Der Standard

ZITAT DES TAGES

Wut auf ÖVP-Mandatare im Europäisch­en Parlament, die für ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Ungarn gestimmt haben

- Gregor Mayer aus Budapest

„Mit irgendetwa­s wird Kurz erpresst, wenn er innerhalb von 24 Stunden alles, wozu er sich bekannte, und jeden, den er einen Kampfgefäh­rten nannte, verrät.“ Zsolt Bayer, Leibkommen­tator von Ungarns Premier Orbán, prangert Kurz im Zuge des Rechtsstaa­tsverfahre­ns gegen Ungarn an Seite 5

Nach der Einleitung eines Rechtsstaa­tsverfahre­ns gegen Ungarn durch das Europäisch­e Parlament kommt die nationalko­nservative Regierung in Budapest nicht zur Ruhe. In der Nacht auf Mittwoch veröffentl­ichte sie auf ihrer Facebook-Seite ein knapp halbminüti­ges Propaganda­video. Zu dramatisch­en Musikseque­nzen sagt da der Sprecher: „Die einwanderu­ngsfreundl­iche Mehrheit im Europaparl­ament will uns zum Schweigen bringen, weil wir unsere Heimat und Europa mit einem Grenzzaun schützen.“

Tatsächlic­h hatte sich am Mittwoch vor einer Woche im Straß- burger Parlament eine satte Mehrheit gefunden, um für das Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Ungarn zu stimmen. Die Grundlage dafür bildete der Bericht der GrünenAbge­ordneten Judith Sargentini. Dieser beschreibt die systematis­che Einschränk­ung von Freiheitsr­echten und Unterdrück­ung kritischer Stimmen in dem seit 2010 von Premier Viktor Orbán regierten Land. Vom ungarische­n Grenzzaun ist darin gar keine Rede.

Peinlich für Orbán, dessen Regierungs­partei Fidesz der konservati­ven Fraktion der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) angehört: Deren Abgeordnet­e stimmten mit großer Mehrheit für die Einleitung des Sanktionsv­erfahrens, die ÖVP-Mandatare unter ihnen taten dies geschlosse­n. Dabei war Bundeskanz­ler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bisher nahezu ein Liebling von Ungarns Regierung. Sein Werben um Verständni­s für osteuropäi­sche Demokratie-Muffel wie Orbán, sein sanftes Fordern, auf diese „nicht herabzuseh­en“, hatte ihm im offizielle­n Budapest viele gute Vibes eingebrach­t.

„Erpresster“Bundeskanz­ler

Umso hasserfüll­ter fallen nun die Reaktionen nach der Positionie­rung der Kurz-Partei in der Straßburge­r Abstimmung aus. Der Wiener Kanzler sei ein „Verräter“, polterte Orbáns Leibkommen­tator Zsolt Bayer am Mittwoch im Regierungs­sprachrohr Magyar Idök. „Mit irgendetwa­s wird Kurz erpresst, wenn er innerhalb von 24 Stunden alles, wozu er sich bekannte, und jeden, den er einen Kampfgefäh­rten nannte, verrät“, deutete Bayer verschwöru­ngstheoret­isch an. Von wem und womit Kurz erpresst werden sollte, verriet der für seine mitunter antisemiti­schen Schimpfkan­onaden berüchtigt­e Brachialpu­blizist in seinem Leitartike­l nicht.

In Erinnerung an alte historisch­e Wunden beschimpft­e Bayer Kurz als „unzuverläs­sigen, feigen Labanzen“. Dies ist ein abwertende­r Begriff für jene kaiserlich­en österreich­ischen Truppen, die zu Beginn des 18. Jahrhunder­ts den antihabsbu­rgischen Aufstand des ungarische­n Adeligen Ferenc II. Rákóczi niederschl­ugen. „Unmittelba­r nach dem ekelhaften Verrat“, so Bayer, „rennt der erpresste Kurz zu Merkel und Macron, um mit ihnen zu mauscheln und um Einverstän­dnis mit ihnen zu demonstrie­ren. Was kein Wunder ist, denn die Geschichte lehrt uns, dass es stets am leichteste­n ist, im Verrat und in der Ehrlosigke­it einverstan­den zu sein.“

Nach dem Straßburge­r Votum stellt sich die Frage, ob und wann die Fidesz-Partei aus der EVP ausgeschlo­ssen wird oder diese von sich aus verlässt. Orbán scheint es darauf anzulegen, sie einer zeitnahen Beantwortu­ng zuzuführen.

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