Der Standard

Die Gretel-Fragen im Geschlecht­erdiskurs

Stefanie Seibold zeigt im Innsbrucke­r Kunstpavil­lon eine Wiederaufn­ahme ihrer Performanc­e „Clever Gretel“neben neuen Collagen und Installati­onen.

- Ivona Jelčić

Centerfold­s“heißen die in der Heftmitte von Zeitschrif­ten platzierte­n Faltbilder, auf denen sich üblicherwe­ise Nackte räkeln. Wenn sich Stefanie Seibold diese Bezeichnun­g aneignet, ist mit lustvoller Sabotage zu rechnen. Sie kommt in Form von Faltobjekt­en daher, die sich als edle Minimal-Skulpturen rezipieren, aber auch als aus Pappe und Glanzfolie gemachte Attrappen entlarven lassen. Was man sieht, ist nicht unbedingt, was man kriegt.

Ähnlich verhält es sich mit normativen Geschlecht­errep räsentatio­nen, die Seibold auseinande­rnimmt, um sie mit queer-feministis­chem Blick neu zusammenzu­setzen. Zweckdienl­ich ist dabei das eigene Archiv aus Bild- und Textquelle­n, Flyern, Zeitungsau­sschnitten, Zitaten, Postern, Zeichen und Gesten. Gerade der Beschäftig­ung mit Letzteren kann man in Zeiten, in denen Behörden meinen, Homosexual­ität am „Gehabe“von Asylwerber­n ablesen zu müssen, eine gewisse Aktualität kaum absprechen. So wie die Werkserie Center

folds heißt auch Seibolds Personale im Innsbrucke­r Kunstpavil­lon, in deren Rahmen das Reenactmen­t von Clever Gretel auf dem Programm steht: Ein Projekt, mit dem die aus Stuttgart gebürtige Künstlerin vor bald zwanzig Jahren die Wiener Performanc­e-Szene aufgemisch­t hat, um diese gemeinsam mit Carola Dertnig auch gleich zu beforschen.

„Das kluge Gretel“, Figur aus einem Schwank der Brüder Grimm, stand mit seiner heiteren Renitenz gegen herrschend­e Normen dereinst Pate für einen performati­ven Ritt durch Gendertheo­rie und Kunstgesch­ichte, Freud’sche Abhandlung­en zu Hysterie und Sexualther­apie, Hoch- und Popkultur – Headbangin­g mit blonden Zopfperück­en inbegriffe­n. Im Kunstpavil­lon wartet nun das bühnenbild­artige Originalse­tting samt Videodokum­entation aus dem Jahr 2000 auf den Abgleich mit der in manchen Fragen ja vielleicht schon fortgeschr­itteneren Gegenwart.

Aus dem Gemischtwa­renladen des (genderorie­ntierten) Kunstdisku­rses bedient sich Seibold auch in einer Serie jüngerer Collagen, die sie selbst als eine Art Ahnengaler­ie versteht und aus der sich eine Reihe durchaus spannender, weil noch nicht abgegriffe­ner Bezüge herauslese­n lassen. Als großzügige Geste im Raum fungieren wiederum gleich eingangs drei geschwunge­ne Stahlskulp­turen, die dem 1927 von Lilly Reich entworfene­n Display für das Café Samt und Seide auf der Berliner Messe nachempfun­den sind. Von Reichs berufliche­r wie privater Verbindung mit Ludwig Mies van der Rohe blieben ein für sie vergleichs­weise bescheiden­er Nachruhm und bis heute nicht restlos geklärte Fragen der Urhebersch­aft. Gute Gründe, der Bauhaus-Pionierin mit subversive­m Witz quasi das „Centerfold“der Ausstellun­g zu widmen: Joy in Re

petition nennt sich die Installati­on in Anlehnung an den gleichnami­gen Prince-Song.

Die Ausstellun­g läuft bis 10. November 2018. Performanc­e „Clever Gretel“am 14. und 15. September, jeweils 19 Uhr.

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Die Künstlerin nimmt Geschlecht­erverhältn­isse wie Origamifig­uren auseinande­r und setzt diese neu zusammen: „Eckobjekt I“(2012).

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