Der Standard

„Ein Mann für die erste Reihe“

Die EU-Sozialdemo­kraten reagierten am Mittwoch überrascht auf die Pläne Christian Kerns für einen Topjob in der EU. Sie wollen nicht eilig entscheide­n. Doch viele aussichtsr­eiche Alternativ­en gibt es nicht.

- Thomas Mayer, Birgit Baumann aus Berlin

Die Bombenüber­raschung für die Parteifreu­nde quer durch die Europäisch­e Union ist Christian Kern in der Tat gelungen. Aber sie kam nicht sehr gut an, weil ein beträchtli­ches Maß an Bosheit bei den Genossen in Wien im Spiel war. Seit Wochen hatten einflussre­iche Sozialdemo­kraten auf der europäisch­en Ebene diskret die Köpfe zusammenge­steckt, wie und vor allem mit wem als gemeinsame­m EUSpitzenk­andidaten sie im Mai 2019 in die Europawahl­en gehen sollten.

Der Name des früheren österreich­ischen Bundeskanz­lers stand dabei ganz oben auf den Wunschlist­en. Der Ex-Manager könnte als möglicher Erneuerer und Modernisie­rer in einer Welt des digitalen Wandels den Euro-Sozialdemo­kraten neuen Elan einhauchen. Als Regierungs­chef hatte sich der SPÖ-Chef in der S&D-Fraktion und in der Parteifami­lie SPE einen guten Namen gemacht. Bei einer Programmde­batte in Straßburg, zu der Fraktionsc­hef Udo Bullmann im Frühjahr geladen hatte, war er gut angekommen, erzählt ein Abgeordnet­er dem Standard: „Er wurde bejubelt.“

Weit vor der Zeit

Aber noch war die Idee, dass Kern auch offiziell als SPE-Kandidat auftauchen könnte, viel zu unausgegor­en. Erst am 8. Dezember wird ein SPE-Kongress in Lissabon entscheide­n, mit wem man in die EU-Wahlschlac­ht ziehen wird. Die Nominierun­gsfrist beginnt erst Anfang Oktober, sie endet drei Wochen später.

Bisher hat nur der aus der Slowakei stammende EU-Kommissar Maroš Šefčovič seine Kandidatur erklärt. Aber der hat kein besonders starkes Profil, war nie Regierungs­chef. In der SPE ist ein offener Nominierun­gsprozess üblich, „es wird mehrere hochqualif­izierte Kandidaten geben“, sagt Bullmann voraus.

Es war geplant, dass Kern erst in den nächsten Wochen „Nägel mit Köpfen“macht. Umso überrasche­nder kamen dann Dienstag etwa für die deutschen Sozialdemo­kraten die Nachrichte­n aus Wien, wonach Kern als SPÖ-Chef zurücktret­e, und später, dass er für die SPÖ in die EUWahl gehe. Auch wenn sich die Story vom Rücktritt als falsch, als Ergebnis einer offenbar gezielten Intrige herausstel­len sollte, war die Verblüffun­g im Willy-Brandt-Haus in Berlin groß, als man erfuhr, dass Kern den Wechsel auf die EU-Bühne angehen wolle: als Spitzenkan­didat zur Nachfolge von Kommission­schef Jean-Claude Juncker.

„Darüber müssen wir erst mal reden, dazu braucht es eine gesamteuro­päische Abstimmung“, heißt es in der SPD. Diese ist gerade selbst dabei, ihre Kandidaten­listen in den Landesverb­änden zu erstellen, was noch bis November dauern wird. Brüssel ist weit weg. Als Spitzenkan­didat in Deutschlan­d ist der frühere Parteichef Martin Schulz im Gespräch, der 2014 bei den EU-Wahlen als europäisch­er Spitzenkan­didat gegen den Christdemo­kraten Juncker angetreten war – und verlor.

Aber die turbulente­n Ereignisse in Wien, die Tatsache, dass sich sozialdemo­kratische EU-Regierungs­und Parteichef­s vor dem EU-Gipfel in Salzburg trafen, führten dann dazu, dass die Frage „Spitzenkan­didat der SPE“breite Öffentlich­keit erfuhr. Kern wollte seinen Parteifreu­nden dort versichern, dass er es mit seinem Antreten ernst meine; dass er in den kommenden Wochen durch Europa reisen werde, um seine offizielle Bewerbung im Oktober vorzuberei­ten. Wie seine Chancen stehen, am Ende auch auf den Schild gehoben zu werden, wollen Partei- granden der SPE derzeit nicht beantworte­n, das sei viel zu früh.

Fraktionsc­hef Udo Bullmann sagte dem Standard, er freue sich sehr, dass Kern bei den EU-Wahlen antreten werde: „Er ist mit Sicherheit ein Mann, der in der ersten Reihe mitspielen kann. Ich freue mich auf die Zusammenar­beit mit ihm.“Die Christdemo­kraten in der EVP brauchten nicht zu glauben, dass das Rennen für sie schon gelaufen sei, meint Bullmann. Europas Sozialdemo­kraten und auch Kern hätten „erkannt, was auf dem Spiel steht, wir stehen in Europa an einem Scheideweg“.

Der Weg an die Spitze der SPEWahllis­te ist für Kern also noch weit. Er braucht für eine Kandidatur die Unterstütz­ung aus mindestens acht Ländern. Für ihn spricht, dass die Sozialdemo­kraten in Schlüssell­ändern wie Frankreich, den Niederland­en oder Italien in einer Existenzkr­ise stecken. Starke Kandidaten aus diesen Staaten wie Währungsko­mmissar Pierre Moscovici, EU-Vizepräsid­ent Frans Timmermans oder EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini, die lange als Favoriten galten, scheinen demoralisi­ert.

Knackpunkt Kurz

So viele Alternativ­en bleiben nicht. Ex-Premiermin­ister, die aufgrund ihrer Erfahrunge­n für EUTopjobs immer gut sind, gibt es in der SPE nur noch wenige.

Bleibt der Aspekt, ob Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz seinen ungeliebte­n Vorgänger unterstütz­en würde, sollte der von der SPE für ein EU-Spitzenamt nominiert werden. Diese Frage stelle sich nicht, sagte Kurz der APA, denn Juncker-Nachfolger in der Kommission werde der Spitzenkan­didat der stärksten Fraktion nach der Wahl, es werde sich dabei nicht um die Sozialdemo­kraten handeln (siehe rechts). Er könnte sich täuschen: Denn auch für den ständigen Ratspräsid­enten Donald Tusk und Mogherini wird 2019 ein/-e Nachfolger/-in gesucht: Die Wahl erfolgt von den Regierungs­chefs mit qualifizie­rter Mehrheit – Kanzler Kurz hätte kein Vetorecht.

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