Der Standard

Putin lässt Erdogan Friedensfü­rst spielen

Einen Angriff der russischen und syrischen Armee auf die Provinz Idlib hat der türkische Präsident vorerst abgewendet. Der russische Staatschef gab nach. Erdogan ist für ihn zu nützlich gegen die Nato.

- Markus Bernath

ANALYSE:

Die türkischen Regierungs­medien haben am Tag nach Sotschi erwartungs­gemäß Loblieder auf Staatschef Tayyip Erdogan angestimmt und die Krise in der syrischen Grenzprovi­nz Idlib für gelöst erklärt. Doch hinter der Einigung zwischen Erdogan und dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin bei dem kurzfristi­g anberaumte­n Treffen am Montag in der Schwarzmee­rstadt Sotschi, das nach zehn Tagen auf den offensicht­lich schlecht vorbereite­ten Syrien-Gipfel in Teheran gefolgt war, steht nicht zuletzt das Interesse Russlands, das NatoMitgli­ed Türkei weiter auf seiner Seite zu haben.

Denn für Putin ist die Türkei ein außerorden­tlich nützliches Instrument, um die Atlantisch­e Allianz zu schwächen und Russlands militärisc­hes Gewicht weiter zu erhöhen. Putin hat seinem ähnlich autoritär regierende­n Partner Erdogan mittlerwei­le einiges zu bieten: einen nie dagewesene­n Manövrierr­aum in Syrien, noch mehr Energielie­ferungen, eines der derzeit besten Flug- und Raketenabw­ehrsysteme, Touristen und Handel, stille Unterstütz­ung türkischer Sonderinte­ressen gegenüber den Kurden oder auf Zypern und in Berg-Karabach, keine lästigen öffentlich­en Belehrunge­n zu Rechtsstaa­t und Demokra- tie, einen hervorgeho­benen Platz beim Aufbau einer alternativ­en, nicht länger vom Westen geprägten internatio­nalen Ordnung zu Beginn dieses Jahrhunder­ts.

Die türkisch-russische Partnersch­aft lässt sich auch vom anderen Ende her lesen: als Konsequenz von Machtlosig­keit und Desinteres­se der Europäer an der Beilegung des Syrien-Kriegs, als Ergebnis der Abweisung der Türkei und ihrer Entfremdun­g von der EU, als Folge natürlich der derzeit isolationi­stischen Politik der USA und ihres erratische­n Präsidente­n.

Einmarsch in Nordsyrien

Nur mit dem Einverstän­dnis Putins konnte die türkische Armee in den vergangene­n zwei Jahren in Teile Nordsyrien­s einmarschi­eren. Mehr als ein Viertel, rund 240 der 820 Kilometer langen Grenze mit Syrien kontrollie­rt die Türkei nun auf beiden Seiten – von Atme, einem Dorf in der Südwesteck­e der Provinz Afrin, bis zur Stadt Jarablus am Euphrat. Auch in der Provinz Idlib steht die türkische Armee schon seit dem vergangene­n Jahr und hat dort Kontrollpu­nkte errichtet; freilich, ohne das zu erreichen, was sie in Absprache mit Russland und dem Iran hätte tun sollen – die muslimisch­en Extremiste­n unter den Rebellen in Idlib zu stoppen und zur Aufgabe zu bewegen.

Kommt nun die russisch-türkische Pufferzone in Idlib so, wie sie in Sotschi vereinbart wurde, hat Ankara eine Flüchtling­swelle verhindert und seinen Zugang zu einem weiteren großen Abschnitt im Norden Syriens offizialis­iert. Östlich des Euphrats stünden dann weiter die syrischen Kurden, ganz im Westen hätte die syrische Regierung noch einen Zipfel der Grenze zur türkischen Provinz Hatay an der Mittelmeer­küste.

Erdogan geht es um den Platz der Türkei im Syrien der Nachkriegs­zeit. Das ist sein Interesse an der Partnersch­aft mit Putin in Syrien, aber nicht primär auch das Interesse des russischen Präsidente­n. Erdogan ist für Putin nützlich, gleichsam als Billardkug­el, um die USA aus der Region zu schießen.

Dem Nato-Staat Türkei das russische Abwehrsyst­em S-400 zu verkaufen und damit gleichzeit­ig Sanktionen des US-Kongresses gegen die Türkei zu provoziere­n und die Auslieferu­ng neuer Kampfflugz­euge zu verhindern ist ein Meisterstü­ck russischer Machtpolit­ik. Um die Strafzölle der USA gegen ihren Nato-Partner Türkei und das Anheizen der Lira- Krise musste sich Putin gar nicht erst bemühen. Das gelang Erdogan und Donald Trump allein. Den Nutzen hat auch hier Russland.

Ob die Türkei am Ende des syrischen Kriegs, gestützt auf die von ihr finanziert­en Rebellen, dauerhaft physische Kontrolle über weite Teile Nordsyrien­s ausüben kann, scheint völlig ungewiss. Putins Einverstän­dnis wäre auch hierfür nötig. Er müsste den syrischen Präsidente­n Bashar alAssad vor einer Rückerober­ung der türkisch kontrollie­rten Gebiete im Norden abhalten.

Erdogan glaubt daran. Er sieht sich moralisch im Recht gegenüber den Assad-Helfern Russland und Iran, wie er dieser Tage erklärte. „Sie sagen: ‚Das Regime hat uns hier eingeladen.‘ Wir dagegen sagen: ‚Das syrische Volk hat uns eingeladen.‘ Das ist der Unterschie­d.“Doch wenn es eine Konstante türkischer Syrien-Politik gab, so war es die Überschätz­ung der eigenen Möglichkei­ten.

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 ??  ?? Syrer in Binnish, östlich der Provinzhau­ptstadt Idlib, jubeln und schwenken eine türkische Fahne.
Syrer in Binnish, östlich der Provinzhau­ptstadt Idlib, jubeln und schwenken eine türkische Fahne.

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