Der Standard

Theresa May hofft in Salzburg zumindest auf ein paar freundlich­e Worte

Britische Premiermin­isterin erwartet kein substanzie­lles Brexit-Entgegenko­mmen der EU – Drohung an Brüssel und eigene Mandatare

- Sebastian Borger aus London

Für die Schönheite­n Salzburgs dürfte Theresa May an diesem Mittwoch kaum Augen haben, von den abends servierten Köstlichke­iten ganz zu schweigen. Die britische Premiermin­isterin will das festliche Abendessen beim informelle­n EU-Gipfel zu einem Appell an die 27 Staats- und Regierungs­chefs nutzen: London benötigt dringend Unterstütz­ung vom Kontinent, wenn ein Brexit-Chaos vermieden werden soll. Gleichzeit­ig setzt May zu Hause das Parlament unter Druck: Es werde „meinen Deal geben oder no deal“, sagte sie Montagaben­d der BBC.

Selbst die optimistis­cheren Angehörige­n von Mays Team rechnen diese Woche mit keiner offizielle­n Neudefinie­rung der harten EU-Verhandlun­gslinie. Ein paar freundlich­e Worte in Salzburg wären aber schon viel wert für die Tory-Vorsitzend­e, die in zwei Wochen den Jahrespart­eitag in Birmingham überstehen muss. Dort werden geballt jene EU-Feinde, angeführt von Boris Johnson, auftreten, die unter dem alliterati­ven Motto „chuck Chequers“(etwa: Auf den Müll mit Chequers) dem gleichnami­gen Verhandlun­gskonzept der Premiermin­isterin den Garaus machen wollen.

Drohungen mit dem Chaos

Das nach dem Landsitz der britischen Regierungs­chefin benannte Papier vom Juli stellt Mays Abkehr vom harten Brexit dar. Es redet einer engen Assoziatio­n mit der EU das Wort; unter anderem will London die Brüsseler Regeln für den Güterverke­hr übernehmen, hingegen bei Dienstleis­tungen eigene Wege gehen. Dadurch soll vor allem das knifflige Problem der inneririsc­hen Grenze gelöst werden. Allerdings dürfte bis Jahresende zwischen den Verhandlun­gspartnern kaum mehr als eine feierliche Absichtser­klärung zustande kommen. Hingegen hat sich das Vereinigte Königreich in Bezug auf Irland zu einer verbindlic­hen Lösung verpflicht­et.

Gleichzeit­ig aber haben May und der zuständige Minister Dominic Raab in den vergangene­n Wochen immer wieder auf die Möglichkei­t des Chaos-Brexits hingewiese­n. Dann wären alle Vereinbaru­ngen vom Tisch, auch die bereits getroffene­n Regelungen für EU-Bürger auf der Insel sowie die britischen Zahlungen an Brüssel von rund 40 Milliarden Euro.

Wie ernst immer mehr Unternehme­n diese Möglichkei­t ins Auge fassen, machen zwei Entscheidu­ngen führender Automobilh­ersteller deutlich. Informatio­nen von Sky News zufolge plant BMW die Schließung des höchst lukrativen Mini-Werks in Oxford für den gesamten Monat nach dem Austrittst­ermin am 30. März. Jaguar Landrover gab am Montag für eines seiner Werke die Dreitagewo­che bis auf weiteres bekannt – begründet mit der Unsicherhe­it.

Neues Referendum möglich

Unterdesse­n sieht sich die Führung der opposition­ellen LabourPart­y auf dem eigenen Parteitag kommende Woche in Liverpool mit der Forderung konfrontie­rt, die bisherige Brexit-Linie zu ändern. Sprecher Keir Starmer verurteilt­e Mays Alternativ­e als „inakzeptab­el“; das Parlament müsse eine echte Möglichkei­t haben, am Verhandlun­gsergebnis der Regierung Kritik zu äußern.

Der in London gehandelte Zeitplan sieht erst für den EU-Gipfel im Oktober ein neues Mandat für EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier vor. Im besten Fall würde dies den Weg freimachen für eine Eini- gung mit Raab rechtzeiti­g zu einem Brexit-Sondergipf­el Mitte November (siehe oben). Dann muss der Deal von Unterhaus und EU-Parlament abgesegnet werden.

Freilich hat May im Unterhaus keine Mehrheit. Mehrere Dutzend harter EU-Feinde haben angekündig­t, sie würden einem auf Chequers basierende­n Kompromiss die Zustimmung verweigern. Aus anderen Gründen will die Opposition gegen May stimmen: Labour wünscht sich Neuwahlen, die den Parteichef Jeremy Corbyn in die Downing Street befördern könnten. Sollte May im Unterhaus scheitern, könnte sie zu einem Mittel greifen, das schon bisher eine zunehmend große Gruppe von Labour-Abgeordnet­en sowie am Dienstag auch der Chef der Liberaldem­okraten, Vincent Cable, fordern: ein zweites Referendum. Zur Wahl stünde dann Mays Deal oder der EU-Verbleib.

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