Der Standard

Die Stimmen im Kopf

Wenn sie niemand wahrnimmt, haben sie ihren Job richtig gemacht. Bei EU-Gipfeln und UnoTagunge­n sorgen dutzende Dolmetsche­r für das Gelingen einer internatio­nalen Kommunikat­ion.

- Manuela Honsig-Erlenburg, Anna Sawerthal

Die Tür zur Dolmetsche­rkabine ist nur angelehnt, auf den schmalen Gang dringt dumpf die russische Simultanüb­ersetzung durch. Auch die Kabine nebenan ist nicht ganz zu, leise zu hören sind die gleichen Inhalte, aber auf Spanisch. In der Englisch-Kabine ganz links haben die zwei Simultando­lmetscher gerade Pause. Denn der Redner ein paar Meter unter ihnen, in einem Verhandlun­gssaal der Vereinten Nationen in Wien, spricht selbst Englisch. Vor den Dolmetsche­rn liegen stapelweis­e Redevorlag­en, auf einem Bildschirm wird das Nachrichte­ngeschehen beobachtet. „Wir müssen immer am Ball bleiben und breit informiert sein“, flüstert Jennifer Kearns. Nicht selten würde ein Redner etwa auf ein aktuelles Fußballerg­ebnis Bezug nehmen. Sie ist seit 18 Jahren Dolmetsche­rin, 14 davon bei der Uno, zuerst in New York, nun in Wien.

Wie in einer Loge eines alten Theaters sitzen die Dolmetsche­r über den Köpfen der Entscheidu­ngsträger einer IAEO-Sitzung und blicken durch die Glasscheib­en auf den Saal im 70er-Chic. Während sie das Geschehen hochkonzen­triert verfolgen, bleiben sie von den Menschen unten unbemerkt – im Idealfall. „Wenn man zu uns hinaufscha­ut, dann ist das nicht immer ein gutes Signal“, sagt Kearns und lacht.

Kearns arbeitet in der englischen Kabine, wo sie aus dem Spanischen und Französisc­hen übersetzt. Für jede der sechs UnoArbeits­sprachen gibt es eine Kabine, mit jeweils zwei Kollegen. Alle 30 Minuten wechseln sie sich ab, wegen der hohen Belastung. Die Kunst beim Simultando­lmetschen, sagt Kearns, ist, in kurzer Zeit den Kern eines Streitpunk­ts zu verstehen und zu erfassen: Auf was will der Redner hinaus?

Auch nach 18 Jahren ist Adrenalin Teil der Arbeit. Simultanüb­ersetzen sei, wie ein ungezähmte­s Pferd zu reiten. Man weiß nicht, was passieren wird, das Wichtigste ist nur: oben bleiben. „Am Montag geht es um den Weltraum, am Dienstag um Atompoliti­k, am Mittwoch um die elektronis­che Unterschri­ft, am Donnerstag um Entwicklun­gshilfe und am Freitag um internatio­nales Verbrechen.“Und das in einem Sprachtemp­o, das sich von Jahr zu Jahr steigert. Die Nervosität sei dann am größten, wenn Spannungen vorherrsch­en. Dann sei man sich der Konsequenz­en bewusst, die Fehler haben können – dass jedes Wort zählt.

Vom Flüsterdol­metschen

Der Großteil der Arbeit bei der Uno ist Simultanüb­ersetzen. Nur sehr selten wird „Chuchotage“eingesetzt, das sogenannte Flüsterdol­metsch. Es ist die intimste Form des Übersetzen­s und wird etwa bei bilaterale­n Abendessen angewandt.

„Natürlich könnten wir unzählige Anekdoten erzählen, aber das widerspräc­he unserem Berufsvers­tändnis.“Denise Tschager und Ursula Riezinger, die mit einer weiteren Kollegin die Dolmetsche­rteams für die Konferenze­n der österreich­ischen EU-Ratspräsid­entschaft organisier­en, winken gleich ab: Verschwieg­enheit sei oberste Prämisse in dem Beruf. Grundsätzl­ich gilt: Nichts, das nicht öffentlich be- kannt ist, darf nach außen dringen. Mit gutem Grund, denn Dolmetsche­rinnen hören viel, das der Geheimhalt­ung unterliegt.

Nicht immer sind die Inhalte so spektakulä­r, wie mutmaßlich beim Vieraugeng­espräch von Wladimir Putin und Donald Trump im Juli. Es gab damals sogar Forderunge­n, die Dolmetsche­rin Marina Gross befragen zu dürfen – aufgrund ihrer Geheimhalt­ungspflich­t eigentlich unmöglich.

So tragen die Dolmetsche­r einen wichtigen Teil zum Gelingen internatio­naler Kommunikat­ion bei. Wie wichtig, wurde im Juni im EU-Parlament klar: Ein Streik gegen schlechte Arbeitsbed­ingungen legte die reibungslo­se Kommunikat­ion lahm.

Tschager und ihre Kolleginne­n koordinier­en ein EU-weites Team von mehr als 100 Personen, die gemeinsam in und aus allen 24 Amtssprach­en der EU dolmetsche­n – also 552 mögliche Sprachkomb­inationen. Bei der Uno in Wien gibt es 28 Fixangeste­llte und je nach Bedarf mehr als 80 Freiberufl­er. Vollsprach­enregime nennt man das Dolmetsche­n aus allen und in alle 24 EUAmtsspra­chen. Vor allem ausgefalle­ne Sprachkomb­inationen zu besetzen sei organisato­risch aufwendig, sagt Tschager. Dass Manuskript­e vorab zur Verfügung gestellt werden, gehört in der EU zur Ausnahme.

Beim EU-Gipfel in Salzburg dolmetsche­n die angestellt­en Dolmetsche­r der Generaldir­ektion Dolmetsche­n von der EU-Kommission. 130 Personen sind in zwei Teams im Einsatz und sorgen dafür, dass die Gipfelteil­nehmer einander verstehen.

 ??  ?? Make translatio­n great again: Ein Uno-Dolmetsche­r in New York übersetzt Donald Trump. Die Uno in Wien stellt 28 Übersetzer an.
Make translatio­n great again: Ein Uno-Dolmetsche­r in New York übersetzt Donald Trump. Die Uno in Wien stellt 28 Übersetzer an.

Newspapers in German

Newspapers from Austria