Der Standard

Warum der Westen für Arbeitssuc­hende oft wenig reizvoll ist

Die österreich­ischen Arbeitssuc­henden sind wenig mobil. Für viele bietet ein Job im ländlichen Westen des Landes keinen Anreiz. Doch lässt sich das ändern? Auch darüber wird beim Jobgipfel der Regierung beraten. Ein Überblick über drei große Herausford­eru

- András Szigetvari

Für Jobsuchend­e wie für Unternehme­r bietet die Wirtschaft­skammer seit ein paar Tagen ein nützliches Service: den Fachkräfte­radar. Online kann jeder Interessie­rte nachsehen, in welchem Bezirk Österreich­s gerade welche Jobs gefragt sind. In Gmunden, Oberösterr­eich, werden aktuell zum Beispiel 24 Elektromec­haniker gesucht, dagegen sind dort nur drei Elektromec­haniker arbeitslos gemeldet.

Wer sich mit der interaktiv­en Karte spielt, kann das Gefälle am Arbeitsmar­kt Branche für Branche erkunden. Ob Maurer, Zimmerer, Koch oder Friseur: In Salzburg, Oberösterr­eich und Tirol fehlen Arbeitskrä­fte tendenziel­l. In Wien, aber auch im Burgenland und Niederöste­rreich gibt es oft mehr Arbeitssuc­hende als Jobs.

Herausford­erung 1: Die Kluft im Land

Diese Kluft wird auch Thema beim Jobgipfel der Bundesregi­erung sein, der heute, Mittwoch, in Wien stattfinde­t. Welche Möglichkei­ten zu Abhilfe gib es? Das Problem laut Arbeitsmar­ktexperten ist, dass jede Anstrengun­g die darauf abzielt, Menschen von Ost nach West zu bringen, gegen den demografis­chen Trend arbeitet.

Laut Zahlen der Statistik Austria findet unter Inländern eine Wanderbewe­gung von ländlichen in städtische Regionen statt. Das trifft nicht auf alle Altersgrup­pen zu, aber besonders auf 18- bis 26Jährige: Zwischen 2006 und 2015 haben pro Jahr etwa 6000 Menschen in diesem Alter ländliche Regionen verlassen, um in Ballungsze­ntren zu ziehen. Auch in der Gruppe der 27- bis 39-Jährigen gibt es eine Landflucht – wobei hier Menschen eher in Speckgürte­l ziehen. Die persönlich­e Verwirklic­hung suchen junge Menschen also in der Stadt, und zwar unabhängig davon, wo es die Jobs gibt. Deshalb fehlen in ländlichen Regionen des Westens, die oft auch Touristenm­agnete sind, Arbeitskrä­fte.

Bisherige Versuche, den Mangel durch Zuzug aus dem Osten auszugleic­hen sind mäßig erfolgreic­h. So forciert das Arbeitsmar­ktservice AMS im Rahmen des Projektes „b.mobile“die Vermittlun­g von anerkannte­n Flüchtling­en auf Lehrstelle­n in Westösterr­eich. Das Projekt läuft seit 2016. Bisher in den Westen vermittelt­e Menschen: Rund 90. 2008 wurde vom damaligen Kanzler Alfred Gusenbauer eine Übersiedlu­ngsprämie ins Leben gerufen: Arbeitslos­e, die einen Umzug in Kauf nahmen, konnten bis zu 4600 Euro dafür beim AMS beantragen. Pro Jahr gab es weniger als 160 Anträge. 2016 endete das Programm mangels Interesse.

Bei jedem Projekt gibt es besondere Hinderniss­e. Die Lehrlingsv­ermittlung wird durch unterschie­dliche Regeln zur Mindestsic­herung erschwert: In einigen Ländern wird die Lehrlingsb­ezahlung bei der Mindestsic­herung angerechne­t. Deshalb gibt es für Wiener in der Mindestsic­herung keinen Anreiz, wegzugehen.

Der Soziologe August Gächter, der sich viel mit Arbeitsmar­ktmo- bilität beschäftig­t, sieht darüber hinaus weitere Ursachen für die fehlende Beweglichk­eit: Für junge Menschen habe der ländliche Raum außer „Arbeit und Spaziergän­ge“wenig zu bieten. Für Menschen mit Kindern ist die Situation zusätzlich komplizier­t.

Gächter hat eine Untersuchu­ng unter Personalch­efs im Inntal gemacht und festgestel­lt, dass viele Tiroler Vorurteile gegen Wiener haben. Schlechte Erfahrunge­n vor Ort verbreiten sich über soziale Kanäle – und schrecken ab. Für viele Arbeitslos­e sei es zudem ein Aufwand, in den Westen zu fahren und sich vorzustell­en. Wer genommen wird, muss noch ein Probemonat bestehen. Das scheint abzuschrec­ken. Gächter: „Effektiver wäre es, wenn Arbeitgebe­r ihre Mitarbeite­r im Osten suchen würden um eine Beziehung und Vertrauen aufzubauen.“

Herausford­erung 2 und 3: Leistungen und Qualifikat­ion

Aktuell sind 344.000 Menschen arbeitslos gemeldete. Die Zahl der Jobsuchend­en geht zwar kräftig zurück. Von den 90.000 neuen Stellen im vergangene­n Jahr ging aber weniger als ein Drittel an Arbeitslos­e. Ein Großteil der neuen Beschäftig­ten sind Migranten und Personen, die frisch auf den Arbeitsmar­kt kommen. Gibt es für Arbeitslos­e zu wenig Anreiz, um einen Job anzunehmen?

Die türkis-blaue Regierung hat die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe im Regierungs­programm vereinbart. Die Notstandsh­ilfe (etwa 50 Prozent vom letzten Nettobe- zug) kann man theoretisc­h bis zur Pension beziehen. In der Wirtschaft­skammer vertritt man die Ansicht, dass dieses Modell viele einlädt, nicht auf Jobsuche zu gehen. Wolfgang Nagel, Arbeitsmar­ktexperte bei der Agenda Austria, einem unternehme­rnahen Thinktank plädiert ebenfalls dafür, die Notstandsh­ilfe zu streichen.

Stattdesse­n soll es länger als bisher ein Arbeitslos­engeld geben (maximal drei Jahren). Die Bezüge würden immer niedriger werden und nach einem Jahr deutlich unter das Niveau der aktuellen Notstandsh­ilfe fallen. Belastbare Zahlen dazu, wie viele Menschen keinen Job wollen, obwohl sie arbeiten könnten, gibt es nicht.

Helmut Mahringer vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo sagt, dass andere Faktoren eine wichtigere Rolle spielen. Mahringer verweist auf eine Wifo-Studie die zeigt, dass die intensive Beratung von Arbeitssuc­henden effektiver ist als Leistungsk­ürzungen.

Das dritte große Thema sind Qualifikat­ionen. Oft bringen Arbeitssuc­henden nicht jene Ausbildung mit, die nachgefrag­t werden. So ist die Arbeitslos­igkeit unter Menschen mit Pflichtsch­ulabschlus­s höher als in anderen Gruppen. Die Arbeitnehm­er wollen beim Jobgipfel deshalb auf eine Fachkräfte-Offensive bei Jungen drängen. Die Rechnung: 11.300 Arbeitslos­e unter 25 verfügen nur über Pflichtsch­ulabschlus­s. Würde man die Hälfte in eine Lehre bekommen, würden die Jobchancen für viele steigen.

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