Der Standard

Hebamme Egger: Österreich­erin an Bord

-

Eigentlich hätte die erste Österreich­erin schon früher an Bord des Rettungssc­hiffs Aquarius gehen sollen. Doch Nina Egger reiste im Februar dieses Jahres nach Bangladesc­h, wo im Projekt der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen ein akuter Mangel an Hebammen herrschte. Bis Juni war die 32-jährige Grazerin in einem der Flüchtling­slager der in Myanmar verfolgten RohingyaMi­nderheit im Einsatz.

In Cox’s Bazar kämpfte sie um die Akzeptanz der Frauen und ihrer Familien. „Die Leute erzählten Frauen, dass sie in Spitälern in Myanmar horrende Summen bezahlen mussten, und wenn sie das nicht taten, wurden sie geschlagen oder schlecht behandelt.“Viele Rohingya-Frauen gebaren ihre Kinder deshalb mithilfe von traditione­llen Geburtshel­fen – oft die älteren Frauen der Gemeinscha­ft. Diese verabreich­ten aber laut Egger auch falsche Medikament­e oder traditio- nelle Arzneien, die die Wehen beschleuni­gten. „Unsere größte Sorge war die hohe Kinderster­blichkeit“, erzählt die 32-Jährige.

Mit hoher Kinderster­blichkeit war Egger bereits zuvor konfrontie­rt: bei ihrem Einsatz in der haitianisc­hen Hauptstadt Port-au-Prince von Ende 2016 bis Anfang 2017. Sterben in Österreich laut Statistik rund drei Kinder auf 1000 Lebendgebu­rten, liegt die Zahl in Haiti bei 46,8.

Für Nina Egger war immer klar, dass sie Hebamme werden wollte. Ihre Mutter erzählte ihr zu jedem Geburtstag die Geschichte ihrer Geburt: Sie hatte es als Neugeboren­es offenbar eilig und ihre Mutter Angst, dass das Kind noch im Auto zur Welt kommen würde. Doch eine Hebamme beruhigte sie und nahm ihr die Panik.

Das ist nun auch Eggers Aufgabe an Bord des Schiffs, das gemeinsam von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée betrieben wird. Sie ist als einzige Hebamme an Bord, vor allem für schwangere Frauen zuständig, aber auch für alle anderen weiblichen Geretteten und Kinder. Zu ihren Aufgaben zählt neben den normalen Gesundheit­schecks auch die Betreuung von Opfern sexueller Gewalt. „Dazu führen wir am zweiten Tag nach der Rettung ein Gespräch in Kleingrupp­en“, erklärt die Grazerin. In sehr allgemeine­n Worten wird thematisie­rt, dass viele Gerettete von sexueller Gewalt berichten, die ihnen widerfahre­n ist.

Dabei fühlt Egger, dass dieser Einsatz anders ist als die anderen zuvor. Die Medienpräs­enz spürt sie nicht nur durch die anwesenden Journalist­en an Bord: „Bis jetzt waren die Reaktionen auf meine Missionen eher dürftig – und wenn, dann positiv. Das hat sich geändert“, erzählt sie. Dabei kann sie nicht verstehen, wieso man die Aquarius als „Fährschiff“nach Europa bezeichnet: „Wir verspre- chen den Leuten nichts an Bord.“Und Egger fügt hinzu, dass die Fluchtrout­e über das Mittelmeer bereits viel länger besteht, als sich Schiffe von NGOs vor Ort befinden: „Die Menschen nehmen den Weg auch auf sich, wenn wir nicht da sind“, sagt sie. (bbl)

 ?? Foto: Bianca Blei ?? Die Grazerin Nina Egger ist als Hebamme an Bord der Aquarius.
Foto: Bianca Blei Die Grazerin Nina Egger ist als Hebamme an Bord der Aquarius.

Newspapers in German

Newspapers from Austria