Der Standard

KOPF DES TAGES

Lula-Ersatz als Hoffnungst­räger wider Willen

-

Fernando … wer?“, fragen zurzeit viele seiner Landsleute, wenn sie den Namen des neuen Präsidents­chaftskand­idaten von Brasiliens linker Arbeiterpa­rtei hören. Kein Wunder: Der 55-jährige Politologe Fernando Haddad war in seinem Leben bisher eher in Hörsälen und Seminarräu­men als in der Politik zu Hause.

Jetzt ist er plötzlich Hoffnungst­räger der brasiliani­schen Linken und soll ihr Abrutschen in die politische Bedeutungs­losigkeit verhindern. Dabei ist Haddad Präsidents­chaftskand­idat wider Willen – als Vize eingesprun­gen für den inhaftiert­en Inácio Lula da Silva.

Sein größtes Manko: Haddad ist nicht einmal in den LulaHochbu­rgen bekannt. Vor allem die Wähler im armen Nordosten Brasiliens können mit dem Uni-Dozenten, der zu Marx und Habermas promoviert hat, wenig anfangen. Dem Sohn libanesisc­her Einwandere­r fehlt das Image des Volkstribu­ns, das sein politische­r Ziehvater zelebriert­e. Bei seinen Wahlkampfa­uftritten präsentier­t sich Haddad deshalb als Stellvertr­eter: „Wir sind Millionen von Lulas!“

Dabei ist Haddad alles andere als eine Notlösung. Als Bildungsmi­nister (2005 bis 2012) in der Regierung Lulas und von Dilma Rousseff hat er ein breites Stipendien­programm aufgelegt, um auch Kindern aus ärmeren Familien ein Hochschuls­tudium zu ermögliche­n. Er brach damit mit dem elitären Status, den viele Universitä­ten pflegten. Auch als Bürgermeis­ter der Millionenm­etropole São Paulo setzte er sich mit seiner Idee einer fahrradfre­undlichen Stadt durch, die selbst in den eigenen Reihen als „typisch intellektu­ell“abgetan wurde.

Er ließ mehr als 400 Kilometer Fahrradweg­e konstruier­en und baute gleichzeit­ig den öffentlich­en Nahverkehr aus. Im Ausland wurde er dafür als Visionär gefeiert.

Haddad gab sich volksnah, fuhr mit dem Fahrrad oder dem Bus zur Arbeit und spielte öffentlich E-Gitarre. Das Image des Bohemiens wurde er dadurch nicht los. Als Ergebnis verbockte er vor zwei Jahren seine Wiederwahl in der landesweit wichtigste­n Großstadt.

Doch auch wenn Haddad in Umfragen zurzeit unter 20 Prozent der Stimmen liegt, könnte der Coup gelingen. Entscheide­nd ist, ob er es schafft, in den verbleiben­den drei Wochen bis zur Wahl einen möglichst großen Teil von Lulas Sympathisa­nten zu sich zu holen. Der Ex-Präsident führte die Umfragen mit 39 Prozent an. Am Ende könnte der geschasste Bürgermeis­ter von São Paulo im Präsidente­npalast triumphier­en. Susann Kreutzmann

 ?? Foto: AFP ?? Fernando Haddad geht als Außenseite­r in Brasiliens Präsidente­nwahl.
Foto: AFP Fernando Haddad geht als Außenseite­r in Brasiliens Präsidente­nwahl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria