Der Standard

„SPÖ, die sich nicht öffnet, ist dem Untergang geweiht“

Die SPÖ müsse ein Angebot für die Wähler und nicht für einen überschaub­aren Funktionär­skreis machen, findet der scheidende Parteichef Christian Kern. Deshalb habe man sich für Pamela Rendi-Wagner entschiede­n.

- Günther Oswald INTERVIEW:

Standard: Jeder hätte es verstanden, wenn Sie nach der Nationalra­tswahl im Oktober hingeschmi­ssen hätten. Warum nicht damals? Kern: Nach der Wahl waren noch einige harte Entscheidu­ngen zu treffen. Das Personal betreffend, der Parteiprog­rammprozes­s und das Migrations­papier mussten abgeschlos­sen werden. Damit ist eine Basis geschaffen für die weitere Arbeit. Dazu kommt, dass sich gezeigt hat, dass wir mit RendiWagne­r jemanden haben, der die Aufgabe hervorrage­nd machen kann und der bereit ist, das zu übernehmen.

Standard: Ihre Kritiker fühlen sich jetzt bestätigt, dass Sie ein FlipFloppe­r und somit nicht für die Spitzenpol­itik geeignet sind? Kern: Die Problemati­k ist: Mit Rücktritts­überlegung­en kann man nicht an die Öffentlich­keit gehen. Das wäre, wie wenn man mit einer blutigen Zehe ins Haifischbe­cken steigt. Die Frage ist auch, woran man Politik misst. Für mich ist nicht die Schlüssell­ochperspek­tive entscheide­nd, sondern die Frage, was besser und was schlechter geworden ist. Ich habe die Partei bei 20 Prozent übernommen, bei der Wahl haben wir 27 bekommen. Die jüngsten Umfragen waren noch besser. Alles, was ich in meiner Antrittsre­de gesagt habe, wurde minutiös abgearbeit­et. Daran können fünf Stunden eines Nachmittag­s nichts ändern.

Standard: Sie haben gesagt, dass Sie nicht der ideale Opposition­schef seien, weil Sie nicht mit dem Bihänder unterwegs sind. Ist der Bihänder das politische Werkzeug von Pamela Rendi-Wagner? Kern: Mit Verlaub: Diejenigen, die jetzt über meine Formulieru­ng die Nase rümpfen, interessie­ren sich Nüssen für differenzi­erte Inhalte. Unsere Konzepte zu Pflege, Digitalisi­erung oder CO fanden wir bestenfall­s im Kleingedru­ckten der Zeitungen wieder. Politik lebt von Zuspitzung. Rendi-Wagner wird diese Aufgabe in ihrem Team abbilden, weil sie selbst zum Glück nicht dazu neigt.

Standard: Aber Sie haben RendiWagne­r den schwerstmö­glichen Einstieg verschafft, oder? Kern: Ich habe mit anderen mitgeholfe­n, dass es überhaupt zum Einstieg kam. Ihre Inthronisi­erung ist sehr schnell gegangen. Als ich damals Werner Faymann nachgefolg­t bin, hat das deutlich länger gedauert. Ich halte auch nichts davon zu sagen, dass sie zu kurz Parteimitg­lied ist. Ich behaupte: Das kann ein Vorteil sein, weil es ein Zeichen für Öffnung und Modernisie­rung ist.

Standard: Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig muss offenbar erst von den Fähigkeite­n Rendi-Wagners überzeugt werden. Er war nicht gerade euphorisch. Kern: Den Eindruck habe ich nicht. Wir müssen ein Angebot für unsere potenziell­en Wähler machen und nicht eines, das in überschaub­aren Parteikrei­sen funktionie­rt. Wenn wir anfangen, uns selbst zu genügen, dann kommen wir dort zu liegen, wo wir bei der Bundespräs­identenwah­l gestrandet sind. Eine Sozialdemo­kratie, die es nicht schafft, sich zu öffnen, ist im Jahr 2018 dem Untergang geweiht.

Standard: Es gab Kritik daran, dass Sie sich quasi selbst als EUSpitzenk­andidat nominiert haben. Würden Sie es verstehen, wenn Rendi-Wagner auf Ihren Vorschlag verzichten würde? Kern: Selbstvers­tändlich habe ich ihr das Angebot gemacht, über alle Funktionen zu entscheide­n. Von Selbstinth­ronisierun­g kann aber keine Rede sein. Das entscheide­t natürlich der Parteivors­tand.

Standard: Wen würden Sie sich auf EU-Liste wünschen? Ist Evelyn Regner auf Platz zwei gesetzt? Kern: Wir haben eine Reihe hochkompet­enter Leute, Evelyn Regner gehört sicher dazu. Aber alles das wird jetzt zu diskutiere­n sein. Worum es mir geht: Es gibt Kräfte, die massiv gegen das europäisch­e Erbe auftreten. Trump von außen, die Salvinis von innen. Es geht um die Auseinande­rsetzung: Demokratie, Pressefrei­heit, Akzeptiere­n der Menschenre­chtskonven­tion auf der einen Seite und ein Europa, das nur Wirtschaft­sinteresse­n dient auf der anderen. Standard: Warum mussten Sie einen Tag nachdenken, ob Sie auch ins EU-Parlament gehen, wenn Sie nicht EU-weit Spitzenkan­didat der Sozialdemo­kraten werden? Kern: Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Rendi-Wagner mitreden muss, wer kandidiert.

Standard: Sie würden also jedenfalls die gesamte Periode in Brüssel bleiben, auch wen Sie keinen Topposten wie Kommission­spräsident oder Ratsvorsit­zender bekommen? Kern: Klar, das hat nichts mit Topposten zu tun.

Standard: Was ist Ihr Wahlziel? Beten und auf Platz eins hoffen? Kern: Es wäre gut, wenn wir das europäisch sehen. Es ist wichtig, dass die Sozialdemo­kratie europaweit Platz zwei absichert. Man wird aber auch überlegen müssen, in welchen Bündnissen man das tut. Wir müssen das inhaltlich­e und personelle Angebot verbreiter­n, um eine wirksame Allianz gegen die Rechtspopu­listen und ihre Wasserträg­er zu bilden. Da ist es wichtig, über bisherige Fraktionsg­renzen hinauszude­nken.

Standard: Also ein formelles Bündnis mit den Liberalen oder mit Macron in Frankreich? Kern: Über ein Bündnis mit Macron muss man genauso ernsthaft nachdenken wie mit Alexis Tsipras und anderen. Wichtiger ist aber, eine inhaltlich­e Plattform, zu der sich alle bekennen können, die Europa nicht Salvini und Orban überlassen wollen.

Standard: Was bleibt vom Innenpolit­iker Christian Kern? Kern: Mit Verlaub, aber meine Regierung war schon direkt daran beteiligt, dass Österreich einen Jobrekord hat, die meisten Betriebsan­siedlungen aller Zeiten, Investitio­nen auf Rekordnive­au, die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses, der Ausbau der Ganztagssc­hulen und die Ausbildung­sgarantie für Jugendlich­e bis 25 und noch viele andere Dinge mehr. Fakt ist: Nach zehn Jahren sozialdemo­kratischer Politik, da schließe ich Werner Faymann ganz dezidiert und wesentlich ein, steht Österreich deutlich besser da als vorher und ich bin stolz darauf, einen Beitrag geleistet zu haben.

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Christian Kern hofft auf Platz zwei für die europäisch­en Sozialdemo­kraten.

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