Kerns überraschender Abgang
Der Rückzug aus der Politik ist auch das Eingeständnis eines Scheiterns
Es ist eine wirklich überraschende Rochade, und die Medien waren erst einmal selbst in ihre Falle getappt: Die verbreitete Nachricht vom Rücktritt und Rückzug von SPÖChef Christian Kern entpuppte sich nur als teilweise richtig. Kern schaffte erst am Abend Aufklärung: Er wird als Spitzenkandidat der SPÖ für die Europawahl im Mai 2019 antreten und nach dieser Wahl, so erklärte er es jedenfalls, das Amt als Parteichef zurücklegen.
Kern verlässt die Politik also nicht, wie gemutmaßt und bereits berichtet wurde, er wechselt nur die Ebene seiner politischen Tätigkeit. Überraschend ist das allemal, da Kern selbst ein Antreten bei der EU-Wahl vor wenigen Tagen noch scharf dementiert und als Mumpitz bezeichnet hatte.
Der Noch-SPÖ-Chef sucht also eine neue politische Herausforderung und nicht einen Job in der Wirtschaft, wie spekuliert worden war. Die SPÖ stürzt Kern damit in eine Verwirrung und in personelle Turbulenzen. Ihr bester Mann, davon muss man beim Parteichef ausgehen, verlässt die nationale Bühne und wechselt nach Brüssel.
Aus Kerns Sicht ist das konsequent. In Österreich kann er derzeit nicht viel bewirken, da ist nicht viel zu holen, auch wenn gerade für einen Oppositionschef viel zu machen wäre. Gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz kommt Kern nicht an: Sollte dieser politischen Schaden nehmen, dann nicht durch das Auftreten der Opposition, sondern nur durch eigenes Zutun – oder Nichtstun. Wenn er etwa die FPÖ als Koalitionspartner weiter so werken lässt.
Kern aber will sich nicht länger an Kurz und FPÖ-Chef HeinzChristian Strache abarbeiten, er nimmt jetzt einen Viktor Orbán und einen Matteo Salvini ins Visier, jene, die mit der Abrissbirne gegen Europa vorgehen, wie es Kern am Dienstagabend formuliert hatte. Ein durchaus ehrenwertes Vorhaben, dennoch nicht ganz leicht nachvollziehbar. Ist der Job als SPÖ-Fraktionschef in Brüssel und Straßburg herausfordernder, gemütlicher oder prestigeträchtiger als der als SPÖ-Chef in Wien? Hier bestimmt wohl die jeweilige Position die Antwort. Die Genossen in Österreich werden sich verlassen, manche, die für Kern gelaufen und gestanden sind und jetzt zurückbleiben, vielleicht auch verraten vorkommen.
Ganz erklärt hat sich Kern noch nicht. Die SPÖ verlässt er in einem halbfertigen Zustand. Das neue Parteiprogramm, das Anfang Oktober beschlossen werden soll, trägt seine Handschrift, das macht es für seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin, nicht einfacher. Die Suche hat noch ein wenig Zeit, wird aber nicht einfach.
Inhaltlich wäre die SPÖ nicht so schlecht aufgestellt: Die Regierung hat ihr viele Themen aufgespielt. Zwölfstundentag, Kassenreform, Rechtsruck. Gemeinsam mit Arbeiterkammer und Gewerkschaften gelingt es der SPÖ, so etwas wie eine Erzählung ihres Einsatzes zu entwickeln. Wo die SPÖ schwach ist, ist der Themenkomplex Asyl, Migration, Integration. Das ist aus vielerlei Gründen immer noch das emotionalste und stärkste Thema, wenn auch nicht das drängendste. Der einfachen Darstellung der Regierung kann die SPÖ keinen Gegenentwurf entgegenhalten, es gelingt ihr nur schwer, sich verständlich zu machen.
Das Lavieren zwischen zwei Positionen hat dazu geführt, dass die SPÖ hier viel Glaubwürdigkeit verspielt hat. Das muss Kern jetzt neu erzählen, vielleicht auch besser, jedenfalls auf einer anderen Ebene.