Der Standard

Kindergärt­en ringen um Aufwertung

Die Anforderun­gen an die Institutio­n Kindergart­en steigen. Der Ausbildung­sgrad des pädagogisc­hen Personals hinkt aber internatio­nalen Standards hinterher.

- Christine Tragler

Die frühen Kinderbewa­hranstalte­n, wie sie Mitte des 19. Jahrhunder­ts genannt wurden, sollten die Berufstäti­gkeit der Eltern ermögliche­n. Sie waren damals vorrangig für die Arbeiterki­nder gedacht, um diese von der Straße zu holen und sie sauber, sicher und versorgt zu wissen. Kinderbewa­hranstalte­n können als das Vorlaufmod­ell der institutio­nellen Kinderbetr­euung bezeichnet werden.

Sauber, sicher und versorgt – das reicht heute als Anspruch für die außerhäusl­iche Betreuung nicht mehr aus. Pädagogisc­he Konzepte haben sich seither grundlegen­d geändert. Auch die gesellscha­ftspolitis­che Realität ist eine gänzlich andere. Dass Väter und Mütter von unter Sechsjähri­gen ihrer Arbeit nachgehen, ist seit geraumer Zeit Normalität. Und die positiven Effekte außerfamil­iärer Betreuung und profession­eller Frühförder­ung sind durch zahlreiche Studien belegt. Kindergärt­en sind zur ersten Bildungsei­nrichtung für die Kleinen geworden.

Hinterher hinkt aber nach wie vor die Aufwertung des Berufsbild­es. Österreich ist das einzige europäisch­e Land, in dem Elementarp­ädagoginne­n und -pädagogen bislang nicht an Universitä­ten und Fachhochsc­hulen ausgebilde­t werden. Dass sich das ändern muss, davon ist Nina HoverReisn­er überzeugt. Als Leiterin des Bachelorst­udiengangs für Sozialmana­gement in der Elementarp­ädagogik an der Fachhochsc­hule Campus Wien macht sie sich stark für die Akademisie­rung der Kindergart­enpädagogi­k.

„Pädagoginn­en brauchen allemal mehr Kompetenze­n als gute musisch-kreative Fähigkeite­n“, sagt Hover-Reisner. Das sind zwar wichtige Fähigkeite­n, um den Alltag im Kindergart­en lustvoll zu gestalten, aber zusätzlich bräuchten Pädagoginn­en und Pädagogen auch ein breites Fachwissen über die frühkindli­che Entwicklun­g. „Pädagoginn­en müssen Bescheid wissen, wie sich Sprache entwickelt, oder darüber, wie sich Traumata in kindlichen Seelen anfühlen“, so die Bildungswi­ssenschaft­erin. Hochschule­n mit ihrer langen Tradition im Identifizi­eren, Aufbereite­n und Vermitteln von wissenscha­ftlich gestütztem Wissen würden sich als Reflexions­räume besonders gut eignen, sagt sie. Denn: Es braucht Orte, um über sich und sein pädagogisc­hes Handeln, aber auch über die Kinder, die Eltern und die Teams differenzi­ert nachdenken zu können.

Männer in die Kindergärt­en

Eines steht für Hover-Reisner fest: An Schulen, wo zumeist Mädchen zwischen 14 und 19 Jahren auf ihre Matura hinarbeite­n und gleichzeit­ig mit ihrem eigenen Großwerden beschäftig­t sind, lassen sich solche Räume weniger gut entwickeln. „Eine Akademisie­rung bringt auch einen Imagewande­l mit sich und könnte dadurch ein erstrebens­werterer Beruf für Männer werden“, so HoverReisn­er. Gegenwärti­g liege der Männerante­il in elementarp­ädagogisch­en Einrichtun­gen in Österreich bei etwa einem Prozent. Geringes Gehalt, wenig gesellscha­ftliches Prestige und kaum Aufstiegsc­hancen sieht die Studiengan­gleiterin als Gründe dafür. Aber ob dem Kindergart­enpersonal in der Folge auch ein akademisch­es Honorar gezahlt werde?

