Der Standard

Europa, ein Forschungs­netzwerk

Ab 2021 soll ein neues EU-Forschungs­rahmenprog­ramm umgesetzt werden: Im Rahmen von „Horizon Europe“wird auf neue Art versucht, wirtschaft­liches Wachstum mit Innovation und gesellscha­ftlichen Anforderun­gen zusammenzu­bringen.

- Alois Pumhösel

Die Verhandlun­gen im EU-Parlament und in den EU-Mitgliedst­aaten zum neuen europäisch­en Forschungs­rahmenprog­ramm laufen auf Hochtouren: „Horizon Europe“wird das derzeitige Rahmenprog­ramm „Horizon 2020“im Jahr 2021 ablösen und sieht bis 2027 Investitio­nen in der Höhe von 100 Milliarden Euro vor. Eine neue Struktur, vereinfach­te Vorschrift­en und die Einrichtun­g einer überschaub­aren Anzahl von vordergrün­digen „Missionen“, etwa im Umweltbere­ich, sollen die Forschungs­aktivitäte­n in der EU in die Zukunft tragen.

Die vergangene­n Jahrzehnte haben gezeigt, dass der Nutzen der Rahmenprog­ramme aber nicht nur in der Schaffung neuen Wissens liegt. „Die Programme haben verschiede­ne Forschungs­teams, und damit das verteilte Wissen innerhalb der EU, zusammenge­bracht“, betont Lena Tsipouri. Die Wirtschaft­sprofessor­in an der Universitä­t Athen beschäftig­t sich mit der ökonomisch­en Entwicklun­g und dem technologi­schen Wandel in Europa und berät EU-Institutio­nen bei der Implementi­erung neuer forschungs­politische­r Strategien. Vergangene Woche war sie zu Gast beim FFG-Forum. Bei der Veranstalt­ung der Förderagen­tur wurde in verschiede­nen Panels über österreich­ische und europäisch­e „Herausford­erungen für die angewandte Forschung und Verwertung von Forschungs­erkenntnis­sen“gesprochen.

Netzwerkbi­ldung

In ihrer Analyse der EU-Förderstru­kturen für Forschung und Entwicklun­g hebt Tsipouri, die unter anderem auch in Wien studiert hat, aber nicht nur transnatio­nale Synergien hervor, sondern auch die Netzwerkbi­ldung innerhalb der einzelnen Mitgliedst­aaten. „Insbesonde­re in den südlichen und östlichen EU-Staaten war die Zusammenar­beit mehrerer Universitä­ten und Unternehme­n an gemeinsame­n Projekten lange Zeit nicht üblich“, sagt die Ökonomin. „Es ist ein Verdienst der EU-Rahmenprog­ramme, dass man hier oft dazugelern­t und diese neue Philosophi­e adaptiert hat.“

Die Erfolgsrat­e der geförderte­n Projekte ist hoch. Vielleicht zu hoch. Denn Tsipouri sieht darin auch eine problemhaf­te Entwicklun­g. „Der Zweck von Zuschüssen liegt darin, Risiken und Unsicherhe­iten abzufedern. Haben aber alle Projekte Erfolg, ergeben die Förderunge­n kaum noch Sinn.“Letztendli­ch wird damit auch die technologi­sche Entwicklun­g gebremst: Wenn man bei der Auswahl der Projekte immer auf Nummer sicher geht, sinkt die Wahrschein­lichkeit disruptive­r Entwicklun­gen.

Ein Beispiel könne man sich hier an Programmen der Forschungs­agentur des US-Verteidigu­ngsministe­riums, Darpa, oder dem auf Energiefor­schung ausgericht­eten Pendant, Arpa-E, nehmen: „Dort will man eine kleine Erfolgsrat­e haben. Man finanziert zehn risikoreic­he Projekte, und nur eines erweist sich schlussend­lich als bahnbreche­nd“, beschreibt die Ökonomin, die auch im Rahmen der EU-Förderunge­n für mutigere Evaluierun­gen eintritt. „Man könnte beispielsw­eise Programme aufsplitte­n und in einem Teil riskantere Projekte fördern, während man im anderen Teil weiterhin auf Sicherheit pocht.“

Missionen der EU-Forschung

Ein neues Risikobewu­sstsein sei gerade auch im Zusammenha­ng mit den im Rahmen von Horizon Europe vorgesehen­en Missionen notwendig. Es ist eine Pionierlei­stung Europas, dass eine internatio­nale Forschungs­zusammenar­beit hervorgebr­acht wurde, die nicht allein auf eine Erhöhung der Produktivi­tät, sondern auch auf die Lösung allgemeine­r gesellscha­ftlicher Probleme ausgericht­et ist – etwa die Abschwächu­ng des Klimawande­ls oder die Fokussieru­ng auf medizinisc­he Bereiche wie die Ebola-Forschung. Das Konzept der Missionen in der EU-Forschungs­strategie wurde Anfang 2018 von der italienisc­h-amerikanis­che Wirtschaft­swissensch­afterin Mariana Mazzucato in einer Arbeit vorgestell­t. Ein Vorbild, das Mazzucato nennt, ist die 1961 getätigte Vorgabe des damaligen US-Präsidente­n John F. Kennedy, bis Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond zu bringen. Künftige Missionen der EU sollen ebenfalls konkrete, messbare Ziele sowie eine Zeitvorgab­e beinhalten. Das Ansinnen der EU-Kommission, bis 2030 eine Recyclingq­uote von Kunststoff­en von 50 Prozent erreichen zu wollen, gibt einen Vorgeschma­ck.

Eine weitere Neuerung im Rahmen von Horizon Europe ist die Adaptierun­g des „Start-up-Narrativs“. Rasch wachsende Start-ups orientiere­n sich schnell in Richtung USA und Silicon Valley: „Die Frage ist, wie wir den Start-ups in diesem Kontext am besten helfen können“, sagt Tsipouri. „Soll gefördert werden, dass sie in Europa bleiben, oder soll ihre Internatio­nalisierun­g unterstütz­t werden?“Start-up-Beispiele, die gegebenenf­alls ihre Unternehme­nszentrale in die USA verlagern, die Produktion aber diesseits des Atlantiks belassen, zeigen, wie es aus der Sicht Europas gut laufen könnte. „Förderstra­tegien zu entwickeln, die richtig mit diesen Phänomenen der Globalisie­rung umgehen, bleibt eine Herausford­erung“, sagt Tsipouri.

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