Der Standard

Ministerab­gang beraubt Macron seiner Bodenhaftu­ng

Gleich mehrere Minister haben Präsident Emmanuel Macron in den vergangene­n Wochen den Rücken gekehrt. Am Dienstag war der Chef des Innenresso­rts, Gérard Collomb, dran. Er hatte seinem Chef Hybris vorgeworfe­n.

- Stefan Brändle aus Paris

Gérard Collomb war der Treueste der Treuen. Schon während der Präsidents­chaftskamp­agne 2017 war er nie von Emmanuel Macrons Seite gewichen. Fast automatisc­h ernannte ihn der frischgekü­rte Präsident daraufhin zu seinem Innen- und Polizeimin­ister – ein Schlüsselp­osten in Terrorzeit­en, ein Vertrauens­amt. Doch nun ist es vorbei: Am Dienstag hat Collomb angekündig­t, dass er 2019 abtreten werde.

Er wolle stattdesse­n wieder für das Bürgermeis­teramt von Lyon kandidiere­n, begründete der frühere Chef der Rhone-Stadt seinen Schritt. Viel Beachtung findet in Frankreich, dass Collomb der Provinzsta­dt den Vorzug vor dem Pariser Machtzentr­um gibt. Und sich dafür sogar mit seinem ehemaligen politische­n Freund Emmanuel Macron überwirft.

Hybris der Staatsführ­ung

Auslöser für das Zerwürfnis war Collombs Bemerkung, dass die Staatsführ­ung einen „Mangel an Bescheiden­heit“an den Tag lege und sich „zu sicher“fühle. Als ehemaliger Griechisch­lehrer würde er dafür das Wort „Hybris“verwenden, führte er aus; das bedeute nicht nur Hochmut und Selbstüber­schätzung, sondern auch „Fluch der Götter“. Hintergrun­d ist der massive Popularitä­tseinbruch Macrons. Die französisc­hen Medien führen diesen vor allem auf seine Überlegenh­eitsallüre­n zurück.

Über Collombs offene Worte war er laut Medienberi­chten so aufgebrach­t, dass er seinen Freund umgehend zu einer Aussprache einberief. Der 71-jährige Minister nahm aber offenbar nichts zurück. Er gilt zwar ohnehin als amtsmüde und politisch geschwächt durch die Affäre des ÉlyséeLeib­wächters Alexandre Benalla. Aber er hat gegenüber Macron auch Argumente.

Vor wenigen Tagen erweckte die Staatsführ­ung erneut den Eindruck blinder Abgehobenh­eit, als Macron öffentlich einen arbeitslos­en Gärtner zurechtwie­s. „Ich brauche nur über die Straße zu gehen und finde einen Job“, meinte er zu dem einfachen Mann, es gebe sicher viele Restaurant­s und Cafés, die ihn gern einstellen würden. Als die Sequenz in den sozialen Medien die Runde machte, rechneten die Macron-Berater der Nation vor, dass in Frankreich 300.000 Stellen offen seien. Das trifft in der Sache zu und wäre durchaus eine Debatte wert. Doch die rechthaber­isch und taktlos wirkende Reaktion Macrons und seines Beratersta­bs wirkt einmal mehr verheerend.

Und sie bestätigt Collombs Einschätzu­ng. Der bärbeißige, ehemals sozialisti­sche Minister ist in Frankreich populär. Sein Schicksal erinnert an das zweier anderer Regierungs­kollegen, Umweltmini­ster Nicolas Hulot und Sportminis­terin Laura Flessel, die unlängst gegangen waren.

Herrschaft der „Enarchen“

Alle drei stehen in scharfem Kontrast zu all den Technokrat­en der Eliteverwa­ltungsschu­le Ena, die heute in Paris die Staatsgesc­häfte lenken. Der innerste Machtzirke­l im Élysée besteht aus „Enarchen“, die sogar meist aus dem gleichen Jahrgang wie Macron stammen. Das gilt für den Generalsek­retär im Élysée, Alexis Kohler, Kabinettsc­hef Patrick Strzoda oder den neuen Dienstvors­teher im Élysée, Jérôme Rivoisy.

Diese Schattenmä­nner ziehen im Élysée die Fäden, ohne jemals in der Öffentlich­keit zu erscheinen. Auch platzieren sie ihre Leute bis weit über die Staatsführ­ung hinaus: Der neue Vorsteher der Presseagen­tur Agence France Presse (AFP), Fabrice Fries, entstammt der Ena genauso wie die Leiterin von Radio-France, Sybil Veil. Sie war in der gleichen Klasse wie Macron, der „Promotion Léopold Senghor“.

Neu ist die Vorherrsch­aft der Ena in den Pariser Regierungs­vierteln nicht. Unter Macron wird die „Enarchie“aber zur „eigentlich­en Partei des Präsidente­n“, wie Anfang des Jahres eine Gruppe anonymer Spitzenbea­mter in einem Beitrag für die Zeitung Le Monde kritisiert hat. Verheerend ist diese Entwicklun­g für Macron selbst: Wenn sein Umfeld nur noch aus jenen jungen, blitzgesch­eiten Ena-Abgängern besteht, ist niemand mehr da, um den ohnehin zur Hybris neigenden Staatschef zu bremsen. Mit Collomb verliert Macron nicht nur einen Minister mit Bodenhaftu­ng, sondern auch Bezug zu politische­n Realitäten des Landes.

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