Ministerabgang beraubt Macron seiner Bodenhaftung
Gleich mehrere Minister haben Präsident Emmanuel Macron in den vergangenen Wochen den Rücken gekehrt. Am Dienstag war der Chef des Innenressorts, Gérard Collomb, dran. Er hatte seinem Chef Hybris vorgeworfen.
Gérard Collomb war der Treueste der Treuen. Schon während der Präsidentschaftskampagne 2017 war er nie von Emmanuel Macrons Seite gewichen. Fast automatisch ernannte ihn der frischgekürte Präsident daraufhin zu seinem Innen- und Polizeiminister – ein Schlüsselposten in Terrorzeiten, ein Vertrauensamt. Doch nun ist es vorbei: Am Dienstag hat Collomb angekündigt, dass er 2019 abtreten werde.
Er wolle stattdessen wieder für das Bürgermeisteramt von Lyon kandidieren, begründete der frühere Chef der Rhone-Stadt seinen Schritt. Viel Beachtung findet in Frankreich, dass Collomb der Provinzstadt den Vorzug vor dem Pariser Machtzentrum gibt. Und sich dafür sogar mit seinem ehemaligen politischen Freund Emmanuel Macron überwirft.
Hybris der Staatsführung
Auslöser für das Zerwürfnis war Collombs Bemerkung, dass die Staatsführung einen „Mangel an Bescheidenheit“an den Tag lege und sich „zu sicher“fühle. Als ehemaliger Griechischlehrer würde er dafür das Wort „Hybris“verwenden, führte er aus; das bedeute nicht nur Hochmut und Selbstüberschätzung, sondern auch „Fluch der Götter“. Hintergrund ist der massive Popularitätseinbruch Macrons. Die französischen Medien führen diesen vor allem auf seine Überlegenheitsallüren zurück.
Über Collombs offene Worte war er laut Medienberichten so aufgebracht, dass er seinen Freund umgehend zu einer Aussprache einberief. Der 71-jährige Minister nahm aber offenbar nichts zurück. Er gilt zwar ohnehin als amtsmüde und politisch geschwächt durch die Affäre des ÉlyséeLeibwächters Alexandre Benalla. Aber er hat gegenüber Macron auch Argumente.
Vor wenigen Tagen erweckte die Staatsführung erneut den Eindruck blinder Abgehobenheit, als Macron öffentlich einen arbeitslosen Gärtner zurechtwies. „Ich brauche nur über die Straße zu gehen und finde einen Job“, meinte er zu dem einfachen Mann, es gebe sicher viele Restaurants und Cafés, die ihn gern einstellen würden. Als die Sequenz in den sozialen Medien die Runde machte, rechneten die Macron-Berater der Nation vor, dass in Frankreich 300.000 Stellen offen seien. Das trifft in der Sache zu und wäre durchaus eine Debatte wert. Doch die rechthaberisch und taktlos wirkende Reaktion Macrons und seines Beraterstabs wirkt einmal mehr verheerend.
Und sie bestätigt Collombs Einschätzung. Der bärbeißige, ehemals sozialistische Minister ist in Frankreich populär. Sein Schicksal erinnert an das zweier anderer Regierungskollegen, Umweltminister Nicolas Hulot und Sportministerin Laura Flessel, die unlängst gegangen waren.
Herrschaft der „Enarchen“
Alle drei stehen in scharfem Kontrast zu all den Technokraten der Eliteverwaltungsschule Ena, die heute in Paris die Staatsgeschäfte lenken. Der innerste Machtzirkel im Élysée besteht aus „Enarchen“, die sogar meist aus dem gleichen Jahrgang wie Macron stammen. Das gilt für den Generalsekretär im Élysée, Alexis Kohler, Kabinettschef Patrick Strzoda oder den neuen Dienstvorsteher im Élysée, Jérôme Rivoisy.
Diese Schattenmänner ziehen im Élysée die Fäden, ohne jemals in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Auch platzieren sie ihre Leute bis weit über die Staatsführung hinaus: Der neue Vorsteher der Presseagentur Agence France Presse (AFP), Fabrice Fries, entstammt der Ena genauso wie die Leiterin von Radio-France, Sybil Veil. Sie war in der gleichen Klasse wie Macron, der „Promotion Léopold Senghor“.
Neu ist die Vorherrschaft der Ena in den Pariser Regierungsvierteln nicht. Unter Macron wird die „Enarchie“aber zur „eigentlichen Partei des Präsidenten“, wie Anfang des Jahres eine Gruppe anonymer Spitzenbeamter in einem Beitrag für die Zeitung Le Monde kritisiert hat. Verheerend ist diese Entwicklung für Macron selbst: Wenn sein Umfeld nur noch aus jenen jungen, blitzgescheiten Ena-Abgängern besteht, ist niemand mehr da, um den ohnehin zur Hybris neigenden Staatschef zu bremsen. Mit Collomb verliert Macron nicht nur einen Minister mit Bodenhaftung, sondern auch Bezug zu politischen Realitäten des Landes.