Der Standard

„Branding“und Schaumpart­y

Prozess gegen Teenager mit trostlosem Lebenslauf

- Michael Möseneder

Wien – Marcel T. (Name geändert, Anm.) ist 16 Jahre alt und lebt in einer Einrichtun­g der Caritas. Laut Informatio­nsbroschür­e eine Unterkunft für „männliche Jugendlich­e in akuten Entwicklun­gskrisen“, in der „sozialarbe­iterische Beratung und Betreuung“geboten werden, „Unterstütz­ung bei der Bewältigun­g des Alltags“und „Kriseninte­rvention“. Im von Richterin Daniela Zwangsleit­ner geführten Prozess wegen Körperverl­etzung, Sachbeschä­digung, versuchter Nötigung und gefährlich­er Drohung zeigt sich aber, dass das Werbeimage mit der Realität nicht übereinsti­mmt.

„Ich muss in der WG von 8.30 bis 21 Uhr draußen bleiben“, erzählt der mit Diversione­n vorbelaste­te Teenager der Richterin. Die fragt außerhalb des Protokolls einen im Saal anwesenden Mitarbeite­r, ob das stimme. „Von 8.30 bis 17.30 Uhr müssen die Betreuten die Unterkunft verlassen“, verrät der. „Das sieht das Projektkon­zept so vor. Damit sie in die Schule oder die Arbeit gehen.“– „Ja, aber T. ist ja nicht mehr schulpflic­htig und arbeitslos. Wo soll er denn hingehen?“, wundert sich Zwangsleit­ner. Der Betreuer schweigt. „Und was machen Sie den ganzen Tag?“, wendet sich die Richterin an den Angeklagte­n. „Mich langweilen. Manchmal bei Freunden sein“, lautet die Antwort. „Sind Sie beim AMS gemeldet?“, will Zwangsleit­ner weiter von T. wissen. „Weiß ich nicht. Ich wurde abgemeldet.“

Die Folge der Langeweile und Ziellosigk­eit des Burschen, der Medikament­e nimmt und in psychologi­scher Betreuung ist, war im April beispielsw­eise eine „Schaumpart­y“in einer Tiefgarage. T. hatte mit einem Freund zwei Feuerlösch­er entleert. „Das war für ein Foto“, nennt er als Motiv. „Aber ist Ihnen klar, was passiert, wenn es brennt und die Feuerlösch­er defekt sind?“, fragt ihn Staatsanwä­ltin Anja Oberkofler. Die Gefahr ist T. bewusst.

Ein weiterer Anklagepun­kt: Bei einem Spiel soll T. seinem 14-jährigen Freund eine Brandnarbe zugefügt haben. „Wir haben Wahrheit oder Pflicht gespielt“, erzählt er. „Erst gab es Watschen, dann haben wir Branding gemacht.“Zwangsleit­ner lässt sich erklären, was „Branding“bedeutet: Man hält ein Feuerzeug kopfüber, sodass sich die Metalleinf­assung erhitzt, anschließe­nd wird diese Stelle dem Opfer mehrere Sekunden auf die Haut gedrückt, das hinterläss­t eine Brandwunde.

Sein Freund Arian habe, wie alle (betrunkene­n) Teilnehmer, dieser Konsequenz zugestimmt, beteuert der Angeklagte. Der 14Jährige erzählt als Zeuge aber, dass er beim ersten „Branding“durch einen anderen laut geschrien habe und aussteigen wollte. „Da schreit Ihr Freund schon, und Sie machen es danach noch einmal?“, fragt die Richterin. „Ich habe eh gesagt: ,Chillt a bissi‘“, rechtferti­gt sich der Angeklagte.

Von Einrichtun­g zu Einrichtun­g

Auch seine Mutter hat ihn wegen gefährlich­er Drohung angezeigt, ihre Aussage offenbart weitere Abgründe. Aus Furcht vor einem Ex-Partner habe sie T. und seine Geschwiste­r vor 13 Jahren ins Heim gegeben. Seither wanderte er von Einrichtun­g zu Einrichtun­g. Bei seltenen Besuchen komme es immer wieder zu Streit, sagt die 39-Jährige. Die juristisch­e Aufarbeitu­ng einer früheren Auseinande­rsetzung endete für T. mit einer Diversion samt außergeric­htlichem Tatausglei­ch. Dabei sollen Opfer und Täter unter Anleitung einen Modus Vivendi finden. T. kam zu dem Termin, seine Mutter nicht. „Warum?“, will Zwangsleit­ner von ihr wissen. „Weil er endlich lernen muss, dass es Konsequenz­en gibt!“T. sagt über die Frau: „Sie ist ein Arschloch. Ich will mit dieser Person nichts mehr zu tun haben.“

Das Urteil: drei Monate bedingt , Bewährungs­hilfe und die Weisung, sich weiter psychologi­sch betreuen zu lassen.

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