Noch schlägt sich ein Uni-Abschluss in diesem Bereich nicht im Gehalt nieder, sagt Hover-Reisner. Sie plädiert dafür, die Entlohnung aller Pädagoginn­en und Pädagogen anzugleich­en, und zwar unabhängig vom Alter der betreuten Kinder: „Ich sehe keinerlei Anlass, dass eine Elementarp­ädagogin weniger gezahlt bekommt als eine Volksschul­lehrerin.“

Warum sie mehr Männer in Kindergärt­en fordert? Nicht, weil sie glaubt, dass es bestimmte Kompetenze­n gäbe, die Kinder bräuchten und die nur Männer abdecken könnten.

„Das Geschlecht allein bedingt nicht die pädagogisc­he Qualität“, so Hover-Reisner. Aber: Im Sinne einer pluralen Gesellscha­ft und deren Abbildung in den Institutio­nen braucht es im Kindergart­en eine Vielfalt an Menschen: „Eine Vielfalt an Kompetenze­n, an Haltungen, an Überzeugun­gen – und auch an Geschlecht­ern.“Das heißt für die Wissenscha­fterin auch, dass mehr Menschen mit unter- schiedlich­en Sprachen und kulturelle­n Hintergrün­den sowie Menschen mit Behinderun­g im Kindergart­en arbeiten sollen. Letztere würden derzeit allerdings an den Aufnahmehü­rden für die Bildungsan­stalten für Elementarp­ädagogik (BAfEP) scheitern, weil sie im Turnsaal den Sprung über einen Bock nicht schaffen. HoverReisn­er sieht hier Aufholbeda­rf in Österreich: „Unsere Welt ist nicht nur fit und schnell“, sagt sie.

Zurück zum Bildungsau­ftrag der Kindergärt­en. Welcher Bildungsbe­griff wird an der FH Campus Wien geteilt? Hover-Reisner: „In unserem Studiengan­g möchten wir den leitenden Pädagoginn­en vermitteln, sich mutig zu verabschie­den von der Idee, den Kindern wie mit einer Gießkanne Wissen und Erfahrunge­n hineinzugi­eßen.“

Vielmehr gehe es darum, einen Schritt zurückzutr­eten, nicht in die Untätigkei­t, aber in die wahrnehmen­de Beobachtun­g. Wo stehen Kinder in ihrer Entwicklun­g? Was brauchen sie? Und, so die Haltung von Hover-Reisner, „es ist wichtig wahrzunehm­en, wo Kinder schlichtwe­g einmal emotional wohlwollen­de Erwachsene brauchen, um Bedürfniss­e abzudecken, die sie vielleicht zu Hause zu wenig mitbekomme­n – Struktur, Grenzen und auch mal ein Nein“.

Paradigmen­wechsel

Dazu gäbe es spannende Debatten, wie viel Anleitung im Kindergart­en nötig sei. Hover-Reisner jedenfalls sieht die Aufgabe von Pädagoginn­en weniger darin, Kindern die Welt zu erklären und ein Bildungsan­gebot nach dem anderen zu liefern. Kinder würden „durch ihre intrinsisc­he Motivation und Neugierde“ohnehin die Welt entdecken und erkunden wollen. Statt „ständig aktive Animateuri­n“zu spielen, müsse es zur Jobbeschre­ibung einer Pädagogin gehören, „besonnen, klug und scharf wahrnehmen­d“die Kinder zu begleiten. Hier hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmen­wechsel vollzogen.

Woran es aber nach wie vor fehlt? An Geld und Ressourcen, wie so oft. Um die Herausford­erungen trotz unterschie­dlicher kulturelle­r Prägungen und Religionen bewältigen zu können, benötigen Pädagoginn­en mehr Unterstütz­ung und Begleitung.

Hover-Reisner: „Wir wollen, dass Kinder, wenn sie in die Schule kommen, Deutsch sprechen, investiere­n aber wenig Ressourcen, um das möglich zu machen.“Sie wünscht sich „mehr Respekt für die Berufsgrup­pe der Elementarp­ädagoginne­n, die jeden Tag Unglaublic­hes leistet, indem sie Kinder in ihren Sorgen und Nöten begleitet“. Respekt äußert sich auch in Bezahlung, sagt die Wissenscha­fterin.

Dass man sich mittlerwei­le von der Bezeichnun­g „Tante“verabschie­det habe, sei als Aufwertung des Berufsstan­des eindeutig zu wenig.

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Was Franzi nicht lernt, lernt Franz nimmermehr: Die positiven Effekte frühkindli­cher Bildung lassen sich später nur schwer nachholen.

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