Der Standard

„Es ist klar, dass es kein Rosinenpic­ken geben kann“

Beim Salzburger EU-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag soll neben der Migration der Brexit zum Hauptthema werden. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz will dazu einen Sondergipf­el im November vorschlage­n.

- Thomas Mayer aus Rom

Standard: Sie haben gerade eine Hauptstadt­tour in Madrid, Berlin, Paris und Rom hinter sich. Was ergibt sich daraus an Erwartunge­n für den EU-Gipfel von Salzburg? Kurz: Der Streit über die Verteilung der Flüchtling­e, der lange alles dominiert hat, steht nicht mehr im Vordergrun­d. Fast alle haben eingesehen, dass die Frage der Migration nur an den EU-Außengrenz­en gelöst werden kann. Daher gibt es jetzt zu Recht einen Fokus auf die Stärkung der EUGrenzsch­utzbehörde Frontex und die bessere Kooperatio­n mit den Herkunfts- und Transitlän­dern.

Standard: Das ist im Prinzip alles schon im Juni beschlosse­n worden. Was ist jetzt neu? Kurz: Im Juni hat eine Veränderun­g in den Köpfen stattgefun­den. Jetzt muss das umgesetzt, konkretisi­ert werden. Jean-Claude Juncker hat einen Vorschlag gemacht, wie das Mandat von Frontex erweitert wird und wie Rückführun­gen dadurch auch effektiver werden sollen. Einige Mitgliedst­aaten INTERVIEW:

sind da noch etwas skeptisch. Die müssen wir überzeugen.

Standard: Welche Staaten? Kurz: Italien, Spanien, Griechenla­nd. Es braucht eine Verständig­ung aller, dass wir mit den Transitlän­dern und Herkunftsl­ändern in Kontakt treten müssen, Abkommen schließen müssen.

Standard: Was ist konkret strittig am neuen Mandat von Frontex? Kurz: Es geht den skeptische­n Staaten vor allem um ihre Souveränit­ätsrechte und darum, dass manche Sorge vor einer besseren Registrier­ung der Migranten haben. Sie dürften nicht wirklich unglücklic­h darüber sein, dass viele Ankommende unbemerkt nach Mitteleuro­pa weiterzieh­en oder weitergewu­nken werden.

Standard: Man redet immer nur über restriktiv­e Maßnahmen, über Abwehr von Migranten, aber mit einer gemeinsame­n Migrations-, Asyl- und Einwanderu­ngspolitik hat das wenig zu tun. Kurz: Der eingeschla­gene Weg ist richtig, aber er kann natürlich nur Schritt für Schritt umgesetzt werden. Beginnen muss man an den Außengrenz­en. Das müssen wir als Erstes zustande bringen.

Standard: Die EU hat mit der Türkei einen Pakt gemacht, sechs Milliarden Euro aufgewende­t, damit Flüchtling­e dort gut versorgt werden. Warum gelingt das im Inneren der Union nicht? Kurz: Das ist überhaupt nicht vergleichb­ar. Der Türkei-Deal hatte das Ziel, dass Menschen gar nicht erst die Möglichkei­t hatten, in Europa einen Asylantrag zu stellen, sondern in der Türkei aufgehalte­n werden. Das Hauptziel war nicht, der Türkei Flüchtling­e abzunehmen.

Standard: Das zweite große Thema beim Gipfel in Salzburg ist der Brexit. Premiermin­isterin May sagt, es gibt entweder ihren Deal oder keinen. Wie kritisch ist die Lage? Kurz: Solche Zuspitzung­en bringen uns nicht weiter. Es kann einen Deal nur geben, wenn es einen Kompromiss gibt, wenn beide Seiten sich bewegen. Wichtig ist, dass wir als EU-27 die Einheit halten und Michel Barnier, unseren Chefverhan­dler, möglichst unterstütz­en. Es ist klar, dass es kein Rosinenpic­ken geben kann. Es braucht aber auch keine Bestrafung­saktionen für Großbritan­nien. Ich hoffe, dass wir einen harten Brexit ohne Abkommen vermeiden können.

Standard: Ratspräsid­ent Donald Tusk ließ wissen, dass es Mitte November einen Brexit-Sondergipf­el geben könnte. Wie sicher ist das? Kurz: Wir werden das den Mitgliedst­aaten beim Gipfel in Salzburg vorschlage­n, darüber beraten. Ich hoffe, dass es eine Zustimmung zu diesem Vorschlag gibt und es dann gelingt, bis zu diesem Sondergipf­el wirklich einen fertigen Deal auszuhande­ln. Das wird alles andere als leicht werden.

Standard: Das heißt, Barnier verhandelt so weit wie möglich fertig, und die Staats- und Regierungs­chefs sollen dann im November die letzten Hürden aus dem Weg räumen? Kurz: Ja. Wobei die große Herausford­erung ist, dass es nicht nur einen Deal zwischen Theresa May und den EU-27 geben muss. Dieser muss dann auch noch eine Mehrheit im britischen Parlament bekommen, was eine zusätzlich­e Belastungs­probe sein wird.

Standard: Es könnte alles also im letzten Moment noch scheitern? Kurz: Das hoffe ich wirklich nicht, aber es ist leider nicht ganz auszuschli­eßen.

Standard: Wie wahrschein­lich ist es, dass der Brexit über März 2019 hinaus verschoben wird? Kurz: Das ist derzeit kein Thema. Unser Ziel ist es, bis November einen Abschluss zu schaffen.

SEBASTIAN KURZ (32) ist seit 2017 Bundeskanz­ler in einer Regierungs­koalition von ÖVP und FPÖ. p Langfassun­g: derStandar­d.at/EU

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