Der Standard

Welche Linke und welcher Islam, Herr Schirmbeck?

Eine Replik auf den bisher meistdisku­tierten „Kommentar der anderen“dieses Jahres

- Max Preglau

Samuel Schirmbeck hat in einem alarmistis­chen Kommentar („Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam“, erschienen im STANDARD vom 15. September) noch einmal die Gefahren beschworen, die vom „intolerant­en Islam“und von einer angeblich „hypertoler­anten Linken“ausgehen, und gleich auch noch ein psychologi­sches Deutungsan­gebot dafür unterbreit­et.

Hypermoral­ität ...

„Die deutsche Linke“bringe dem Islam eine maximale Toleranz entgegen und täusche sich und andere über die Intoleranz und Repression­en des islamische­n Fundamenta­lismus hinweg. Ursache dafür sei das Schuldgefü­hl aus der „Hölle der deutschen Vergangenh­eit“, das „die Linke“durch missionari­sche Hypermoral­ität überkompen­siere und wofür sie ihre Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit „aufgibt, sobald das Wort Islam fällt“.

„Der gegenwärti­ge Islam“wiederum zeichne sich durch maximale Intoleranz gegenüber den liberalen Errungensc­haften – Gleichbere­chtigung von Mann und Frau, von Homo- und Hetero- sexualität, Gedanken- und Gewissensf­reiheit, Trennung von Kirche und Staat, kulturelle­r Pluralismu­s etc. – aus. Ursache dafür: ein Schuldgefü­hl, das „aus dem Himmel kommt, in dessen Dienst die muslimisch­e Welt ihre Zukunft verpasst“, und sie dazu antreibt, „die westlichen Freiheiten für ihre antifreihe­itlichen Zielsetzun­gen zu nutzen“.

Samuel Schirmbeck spricht heikle Themen und Problemzon­en an – denn tatsächlic­h gibt es Gruppen unter den Muslimen und muslimisch­e Staaten, in denen Frauen unterdrück­t, Homosexuel­le verfolgt und Grund- und Freiheitsr­echte mit Füßen getreten werden, missbrauch­en einzelne muslimisch­e Gruppen die liberalen Grundfreih­eiten, um ihre Ideologie der Unfreiheit zu verbreiten; und tatsächlic­h gibt es in der Linken auch Gruppen, die in „repressive­r Toleranz“ihre Augen vor fundamenta­listischer Machtanwen­dung verschließ­en und Zwangsvers­chleierung „neoorienta­listisch“als blühende Diversität verkennen.

Man könnte Schirmbeck also in einigen Punkten durchaus zu- stimmen, wenn – ja, wenn er nicht so unzulässig verallgeme­inernd und pauschal über „die deutsche Linke“und „den gegenwärti­gen Islam“spräche, wenn er zwischen Linken und Linken und zwischen Islam und Islam unterschie­dlicher Prägung differenzi­erte und spezifizie­rte, welche Linke und welchen Islam er denn genau meint.

... und populäre Vorurteile

Das tut Schirmbeck aber in keiner Weise, und er webt damit weiter am immer dichteren Geflecht des populären Vorurteils von der drohenden „Islamisier­ung“, vor der „die Linke“angeblich versagt hat. Und dieses Vorurteil gilt es zurechtzur­ücken: Für die liberale Linke ebenso wie für einen liberalen, „europäisch­en“Islam sind die Werte der Aufklärung und die Menschenre­chte unteilbar, und sie vertreten das auch offensiv gegenüber Gruppen im Islam und gegenüber islamische­n Staaten, die diese infrage stellen oder nicht gewährleis­ten.

Sie halten allerdings nichts davon, diese Grundsätze mit Verboten oder Zwang durchzuset­zen – die waren immer schon die meister.

Und der liberalen Linken ist auch nicht wie Samuel Schirmbeck entgangen, dass die Werte der Aufklärung und die Menschenre­chte auch von so manchen autochthon­en Europäerin­nen und Europäern sowie Christinne­n und Christen mit Füßen getreten werden, dass Zwang, Gewalt und Diskrimini­erung auch von diesen „unseren Leuten“und unseren Staatsorga­nen ausgehen und dass sich unter den davon Betroffene­n auch und gerade viele Muslime befinden. Und wenn sich einige dieser Betroffene­n dann abgelehnt und ausgeschlo­ssen fühlen und empfänglic­h für islamistis­che Propaganda werden, ist das ein hausgemach­tes Phänomen. schlechtes­ten Lehr-

MAX PREGLAU (Jg. 1951) ist Professor für Soziologie i. R. an der Uni Innsbruck und lehrt und forscht unter anderem zum Thema Migration und Geschlecht. 2006/07 war er Joseph Schumpeter Fellow am Weatherhea­d Center for Internatio­nal Affairs der Harvard University, 2011 Distinguis­hed Austrian Visiting Chair Professor am The Europe Center des Freeman Spogli Institute for Internatio­nal Studies an der Stanford University und 2015 Fulbright-Botstiber Visiting Professor for Austrian-American Studies an der University of Texas in Austin.

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Foto: Uni Innsbruck Max Preglau: Unzulässig­e Verallgeme­inerung.

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