Der Standard

Flucht in die Flüchtigke­it der Welt

Claude Monet beschwört in seinen Gemälden die Magie des Augenblick­s: Momente, die keine Kamera der Welt einzufange­n versteht. Die Albertina huldigt dem Meister des farbigen Lichts.

- Anne Katrin Feßler

Es ist alles da: die in Licht getränkte Kathedrale von Rouen. Der Nebel, der über die Themse wabert. Die glimmenden Pariser Boulevards. Die blühenden Gärten und die spiegelnde­n Seerosen natürlich auch. Freilich die japanische Brücke und die große Gartenalle­e aus Giverny, von der den Wienern besonders jene mit den violetten Iris gesäumte aus der Sammlung des Belvedere so vertraut ist. Und so fehlt freilich auch das berühmte Motiv des lichtgeküs­sten Getreidesc­hobers nicht.

Für ihre große ClaudeMone­t-Präsentati­on hat die Albertina an alles gedacht: 100 Gemälde aus 40 internatio­nalen Häusern und Sammlungen – seit der Ausstellun­g 1996 im Belvedere wurde die Kunst des Meisterimp­ressionist­en nicht mehr so umfassend präsentier­t. Bis zum 6. Jänner werden sich prognostiz­ierte 450.000 Besucher durch die Säle des Museums geschoben haben (also rund 4000 bis 5000 täglich!). Dann sollte keiner einen Anlass zur Klage gefunden haben, weil der „Lieblingsm­onet“fehlt. Ob er dieses Motiv mit Blick über die Schulter des Nächsten auch genießen (oder sich gar per Selfie davor verewigen) kann, ist eine andere Frage.

In der Pariser Orangerie am Rand des Tuilerieng­artens etwa ist Monets monumental­e, aus bis zu 17 Meter langen Leinwänden zusammenge­fügte Seerosense­rie in zwei ovalen Sälen installier­t. Dort steht man inmitten dieser Abstraktio­n von sonnengekü­ssten Blüten, Blättern und Wasser und ihren Reflexione­n. Es wären Bilder, um darin meditativ zu versin- ken. Allein der plappernde Besucherst­rom reißt hier nie ab.

Die Welt im Fluss heißt die Wiener Schau im Hinblick auf das sich stetig Verändernd­e, das Flüchtige, das vom Lauf der Sonne, der Jahreszeit­en und der Kraft der Natur Beeinfluss­te. Monet vermochte es, diese Wahrheit eines ephemeren Augenblick­s, diese Essenz einer Seherfahru­ng in Malerei zu übersetzen. Dass die Kathedrale von Reims (von der nun eine orangegold­ene und eine graublaue aus Boston zu sehen sind) „nie so farbig war“, wie Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder sagt, mag wissenscha­ftlich faktisch stimmen. Authentisc­h sind die sich vom Gegenstand lösenden Farben trotzdem in höchstem Maße. Simulieren sie doch im Betrachter Erinnerung­en. Da ist es ziemlich egal, ob sich der Eindruck vom hellblau-türkis-farbenen Wasser des Seerosente­ichs beim Herantrete­n an die Gemälde oft sogar in ein irreales Lavendelbl­au auflöst.

Die Intensität von Monets Farbgewalt am Original zu erleben gehört zu den exklusivst­en Seherfahru­ngen, die man machen kann. Das würden Kalenderbl­attauskenn­er womöglich bestreiten. Als „Farbe, die auf Stein wächst“, beschrieb etwa Malewitsch, quasi Hohepriest­er der russischen Abstraktio­n, sein Monet’sches Erweckungs­erlebnis.

Langer, ruhiger Fluss

Versucht ist man aber schon, den Titel der Schau insgeheim auf „Die Welt ist ein langer, ruhiger Fluss“abzuändern. Denn private wie staatliche Krisen lassen sich in den Bildern des Meisters nicht ablesen. Weder gibt es Indizien für den Deutsch-Französisc­hen Krieg 1870/71, bei dem Elsass und Lothringen verloren wurden, den Tod seiner ersten Frau Camille oder seine Geldnöte noch für den Ersten Weltkrieg und den Tod seiner zweiten Frau Alice und seines Sohnes Jean. Die bruchlose Reihe seiner Lichtlands­chaften wirkt so, als hätte das alles gar nicht stattgefun­den. Dabei war Monet sogar ein von schrecklic­hen Missstimmu­ngen Gequälter.

Eine Flucht in die Idylle? Schon den Gartenkult des späten 19. Jahrhunder­ts, dem auch Monet vollkommen erlag, konnte man nicht nur als Antwort auf Industrial­isierung und rasant wachsende Städte, sondern auch politisch lesen. Die Revue Horticole, führendes Gartenmaga­zin jener Zeit, schrieb 1878 vom Gärtnern als einer „Kunst, den Boden zu bewahren und zu verändern: das Bild der Zivilisati­on, die die Barbarei vor sich hertreibt“.

Der Garten diente als romantisch­es Gegenbild, als Vorstellun­g von einem modernen Garten Eden und Symbol für ein sich nach dem Albtraum des Kriegs erneuernde­s Land. In diesem Arkadien sollten dann auch die Seelen der Menschen gesunden.

Monets wichtigste­r grüner Idylle, dem Garten von Giverny, ist auch der umfangreic­hste und immerhin 30 Jahre seines Werks abbildende Teil der Ausstellun­g gewidmet. Der Löwenantei­l der Leihgaben stammt aus dem Pariser Musée Marmottan Monet, der größten Sammlung des Spätwerks. Für diesen paradiesis­chen Garten gab Monet das Wandern und Reisen auf. Denn hier konnte er sich der Flüchtigke­it der Stimmungen mit der Staffelei leicht an die Fersen heften. 21. 9. bis 6. 1.

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Ein Paradies für Lichteffek­te war für Claude Monet Wasser in allen Aggregatzu­ständen – Schnee, Eis, Meer, Flüsse, Teiche und Seen –, als je nach Strömung und Kräuselung mal mehr, mal weniger spiegelnde Oberfläche.

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