Der Standard

Krankheite­n aus dem Supermarkt

Wie das Wirken der Nahrungsmi­ttelindust­rie auf dem globalen Finanzmark­t die Gesundheit gefährdet.

- Karin Pollack

Es gibt Einflussfa­ktoren auf unsere Gesundheit, die Konsumente­n nicht bewusst sind. Worauf haben wir Lust, wenn wir Hunger haben? Oder was essen wir, obwohl wir vielleicht gar nicht hungrig sind? „Es sind die vielen kleinen Entscheidu­ngen, die den Menschen die Illusion vermitteln, sie wären selbstbest­immt“, sagt Ilona Kickbusch und meint damit durchaus auch den täglichen Einkauf im Supermarkt. Sie ist Expertin für Global Health, hat 40 Jahre lang bei der Weltgesund­heitsorgan­isation ( WHO) gearbeitet und lehrt heute am Hochschuli­nstitut für internatio­nale Studien und Entwicklun­g in Genf.

Seit Anfang des Jahres ist sie Mitglied einer WHO-Kommission für die Eindämmung nichtübert­ragbarer Krankheite­n, non-communicab­le diseases (NCD) im Fachbegrif­f. Was das mit dem Essen zu tun hat? Ungesunde Ernährung durch zu süße, zu fette oder zu salzige Produkte ist ein Phänomen der modernen Industrieg­esellschaf­t.

Problem in der Zukunft

Dort florieren Erkrankung­en wie Fettsucht, Diabetes und HerzKreisl­auf-Erkrankung­en, Experten mahnen vor einem massiven Anstieg der Patientenz­ahlen, und nicht wenige meinen, es wäre die größte Herausford­erung für unsere Gesellscha­ft. Und das auf mehreren Ebenen: Für die betroffene­n Menschen selbst – Übergewich­t etwa triggert eine ganze Reihe von anderen schweren Erkrankung­en, macht die Menschen unbeweglic­h und als Folge davon nicht selten auch depressiv.

Doch die sogenannte­n Industrial Epidemics sind auch für die Gesundheit­ssysteme selbst, die die Kosten für Behandlung­en der vielen Erkrankung­en zu tragen haben, ein zukünftige­s Problem. Diabetes zum Beispiel kann zu Erblindung führen oder zu Amputation­en, die Menschen fallen aus dem Arbeitspro­zess und brauchen massive Unterstütz­ung von den Sozialsyst­emen. Wer und wie diese zukünftig finanziert werden sollen, ist alles andere als klar.

„Alles eine Sache der Eigenveran­twortung“, sagen heute zunehmend mehr Politiker, haben Ilona Kickbusch und ihre PublicHeal­th-Kollegen beobachtet und finden, dass sich die Politik damit aus der Verantwort­ung zieht. Die Gesundheit­sexpertin ist in Fragen der Selbstvers­chuldung bei Krankheite­n ganz anderer Meinung. Nichtübert­ragbare Erkrankung­en wie Diabetes und HerzKreisl­auf-Erkrankung­en sind ein Phänomen der industrial­isierten Gesellscha­ften, sagt sie. Es ist das Lebensumfe­ld, also die Industrie, die krank macht. Wo, wenn nicht im Supermarkt, sollen die Menschen einkaufen.

Wofür es Evidenz gibt: Sobald ein Land dieser Erde wirtschaft­lich einen gewissen Wohlstand er- reicht und damit „westliche Lebensstil­produkte“Einzug halten, lässt sich die rapide Zunahme von Adipositas und Zuckerkran­kheit statistisc­h ganz klar feststelle­n.

Industrie macht krank

Vor drei Jahren hat die WHO deshalb einen neuen Terminus für dieses Phänomen vorgeschla­gen: die sogenannte­n Commercial Determinan­ts of Health, also die kommerziel­len Bestimmung­sgrößen für Gesundheit. Sie sind für die Zunahme nichtübert­ragbarer Erkrankung­en maßgeblich verantwort­lich.

