im Juni hat eine Veränderung in den Köpfen stattgefunden. Jetzt muss das umgesetzt, konkretisiert werden. Jean-Claude Juncker hat einen Vorschlag gemacht, wie das Mandat von Frontex erweitert wird und wie Rückführungen dadurch auch effektiver werden sollen. Einige Mitgliedstaaten INTERVIEW:
sind da noch etwas skeptisch. Die müssen wir überzeugen.
Standard: Welche Staaten? Kurz: Italien, Spanien, Griechenland. Es braucht eine Verständigung aller, dass wir mit den Transitländern und Herkunftsländern in Kontakt treten müssen, Abkommen schließen müssen.
Standard: Was ist konkret strittig am neuen Mandat von Frontex? Kurz: Es geht den skeptischen Staaten vor allem um ihre Souveränitätsrechte und darum, dass manche Sorge vor einer besseren Registrierung der Migranten haben. Sie dürften nicht wirklich unglücklich darüber sein, dass viele Ankommende unbemerkt nach Mitteleuropa weiterziehen oder weitergewunken werden.
Standard: Man redet immer nur über restriktive Maßnahmen, über Abwehr von Migranten, aber mit einer gemeinsamen Migrations-, Asyl- und Einwanderungspolitik hat das wenig zu tun. Kurz: Der eingeschlagene Weg ist richtig, aber er kann natürlich nur Schritt für Schritt umgesetzt werden. Beginnen muss man an den Außengrenzen. Das müssen wir als Erstes zustande bringen.
Standard: Die EU hat mit der Türkei einen Pakt gemacht, sechs Milliarden Euro aufgewendet, damit Flüchtlinge dort gut versorgt werden. Warum gelingt das im Inneren der Union nicht? Kurz: Das ist überhaupt nicht vergleichbar. Der Türkei-Deal hatte das Ziel, dass Menschen gar nicht erst die Möglichkeit hatten, in Europa einen Asylantrag zu stellen, sondern in der Türkei aufgehalten werden. Das Hauptziel war nicht, der Türkei Flüchtlinge abzunehmen.
Standard: Das zweite große Thema beim Gipfel in Salzburg ist der Brexit. Premierministerin May sagt, es gibt entweder ihren Deal oder keinen. Wie kritisch ist die Lage? Kurz: Solche Zuspitzungen bringen uns nicht weiter. Es kann einen Deal nur geben, wenn es einen Kompromiss gibt, wenn beide Seiten sich bewegen. Wichtig ist, dass wir als EU-27 die Einheit halten und Michel Barnier, unseren Chefverhandler, möglichst unterstützen. Es ist klar, dass es kein Rosinenpicken geben kann. Es braucht aber auch keine Bestrafungsaktionen für Großbritannien. Ich hoffe, dass wir einen harten Brexit ohne Abkommen vermeiden können.
Standard: Ratspräsident Donald Tusk ließ wissen, dass es Mitte November einen Brexit-Sondergipfel geben könnte. Wie sicher ist das? Kurz: Wir werden das den Mitgliedstaaten beim Gipfel in Salzburg vorschlagen, darüber beraten. Ich hoffe, dass es eine Zustimmung zu diesem Vorschlag gibt und es dann gelingt, bis zu diesem Sondergipfel wirklich einen fertigen Deal auszuhandeln. Das wird alles andere als leicht werden.
Standard: Das heißt, Barnier verhandelt so weit wie möglich fertig, und die Staats- und Regierungschefs sollen dann im November die letzten Hürden aus dem Weg räumen? Kurz: Ja. Wobei die große Herausforderung ist, dass es nicht nur einen Deal zwischen Theresa May und den EU-27 geben muss. Dieser muss dann auch noch eine Mehrheit im britischen Parlament bekommen, was eine zusätzliche Belastungsprobe sein wird.
Standard: Es könnte alles also im letzten Moment noch scheitern? Kurz: Das hoffe ich wirklich nicht, aber es ist leider nicht ganz auszuschließen.
Standard: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Brexit über März 2019 hinaus verschoben wird? Kurz: Das ist derzeit kein Thema. Unser Ziel ist es, bis November einen Abschluss zu schaffen.
SEBASTIAN KURZ (32) ist seit 2017 Bundeskanzler in einer Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ. p Langfassung: derStandard.at/EU