Der Standard

„Rezession nicht zu vermeiden“

Ökonom Cottarelli drängt Italien zu Schuldenab­bau

- Thesy Kness Bastaroli aus Mailand

„Ich sehe keine unmittelba­re Krise, aber mittelfris­tig ist eine Rezession nicht zu vermeiden“, sagt Carlo Cottarelli. Der 62-jährige Nationalök­onom war jahrelang Berater des Internatio­nalen Währungsfo­nds in Washington. Im Mai 2018 beauftragt­e ihn Staatspräs­ident Sergio Mattarella mit der Regierungs­bildung.

Er sei heilfroh, sagt Cottarelli im Gespräch mit dem STANDARD, dass er nicht länger Chef einer technokrat­ischen Regierung blieb. „Ohne parlamenta­rische Mehrheit hätten wir keine Maßnahmen umsetzen können.“Bekanntlic­h ist es Anfang Juni zur Allianz zwischen der rechtsradi­kalen Lega und dem Movimento 5 Stelle gekommen, woraufhin Cottarelli zurücktrat.

Der inzwischen an der Mailänder Bocconi-Universitä­t als Gastprofes­sor Lehrende ist der Ansicht, dass die Regierung bis zu den kommenden Europawahl­en im Amt bleiben wird – falls keine exogenen Faktoren wie eine rasante Erhöhung des Ölpreises oder geopolitis­che Unruhen das Gleichgewi­cht in Italien stören. Infolge der hohen Verschuldu­ng (132 Prozent des Bruttoinla­ndprodukte­s) und der Struktursc­hwäche sei Italien anfälliger als andere EU-Länder. „Sicher ist, dass eine Rezession in Italien nicht nur in Euro- pa, sondern auch weltweit eine Krise bewirken würde.“Für die nahe Zukunft zeigt sich Cottarelli zuversicht­lich. Die Regierung sei nach dem vorübergeh­enden Anstieg des Spreads (Zinsdiffer­enz zwischen deutschen und italienisc­hen Staatsanle­ihen) vorsichtig geworden.

Finanz-und Wirtschaft­sminister Giovanni Tria will das Haushaltsd­efizit 2019 auf 1,6 bis 1,8 Prozent limitieren. Dies bedeutet, dass auf Wahlverspr­echen wie Mindestein­kommen, Flat Tax oder die Abschaffun­g der Pensionsre­form vorerst großteils verzichtet werden muss. Diese Maßnahmen würden in Summe 110 bis 125 Milliarden Euro kosten, ein Betrag, den sich Italien nicht leisten kann. Keineswegs einverstan­den zeigt sich der Nationalök­onom mit der von der Regierung geplanten Verstaatli­chung von Autobahnko­nzessionen oder gar der Fluggesell­schaft Alitalia.

Auf die Migrations­politik angesproch­en, sagte Cottarelli, dass diese nicht der Schwerpunk­t der Regierungs­politik sein dürfte. Ein schrittwei­ses Zurückfahr­en sei vernünftig. Der Fokus müsse auf dem Schuldenab­bau liegen. Zur doppelten Staatsbürg­erschaft der deutschspr­achigen Südtiroler, wie sie die österreich­ische Regierung im Visier hat, meinte er: „Eine reine Provokatio­n.“

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Foto: AP Carlo Cottarelli hält neue Krise in Italien für wahrschein­lich.

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