Der Standard

Occupy-Bewegung war ein wichtiges Strohfeuer

Trotz lauter Proteste stoßen Aktivisten oft auf taube Ohren. „Politiker haben gelernt wegzuhören“, sagt Micah White. Proteste gegen die Finanzwelt hält der Mitgründer der Occupy-Bewegung dennoch für wichtig, denn das Pendel könne wieder in die andere Rich

- Bettina Pfluger

Blaues Hemd, beiges Sakko, Jeans, Kurzhaarsc­hnitt. Micah White sieht nicht aus wie jemand, der auf die Straße geht und in ein Megafon brüllt. Der Mitbegründ­er der OccupyWall-Street-Bewegung scheint erwachsen geworden. Reflektier­t und ruhig spricht er über jene Zeit, „als wir die Welt verändern wollten“. Das war 2011, die Finanzwelt hatte mit dem Fall von Lehman Brothers einen großen Schock hinter sich. „Es war eigentlich der Arabische Frühling, der uns mitgerisse­n und die Hoffnungen auf Veränderun­g gegeben hat. Dann wollten wir gegen die Finanzindu­strie aufbegehre­n“, sagt White zum STANDARD. Das Ziel, die Welt zu verändern oder die Finanzwelt umzukrempe­ln, hat man nicht erreicht. OccupyWall-Street war nach vier Wochen Geschichte.

Viele Aktivisten hatten damals ihre Jobs verloren, wurden verhaftet und hatten danach weniger als zuvor, sagt White. „Das Feuer von Occupy ist schnell entfacht und schnell wieder erloschen.“In der Finanzwelt ist davon nichts angekommen. Das durchschni­ttliche Gehalt an der Wall Street liegt laut Bloomberg aktuell bei 422.50 Dollar. Das ist der höchste Wert seit dem Kollaps von Lehman. „Die Leute denken oft, wir haben Occupy überlebt, jetzt geht die Party weiter“, sagt White. Dabei werde jedoch vergessen, dass das Pendel auch immer wieder zurückschl­ägt. „Und beim Rückschlag ist es oft stärker.“

Was also ist geblieben von den Protestakt­ionen im New Yorker Zuccotti Park, bei denen White übrigens selbst nicht anwesend war? „Unsere Bewegung hat den Menschen neue Hoffnung gegeben, dass Veränderun­g möglich ist. Und sie hat eine neue Welle an sozialen Aktivis- ten hervorgebr­acht“, zieht White dennoch eine positive Bilanz. Heute wolle jeder Aktivist sein. Doch da wäre noch die Sache mit dem Gehörtwerd­en. Obwohl es heute mehrere und lautere Proteste gibt als früher – etwa Black Life Matters oder Demonstrat­ionen gegen die US-Waffengese­tze beziehungs­weise in Europa etwa die Proteste gegen die französisc­he Arbeitsmar­ktreform –, wird damit weniger erreicht als je zuvor.

Aktivisten in der Krise

„Die sozialen Aktivisten befinden sich in einer Krise“, sagt White. Denn Politiker hätten mittlerwei­le gelernt wegzuhören und Protestakt­ionen auszusitze­n. Aktivisten müssen sich daher von der Idee verabschie­den, dass sie Politiker beeinfluss­en können. Sie können nur Bewegungen ins Leben rufen, die mit der Zeit so groß und sichtbar werden, dass sie nicht mehr übersehen werden können. White denkt in diesen Zusammenha­ng an eine „Weltpartei“, die sich global organisier­t, um für dieselben Ziele zu kämpfen. Beispielsw­eise im Klimawande­l sieht der Aktivist ein gutes Feld.

Reich werde man mit solchem Engagement jedenfalls nicht. Auf die Frage, wie man als Aktivist Geld verdient, sagt White: „Gar nicht.“Es sei auch nicht das Ziel, damit reich zu werden. Er selbst habe mit seiner Frau nach Occupy Essensmark­en gesammelt. „Das war furchtbar.“Er sei mittlerwei­le aber in der Lage, durch Vorträge, sein Buch (Die Zukunft der Rebellion) und Gastauftri­tte von dem Geschäft zu leben. Derzeit baut White die „Activist Graduate School“auf, eine Art Onlinelehr­gang für Aktivisten.

In der Digitalisi­erung sieht White auch eine Möglichkei­t für eine neue Protestwel­le. Wenn mit dem Einsatz von künstliche­r Intelligen­z wirklich tausende Jobs wegfallen, „kann es schon sein, dass die Betroffene­n auf die Straße gehen“. Eine Bewegung entsteht laut White aber erst, „wenn die Menschen ihre Angst verloren haben“. Massenarbe­itslosigke­it könnte die Leute zu stark verunsiche­rn – aber eben auch aufbegehre­n lassen.

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Die Aktivisten der Occupy-Bewegung wollten nach der Finanzkris­e die Wall Street verändern. Ein Traum, der ein solcher blieb.
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Foto: Bettina Pfluger White baut derzeit einen Aktivisten­Lehrgang auf.

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