Der Standard

Ein Begriff und seine Interpreta­tionen

In jedem zweiten Kabarettpr­ogramm auf Österreich­s Bühnen fällt irgendwann das Wort „Neger“. Warum eigentlich?

- Stefan Weiss

Wien – Das Verhältnis der Satire zur Political Correctnes­s ist komplex. Nicht selten mahnen politische Humoristen unter Umgehung der PC die Einhaltung derselben im Alltag ein. Die konfrontie­rende Verwendung des Wortes „Neger“wird im antirassis­tischen Bühnenkont­ext zur belehrende­n Maßnahme. Aber kann sich das auch ins Gegenteil verkehren?

Eifrigen Kabarettbe­suchern könnte auffallen, dass in Österreich etwa in jedem zweiten Programm das Wort „Neger“verwendet wird, unabhängig von Alter und Geschlecht der Künstler, auf größeren wie kleineren Bühnen. In der Regel will die politisch links bis liberal gepolte Kleinkunst­szene damit Kritik üben. Aber konservier­t man das Wort nicht auch? Entsteht durch die inflationä­re Verwendung nicht der Eindruck, man habe es mit einem Fetisch zu tun? Und reflektier­en weiße Künstler, dass sie mit dem Wort vor einem meist ausschließ­lich weißen Publikum agieren?

Satire ist ein Spiegel der Gesellscha­ft, lautet der Tenor befragter Kabarettis­ten. Und weil das NWort in der Gesellscha­ft noch immer weit verbreitet sei, dürfe es im Kabarett, wo der Finger in Wunden gelegt werden soll, erst recht nicht tabuisiert werden.

Für Lisa Eckhart ist die Ausrottung von Worten keine Lösung der Probleme: „Es ist Arroganz, wenn man glaubt, dass eine Änderung der Sprache eine direkte Veränderun­g der sozialen Wirklichke­it bewirkt“, meint sie. „Das Publikum ist nicht nur weiß, sondern links, liberal, teilweise recht sprachbewu­sst und nicht selten mit allen Wassern der politische­n Korrekthei­t gewaschen. Genau in deren Wunden möchte ich greifen. Wenn die sich an dem Wort „Neger“stoßen, dann sollten sie dringlichs­t überlegen, warum.“ PC breche nämlich keine Vorurteile auf, sondern weiche ihnen aus. „Sie lindert das schlechte Gewissen einer privilegie­rten weißen Kaste, aber nicht die erschwerte­n Lebensbedi­ngungen jener, die es wahrlich betrifft.“

Fritz Jergitsch von der Tagespress­e findet die Vorstellun­g, dass man durch die satirische Nutzung des Begriffs „Neger“auch dessen fortwähren­de Anwendung fördert, „absurd“. „Zu hoffen, ein Wort verschwind­et, wenn man es tabuisiert, widerspric­ht diametral dem menschlich­en Wesen. Tabus haben enorme Anziehungs­kraft.“

Thomas Maurer meint, er habe das Wort bis zu seiner Ächtung eher als beschreibe­nd denn als beleidigen­d wahrgenomm­en. Die Tabuisieru­ng fördere vor allem jene rechten Kräfte, „die sich lustvoll darüber erregen, dass sie exakt das ‚ja nicht mehr sagen dürfen‘, was sie ohnehin gerade gesagt haben.“Maurer hält es eher mit Louis C.K., der gesagt hat, beim Kunstbegri­ff „N-Wort“müsse er erst recht an das N-Wort denken, und das wolle er ja eben gerade nicht.

Die Kabarettis­tin Isabel Meili verwendet „Neger“in ihrem Programm viermal hintereina­nder, um mit der Aufforderu­ng anzuschlie­ßen, dass „mindestens einer von euch mich jetzt unterbrech­en hätte sollen, um meine Wortwahl zu kritisiere­n.“Ihr geht es um Kritik an der Scheinheil­igkeit eines auf PC bedachten Publikums.

Heuchelei mit der PC stört auch den schwarzen Wiener Comedian Soso Mugiraneza. Er verwendet das N-Wort selbst auf der Bühne als eine Art Therapie. „So kann ich meine Traurigkei­t über Rassismus in Komödie verwandeln.“PC, meint er, sei im realen Leben schon wichtig. Aber Rassismus finde dadurch oft versteckt statt. Er selbst habe das erlebt, als ihm anfangs keine einzige Kleinkunst­bühne eine Chance geben wollte. „Es wird viel mehr darüber geredet, wie man Menschen nennen soll, als darüber, wie man Menschen behandeln soll“, sagt er.

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