Es ist das stark zuckerhalt­ige Essen, das krank macht, allen voran Fertiggeri­chte und Süßgetränk­e, die Hersteller mit geballter Marketingm­acht auf die Märkte bringen. „Es ist schwer für jene, die sich für die öffentlich­e Gesundheit einsetzen, gegen die vollkommen falschen und unrealisti­schen Botschafte­n der Werbung anzukommen“, sagt Kickbusch und formuliert so das Dilemma.

Ihr Fazit: Über Steuern lassen sich ungesunde Lebensmitt­el regulieren, diese Entwicklun­g hat bereits begonnen. Doch in Zukunft müsse man sich viel stärker mit den Investment­strategien der globalen Lebensmitt­elkonzerne auseinande­rsetzen. Die Konsumgüte­rindustrie sei nämlich jene, mit der am globalen Finanzmark­t am schnellste­n Geld zu verdienen sei, so Kickbusch.

Besonders die großen, institu- tionellen Anleger wie die US-Pensionsvo­rsorgekass­en sind an den High-return-Aktien der Konsumgüte­rindustrie interessie­rt. „Ein ethisches Problem für die Pensionsve­rsicherung­en“, nennt es Kickbusch, denn sie investiere­n in jene Unternehme­n, die nachweisli­ch dazu führen, dass die Menschen krank werden. Genau diese kranken Menschen verursache­n dann Mehrkosten, für die die Versicheru­ngen und Gesundheit­ssysteme aufkommen müssen, erklärt sie den verborgene­n Zusammenha­ng. „Im Bereich Public Health müssen wir viel stärker in Kategorien von Investment­s denken und den globalen Kapitalmar­kt verstehen“, mahnt sie. Mittlerwei­le hat eine Reihe von großen, institutio­nellen Investoren auf diese Erkenntnis reagiert, berichtet Kickbusch.

Gegen die Industrial Epidemics müsse man aber noch eine Reihe anderer Maßnahmen entwickeln, sagt sie. Diabetes und Fettsucht seien „von Profitgeda­nken verursacht­e Erkrankung­en“, so formuliert es auch die WHO in einem richtungsw­eisenden Artikel in der medizinisc­hen Fachzeitsc­hrift Lancet, die industriel­l verursacht­en Epidemien werden sich weiter global verbreiten. Dafür gibt es auch schon ganz klare Vorzeichen. Die Lebenserwa­rtung in den USA hat in den letzten Jahren nachweisli­ch abgenommen, so Kickbusch, die das als Beweis für eine Dynamik sieht, die für Nor- malverbrau­cher kaum zu durchschau­en ist.

„Die Entscheidu­ng, was im Supermarkt im Wagen landet, ist sehr individuel­l“, sagt sie. Da geht es darum, was schmeckt oder welches Produkt durch die Werbung die Aufmerksam­keit der Konsumenti­nnen erlangt hat. Sicher ist: Über den Finanzmark­t denkt beim Einkaufen wohl kaum jemand nach. Und deshalb wäre dies die Aufgabe der Politik.

Politik und Tabakindus­trie

Als Teil der Konsumgüte­rindustrie ist am globalen Finanzmark­t allerdings auch mit Tabak weiterhin viel Geld zu verdienen. Auch in dieser Sparte gibt es diese sogenannte­n High-return-Aktien, die für Anleger überaus attraktiv sind. „Wir haben Hinweise, dass die Tabakindus­trie rund um den Globus rechte Parteien unterstütz­t“, sagt Kickbusch. Es kann kein Zufall sein, dass die meisten dieser Rechts-Parteien Rauchgeset­ze zurückfahr­en und damit Raucher als Kernwähler­gruppe unterstütz­en. Rechte Politiker, so haben die Experten für Public Health erkannt, pochen stets auf das Recht der freien Entscheidu­ng, ähnlich wie es auch beim Impfen geschieht. Politikern, denen die Gesundheit ein Anliegen ist, müssten aber auf gesunde Rahmenbedi­ngungen setzen, die die Menschen eben nicht fett, zuckerkran­k und nikotinabh­ängig machen, so Kickbusch.

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Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) spricht von Industrial Epidemics durch ungesunde Nahrungsmi­ttel.
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Die Entscheidu­ng, was man einkauft, ist nur vermeintli­ch freiwillig: Konsumenti­nnen sind von der Werbung beeinfluss­t und kaufen, was viel zu süß oder zu fett ist.

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