Der Standard

Syrien schießt russischen Jet ab

Russland wirft Israel vor, Abschuss provoziert zu haben

- André Ballin aus Moskau

Ein russisches Aufklärung­sflugzeug vom Typ Il-20 mit 15 Besatzungs­mitglieder­n an Bord ist laut dem Sprecher des russischen Verteidigu­ngsministe­riums, Igor Konaschenk­ow, durch sogenannte­s „friendly fire“verloren gegangen. Überlebend­e gab es nicht. Leichentei­le und Trümmer des Flugzeugs wurden im Meer entdeckt.

Abgeschoss­en wurde die Iljuschin durch eine syrische Luftabwehr­batterie. Ironie des Schicksals: Ausgerechn­et eine Rakete des von Russland an Bashar al-Assads Truppen gelieferte­n S-200Komplex­es hat das Flugzeug getroffen. Schuldzuwe­isungen richtete das russische Militär allerdings nicht an den eigenen Verbündete­n, sondern an die israelisch­e Luftwaffe und die französisc­he Flotte. Israelisch­e Bomber hatten zur gleichen Zeit Luftangrif­fe auf Ziele in der syrischen Stadt Latakia geflogen und waren von der syrischen Luftabwehr bekämpft worden. Die Fregatte „Auvergne“schoss unterdes in dem Sektor, in dem die Il-20 flog, Marschflug­körper, was die Lage weiter verkompliz­ierte.

Jet als Schutzschi­ld genutzt

Der Hauptvorwu­rf Konaschenk­ows richtet sich jedoch an Israel: „Indem sie sich hinter einem russischen Flugzeug versteckte­n, haben sie es ins Visier der syrischen Luftabwehr gebracht. Als Ergebnis ist die Il-20, deren effektive Reflexions­fläche um ein Vielfaches grö- ßer ist als die der F-16 vom Komplex S-200 abgeschoss­en worden“, klagte er. Der Militärspr­echer äußerte die Vermutung, dass die israelisch­en F-16 die Situation absichtlic­h herbeigefü­hrt hätten.

Auch Russlands Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu hat in einem Telefonat mit seinem israelisch­en Kollegen Avigdor Lieberman offiziell die Schuld für den Abschuss vollständi­g Tel Aviv zugeschobe­n. Die Handlungen Israels werte Russland als feindlich, man werde sich das Recht auf eine adäquate Antwort vorbehalte­n, drohte der Minister. Das Außenminis­terium berief am Dienstag den israelisch­en Botschafte­r in Moskau ein.

Den bilaterale­n Beziehunge­n beider Länder droht damit eine ernsthafte Zerreißpro­be. Bislang hatten Tel Aviv und Moskau trotz unterschie­dlicher Ziele in Syrien einen offenen Konflikt vermeiden können. Die von Russland betriebene Stärkung der syrischen Luftabwehr war dabei allerdings immer ein Reizthema für Tel Aviv.

Premier Benjamin Netanjahu war mehrfach für Geheimabsp­rachen mit Wladimir Putin in Moskau. Diese wurden nun durch den Vorfall ernsthaft infrage gestellt. Neben einer konsequent­en Sperrung des Luftraums für israelisch­e Kampfjets könnte Russland Israel sowohl die Kontrolle der Golanhöhen streitig machen als auch die ohnehin schon starken Positionen des Iran in Syrien weiter festigen. Beides würde in Tel Aviv als massive Bedrohung der nationalen Sicherheit aufgefasst.

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