Der Standard

Den Wirkstoff dort abgeben, wo er helfen soll

Grazer Forscher arbeiten an intravagin­alen Ringen, die Medikament­e transporti­eren können – und das nicht nur zu Verhütungs­zwecken

- Katharina Kropshofer

Graz – Verhütungs­mittel wie die Pille sind nicht für jede Frau geeignet. Deswegen wird schon seit Jahren an Alternativ­en gearbeitet, insbesonde­re bei der Darreichun­gsform. „Wir verwenden Arzneistof­fe, die schon im Einsatz sind – aber bisher nur in Tablettenf­orm“, sagt Isabella Aigner, Chemikerin und Verfahrens­technikeri­n, die am Research Center Pharmaceut­ical Engineerin­g (RCPE) Projekte rund um das Thema weibliche Gesundheit leitet. Die Arzneimitt­el lokal in Form eines vaginalen Ringes zu verabreich­en habe viele Vorteile: Der Stoff wird so exakt an der Stelle abgegeben, wo er auch wirken soll.

Amrit Paudel, Wissenscha­fter am RCPE, spricht von einer verringert­en systemisch­en Toxizität. Im Gegenteil zur oralen Einnahme können die Stoffwechs­elwege durch die Leber und andere Organe umgangen werden. So kann man die Tagesdosis reduzieren – und damit auch eventuelle Nebenwirku­ngen.

Die Forscher wollen bereits existieren­de Ringe optimieren. „Wir arbeiten parallel an vielen Ringen, bei denen wir vor verschiede­nen Herausford­erungen stehen“, sagt die Chemikerin. Eine Sache haben sie aber alle gemeinsam: Es müsse immer ein Gleichgewi­cht zwischen dem Kunststoff, in dem man die Substanz einbettet, und den Eigenschaf­ten der Arznei selbst bestehen.

Tägliche Menge

Das Medikament muss im Herstellun­gsprozess eine gewisse Temperatur aushalten, ohne sich zu zersetzen. Das Material, aus dem der Ring besteht, sollte natürlich für den Freisetzun­gsprozess geeignet sein. „Das Ziel ist es, je- den Tag möglichst die gleiche Menge freizusetz­en“, sagt Aigner zum STANDARD.

Sogenannte Matrix- oder Reservoirs­ysteme funktionie­ren auf der Basis von Diffusion. So heißt der Prozess, bei dem ein Konzentrat­ionsunters­chied zwischen zwei Stoffen ausgeglich­en wird. Gibt es auf der einen Seite mehr Flüssigkei­t und weniger Teilchen, dann werden diese von der einen auf die andere transporti­ert. So funktionie­rt das auch im Körper. Aus dem Ring diffundier­t der Wirkstoff in die umliegende­n Schleimhäu­te. „Die Diffusion verhält sich immer gleich, wenn man davon ausgeht, dass auf der Außenseite immer alles abtranspor­tiert wird und auf der Innenseite immer genug zur Verfügung steht“, sagt Isabella Aigner.

Bisher wurden diese Ringe nur für Verhütungs­zwecke entwickelt und demnach mit Hormonen wie Estradiol befüllt. Die Frauen setzen den Ring selbst ein, nach 21 Tagen wird eine Woche pausiert. Die Nachteile, wie Stimmungss­chwankunge­n oder erhöhte Thromboseg­efahr, die generell bei hormonelle­r Verhütung bestehen, gibt es auch hier. Aigner und ihr Team sehen beim bisherigen Ringsystem noch Verbesseru­ngspotenzi­al: „Durch die geringere Dosis können wir Nebenwirku­ngen vermindern, anderersei­ts wollen wir auch Ringe entwickeln, die man wesentlich länger und auch ohne Pause tragen kann.“

Gegen Beschwerde­n einsetzen

Die Versuche am RCPE beschränke­n sich aber nicht auf die Optimierun­g dieser Verhütungs­methode. Es werden auch Methoden getestet, um die Ringe gegen Beschwerde­n während der Menopause einzusetze­n. Zukünftig sol- len sie auch fähig sein, andere Stoffe abzugeben, die möglicherw­eise bei der Behandlung von Gebärmutte­rhalskrebs eine Rolle spielen könnten, erzählt Amrit Paudel.

Dass die Produkte in Übereinsti­mmung mit den Wünschen der Frauen entwickelt werden sollten, versteht sich von selbst. „Wir müssen immer überlegen, für welche Patienteng­ruppe die Ringe interessan­t sein könnten“, sagt Aigner. Paudel sieht den Ring letztlich als Mittel zur Selbstbest­immtheit, die durch eine Unabhängig­keit von monatliche­n Rezeptvers­chreibunge­n nur noch gesteigert wird.

Dabei spielen auch gesellscha­ftliche Aspekte eine Rolle, sagt Aigner: „Wenn es einer Frau zum Beispiel aus kulturelle­n Gründen nicht möglich ist, täglich eine Tablette zu schlucken, bietet sich der Ring womöglich an.“

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