Drum singe, wem Gesang gegeben
In der Reihe „The Art of Song“präsentiert das Wiener Konzerthaus von Oktober bis Dezember vier herausragende A-cappella-Ensembles aus drei Erdteilen.
Im Anfang war der Schrei. Der Schrei aus Wut, aus Angst, aus Freude. Im Laufe der Jahrtausende begann sich die vokale Ausdruckspalette zu differenzieren, aus den Schreien wurde Gesang. In die schlichte Klage, in das Jubellied einer Einzelperson stimmten bald die Stammesgenossen mit ein, und das gemeinsam Gesungene wurde schmucker und vielstimmiger.
Das Wiener Konzerthaus widmet den Zyklus „The Art of Song“dem virtuosen unbegleiteten Gruppengesang. Von Oktober bis Dezember werden vier A-cappellaGruppen aus drei Erdteilen im Haus am Heumarkt zu hören sein; vier Vokalensembles, die auf ihre Art das gemeinschaftliche Singen zur Kunstform erhoben haben und zu den besten der Welt gehören.
Den Anfang macht The Real Group aus Schweden. Das Quintett, 1984 in Stockholm gegründet, hat sich dem Jazz verschrieben, Standards der ganz Großen wie Duke Ellington oder Count Basie werden auf spielerische Weise verbabadubappt. Auch Songs der Beatles (Ticket To Ride) oder von Michael Jackson (Bad) werden von den zwei Frauen und drei Männern aus dem Land der Tre Kronor virtuos vokalisiert.
Nachdem vor zwei Jahren Katarina Henryson das Ensemble verlassen hat, ist Anders Edenroth das letzte verbliebene Mitglied der Gründungsbesetzung. Aber die Goldkehlchen Emma Nilsdotter, Lisa Östergren, Morten Vinther Sørensen und Jnis Strazdiš stehen ihren Vorgängerinnen im Ensemble in Sachen Stimmbandflexibilität in nichts nach. (8. 10.)
Als Afrikas erfolgreichster Chor wird Ladysmith Black Mambazo bezeichnet. 1964 von Joseph Shabalala – schon sein Nachname ist eine Aufforderung zum Singen! – im südafrikanischen Township Ladysmith gegründet, erlangte der Männerchor weltweite Bekanntheit, als Paul Simon die Gruppe Mitte der 1980er-Jahre einlud, mit ihm Musik zu machen. Die Nummer Homeless, erschienen auf Simons LP Graceland, ist das wundervolle Ergebnis dieser Kooperation.
Der kraftvolle, erdige Gesang von Ladysmith Black Mambozo wurzelt in der Musiktradition der Zulu, nicht nur Nelson Mandela betrachtete die Gruppe als kultu- rellen Botschafter Südafrikas. Der Erfolg reißt auch nach langen Jahren nicht ab: 2014 und 2018 wurde Ladysmith Black Mambazo mit einem Grammy für das beste Weltmusikalbum ausgezeichnet, vier Söhne des Gründers Joseph Shabalala sind Mitglieder der Formation. (2. 11.)
Eine Weltreise in Musik
Von Afrika geht es Ende November dann mit Naturally 7 in die USA. Sollten sich nach den Konzerten von The Real Group und Ladysmith Black Mambazo instrumentale Entzugserscheinungen bemerkbar machen, sind diese nach dem Auftritt von Naturally 7 verschwunden. Bei den Konzerten der 1999 in New York gegründeten Vokalgruppe sieht man keine Instrumente – man hört sie.
Schlagzeug, Posaune, Mundharmonika, E-Gitarre, Bass: alles da. Die sieben Männer aus den USA können nicht nur hervorragend singen, sondern simulieren dank ihrer Vokalartistik auch eine komplette Band. Die große Boy-Band-Gefühlsbetroffenheit samt ausladender Gestik und pathetischem Griff ans Herzerl haben die gestandenen Mannsbilder aber eh auch drauf. Ein derart vielfältiges musikalisches Portefeuille wissen Branchengrößen wie Michael Bublé und Coldplay zu schätzen, die Naturally 7 bei ihren Konzerten als Vorband engagierten. (25. 11.)
Take 6, das 1980 von Claude McKnight im US-amerikanischen Alabama gegründete Ensemble, kommt – erraten! – mit einem Mann weniger als Naturally 7 aus. Ihr Sound ist soulig-warm und cremig-weich, was auch Stars wie Stevie Wonder gefiel, für dessen Stimme die Gruppe einen vokalen Hintergrund bot (Love’s In Need Of Love Today). George W. und Gattin Laura Bush lauschten den Stimmen der sechs gern, und auch der Rest der USA (und der Welt) fand die Jazz, Soul- und Gospelsongs der SiebentenTags-Adventisten ganz wundervoll: Ein gutes Dutzend Alben von Take 6 hatte ein knappes Dutzend Grammys zur Folge, ihr Album Iconic schaffte es in diesem Jahr in den US-Jazz-Charts ganz nach oben. Und eine elegante Erscheinung sind die Männer in ihren dunklen Anzügen sowieso. (13. 12.)