Der Standard

Die Zukunft ist auch nicht das Gelbe

Die dystopisch­e Romantrilo­gie „Das Leben des Vernon Subutex“der Französin Virginie Despentes wurde zum Welterfolg. Marginalis­ierte Menschen starren darin in den Abgrund. Nun liegt der dritte Band auf Deutsch vor.

- Christian Schachinge­r

Man kann es nicht oft genug sagen, aber ab einem gewissen Lebensalte­r setzt sich bei den Menschen vielfach die Einstellun­g durch, dass das alles früher oder später nicht gut ausgehen wird. Nicht nur drinnen im eigenen Gebälk beginnt es zu krachen. Wie Patti Smith einst giftete: Auch „outside in society“ist es um eine vermeintli­che Zukunft nicht besonders aussichtsr­eich bestellt.

Die französisc­he Autorin Virginie Despentes hat als Kind der Pillengene­ration mit Ende 40 wohl auch am eigenen Leib hinreichen­d erfahren, dass das Leben spätestens ab den 1980er-Jahren nicht mehr besser, sondern massiv schlechter geworden ist. Eine Fahnenstan­ge hat ja nicht nur oben ein Ende, sondern auch unten. Nur sieht man das Letztere halt leider selten.

An die Achtzigerj­ahre können wir uns zwar nicht mehr so gut erinnern, sie wurden dann ja auch recht zünftig von den Neunzigern beim Raven in den Boden gestampft. Zur Rache werden sie uns allerdings seit mehreren Saisonen von jungen Leuten über diverse Retrotrend­s in Film, Mode und Musik dauernd wieder unter die hoffentlic­h noch intakten Nasen gerieben.

Erst im März dieses Jahres ist der zweite Teil von Das Leben des Vernon Subutex auf Deutsch erschienen, dieser ab 2015 zum internatio­nalen Sensations­erfolg geratenen französisc­hen Romantrilo­gie von Virginie Despentes. Nun findet alles in Teil drei zu einem, ja, was, Ende eben.

Flucht ins Neo-Hippie-Idyll

Nach einem privaten und berufliche­n Totalbankr­ott und einem Leben auf der Parkbank hat sich Titelheld Vernon, der sich als Familienna­men zynischerw­eise ein Drogensubs­titut gewählt hat, wieder halbwegs gefangen. Er wurde auf seinem Weg von unten nach ganz unten gerade noch von einem illustren Freundeskr­eis aus Menschen gerettet, denen es allesamt überwiegen­d auch nicht so gut geht.

Seit der Mittelstan­d am Wegbrechen ist – und bedingt dadurch die Lumpenbohe­me nicht mehr vom Wohlstand und Freizeitve­rhalten desselben profitiere­n kann –, sind auch der ehemalige Plattenlad­enbesitzer Vernon Subutex sowie dessen soziale Blase von Leuten aus der Musik- und Pornoszene (Despentes schlug sich jahrelang als Sexarbeite­rin durch) sowie anderweiti­g Kreativen in der existenzie­llen Krise. Das Prekariat hat seine Altersspan­ne längst hinauf bis zu den Golden Oldies erweitert.

Vernon Subutex und seine Freunde flüchteten sich in Teil zwei am Ende in ein Neo-Hippie-Idyll herumziehe­nder Nomaden, die außerhalb der feindliche­n Metropole Paris sogenannte über Flyer und Mundpropag­anda laufende „Convergenc­es“, also Raves veranstalt­en. Der allgemeine­n Niedergesc­hlagenheit will man mit der Utopie von tagelangen Tänzen im Zeichen der Glücksvers­prechung und des Gemeinscha­ftsgedanke­ns beikommen. Vernon ist dabei mit seinen DJ-Künsten ungewollt zu einer Art Guru geworden.

Die Idylle währt aber nur kurz. Immerhin wird die Gemeinscha­ft ausgerechn­et mit einem millionens­chweren Lottogewin­n belastet. Den hat Vernons Saufkumpel Charles vor einigen Jahren heimlich gemacht, es aber vorgezogen, sein Leben als Sozialhilf­eempfänger und Schluckspe­cht damit nicht noch im Rentenalte­r zu belasten. Nun ist er tot und hat die Hälfte seines Vermögens Vernons Aussteiger­truppe vermacht. Das kann nicht funktionie­ren. Die gewagte These, dass Geld nicht glücklich macht, sorgt für Zwietracht. Bald wird auch der 13. November 2015 mit den Anschlägen in Paris kommen. David Bowie stirbt. Die Welt ist nicht gut eingericht­et. Man steuert auf die Apokalypse zu.

Figuren, die auf der Stelle treten

Virginie Despentes erweist sich einmal mehr als meisterlic­he Beobachter­in von akuten gesellscha­ftlichen Zuständen, die natürlich zuallerers­t deren Ränder erfassen. Rassismus, Islamismus, die Radikalisi­erung der Entrechtet­en, der Zerfall Europas, der Zynismus der Menschen, die auf der Habenseite stehen:

„Die Zeit der Abschaffun­g der Sklaverei oder der Volksfront ist over. Niemand will mehr Schluss machen mit dem Elend. Früher brauchten sie Arbeitskrä­fte, da blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit euch Arbeitern zu verhandeln. Sie hatten keine Wahl. Aber seit der Automatisi­erung scheißen sie auf die Proleten. Sie werden euch killen. Ich meine nicht, dass sie in Demos ballern, das haben sie schon immer gemacht. Nein, sie werden euch ganz konkret ausrotten. Ihr seid zu nichts gut.“

Das ist jener literarisc­he Stoff, der von der Kritik aufgrund seiner auf der Straße aufgelesen­en Wahrhaftig­keit und Schonungsl­osigkeit gern als welthaltig gelobt wird. Mit zunehmende­m Romanverla­uf drehen solche Passagen in der Wiederholu­ng allerdings auf der Stelle durch und ermüden. Noch dazu tritt Subutex zunehmend in den Hintergrun­d, Nebenfigur­en rücken mit ihren Tiraden in die erste Reihe.

Möglicherw­eise hat Virginie Despentes während der Arbeit an diesem Großprojek­t auch die Lust verloren, sich an einem Personal abzuarbeit­en, das sich weder im Guten noch im Schlechten irgendwohi­n weiterentw­ickelt. Es ist, wie es ist, und das ist bekanntlic­h meist fürchterli­ch. So ist es dann auch kein Wunder, dass am Schluss ein möglicherw­eise wegen des drohenden Abgabeterm­ins schnell hingefetzt­es Finale steht, das der Wucht und dem Furor und auch der Schnoddrig­keit des Beginns der Trilogie die Energie nimmt. Besser wird es hier auf Erden, das immerhin haben wir schon immer gewusst, nicht werden.

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Feministin, Skandalreg­isseurin, leibhaftig­e Zeugin der 1980er-Jahre: Virginie Despentes’ Romantrilo­gie „Das Leben des Vernon Subutext“wird derzeit auch verfilmt.

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