Der Standard

„Tennisfans unterschät­zen die Regelkunde“

Jörg Bachl, Schiedsric­hterrefere­nt im Tennisverb­and, beantworte­t zwar nicht alle Fragen, die sich aus aktuellem Anlass stellen, gibt aber Einblicke.

- Andreas Hagenauer

Serena Williams matchte sich im US-Open-Finale mit dem Stuhlschie­dsrichter, Nick Kyrgios wurde von einem Referee gecoacht bis angespornt. Das Tennis-Schiedsric­hterwesen ist im Gerede. Grund genug, den heimischen Schiedsric­hterdelegi­erten zu befragen. Bloß: Der internatio­nale Verband hat seine Vorgaben, aktuelle Ereignisse auf der Tour werden nur per Aussendung kommentier­t. Allgemeine­s darf beantworte­t werden, auch die Antworten darauf sind interessan­t.

Standard: Ist Tennis noch immer der sogenannte Gentlemen-Sport? Bachl: Grundsätzl­ich ist es so, dass dem Schiedsric­hter im Tennis von den meisten Spielern mit großem Respekt begegnet wird. Wo Schiedsric­hter eingesetzt werden, sind Eklats die Ausnahme. Da ist es egal, ob österreich­ische Bundesliga oder Grand-Slam-Turnier.

Standard: Beim Fußball geht es in den unteren Ligen wilder zu. Bachl: Im Tennis gibt es bis zur Landesliga keine Schiedsric­hter. Also kann ich gar nicht sagen, ob es da rabiater wird.

Standard: Wieso wird man also Tennisschi­edsrichter? Bachl: Das passiert in den meisten Fällen eher zufällig. Mich hat damals mein Tennisklub gefragt, ob ich beim vereinsint­ernen Tennisturn­ier aushelfen könnte, dann habe ich mich dazu entschloss­en, die Ausbildung zu machen. Standard: Wie sieht die Ausbildung konkret aus? Bachl: Die Ausbildung in Österreich ist zweistufig. Die erste Stufe wird von den Landesverb­änden organisier­t, dann kommt die ÖTVAusbild­ung, die ich mit meinem Team leite. Hauptsächl­ich geht es um zwei Punkte: einerseits die Regelkunde, die Tennisfans oder Spieler oft unterschät­zen. Darüber hinaus konzentrie­ren wir uns darauf, wie man mit den Spielern umgeht und sich selbst auf dem Platz präsentier­t. Die Kommunikat­ion ist immens wichtig.

Standard: Wie unterschei­den sich Anforderun­gen für Stuhlschie­dsrichter und Oberschied­srichter? Bachl: Der Stuhlschie­dsrichter ist direkt im Geschehen, muss direkt mit den Spielern kommunizie­ren, schnell richtig entscheide­n. Der Oberschied­srichter ist die weitere Regelinsta­nz und sollte den Überblick bewahren. Er steht dabei aber nicht so im Mittelpunk­t.

Standard: Bei Turnieren auf niedrigere­m Level gibt es ja oft gar keinen Stuhlschie­dsrichter. Bachl: Ja, da müssen sich die Spieler alles Unmittelba­re selbst ausmachen. Der Oberschied­srichter kommt, wenn es eine Regelinsta­nz braucht oder er einen aktiven Regelverst­oß sieht. INTERVIEW: Standard: Was ist schwierige­r zu leiten: ein Bundesliga­spiel oder ein Grand-Slam-Finale? Bachl: Die Anforderun­gen sind komplett unterschie­dlich. In der Bundesliga ist man als Schiedsric­hter allein auf dem Platz, ohne Linienrich­ter. Da geht es viel mehr darum, dass man den Ball richtig sieht. Im Grand-Slam-Finale rückt das in den Hintergrun­d, dafür ist die Kommunikat­ion immens wichtig. Man steht im Rampenlich­t, muss mit Spielern und Publikum kommunizie­ren.

Standard: Wird wird man Topschieds­richter? Bachl: Voraussetz­ung sind Einsätze. Nach der nationalen Ebene kann man auf internatio­nalem Level kleinere Turniere besetzen und sich dann für die „White-BadgeAusbi­ldung“bewerben, entweder für Stuhlschie­dsrichter, Oberschied­srichter oder Referee. Grundsätzl­ich wird man nach jedem Spiel von einem höher ausgebilde­tem Schiedsric­hter bewertet. Je besser die Bewertunge­n, desto eher besteht die Möglichkei­t, auf höherem Level eingesetzt zu werden. Das Top Level, die GoldBadge, wird einem verliehen.

Standard: Wovon hängen diese Bewertunge­n ab? Bachl: Man kennt das aus anderen Sportarten: Der Schiedsric­hter hat dann einen guten Job gemacht, wenn man nicht über ihn spricht. Das ist auch im Tennis so.

Standard: Kann man davon leben? Bachl: Wenn man sich internatio­nal einen Status erarbeitet hat, kann man das auf jeden Fall hauptberuf­lich machen. Auf nationaler Ebene können nur ganz wenige davon leben. Die Masse an Schiedsric­htern macht das aus Liebe zum Sport und als Hobby.

Standard: Es gibt weniger Schiedsric­hterinnen. Wieso? Bachl: Ich vergleiche das gerne mit Führungspo­sitionen in der Privatwirt­schaft. Da hinkt man auch noch hinterher. Aber gerade internatio­nal wird versucht, das Schiedsric­hterwesen für Frauen interessan­ter zu machen.

Standard: Ist es für Frauen schwierige­r auf dem Schiedsric­hterstuhl? Bachl: Nein, es geht darum schnelle Entscheidu­ngen zu treffen und souverän aufzutrete­n, gerade als Stuhlschie­dsrichter. Wenn man das macht, wird man auch als Frau sofort von den Spielern in dieser Rolle akzeptiert.

Standard: Wie bereitet man sich vor? Beschäftig­t man sich vor dem Spiel mit dem Ruf der Spieler? Bachl: Nein, spezielle Vorbereitu­ng gibt es keine, weil die große Aufgabe des Schiedsric­hters ja darin besteht, beide Spieler gleich zu behandeln. Sonst wäre man voreingeno­mmen. Womit man sich schon beschäftig­t, sind die unterschie­dlichen Sprachen. Es ist als Schiedsric­hter schon wichtig, dass man die Kraftausdr­ücke der unterschie­dlichen Sprachen kennt und versteht, wenn die Spieler ausfällig werden.

Standard: Wie wichtig ist Fingerspit­zengefühl, wie viel Spielraum hat man bei der Regelausle­gung? Bachl: Das Fingerspit­zengefühl bezieht sich nicht auf die Regelausle­gung, sondern auf die Kommunikat­ion mit den Spielern. Genau damit kann man Eskalation­en vermeiden. Das ist vielleicht eine der wichtigste­n Eigenschaf­ten, die man haben muss. Die Regeln aber bestehen, und Schiedsric­hter sind dazu da, sie umzusetzen.

JÖRG BACHL (34) ist Schiedsric­hterdelegi­erter des Tennisverb­andes (ÖTV). Er leitet seit 2003 Matches, ist Hauptveran­twortliche­r für die Schiedsric­hterausbil­dung in Österreich. Sein Brotjob: Personalle­iter bei Kika/Leiner.

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Foto: privat „Die Masse macht das aus Liebe zum Sport und als Hobby“, sagt Jörg Bachl.

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