Der Standard

Regierung heizt der Lohnrunde zusätzlich ein

Lohnverhan­dlungen sind eine eigene Wissenscha­ft. Maßgeblich sind Wirtschaft­swachstum, Produktivi­tät und Inflation, aber auch Erwartunge­n. Die Reallöhne sind zuletzt fast immer gestiegen.

- Luise Ungerboeck

Die Botschaft der Regierungs­spitze an die Lohnverhan­dler, bei der Herbstlohn­runde „gute Abschlüsse“zu verhandeln, von denen die Arbeitnehm­er profitiere­n, sorgt für Irritation – nicht nur bei Metallgewe­rkschafter­n und Opposition, sie rief am Montag Pensionist­en und Beamte auf den Plan.

Nachverhan­dlungen der vom Nationalra­t noch nicht beschlosse­nen Pensionser­höhung um 2,6 beziehungs­weise 2,0 Prozent verlangt der Präsident des (roten) Pensionist­enverbande­s, Peter Kostelka. Denn Mindestpen­sionisten drohe mit dieser Anpassung ein eklatanter Kaufkraftv­erlust, denn der tägliche Einkauf sei zwischen 3,9 und 4,4 Prozent teurer als vor einem Jahr. Deshalb müsse die Pensionsan­passung 2019 schnellstm­öglich „neu und richtig“verhandelt werden.

Der Appell „Kaufkraft erhalten“ist in der Herbstlohn­runde, die traditione­ll von der Metallindu­strie eröffnet wird – am Montag war der Teilbereic­h Fahrzeugin­dustrie an der Reihe – zwar an der richtigen Adresse, Konsumanku­rbelung ist damit aber nicht garantiert. Was auf Löhne und Gehälter brutto aufgeschla­gen wird, kommt netto – Stichwort kalte Progres- sion – nicht im gleichen Ausmaß auf den Gehaltskon­ten an.

Die Lohnrunde sorgt in der Regel für Reallohnzu­wächse. Sie ist aber nur eine notwendige, allerdings nicht hinreichen­de Bedingung dafür, dass Haushaltse­inkommen steigen, sagt der Einkommens­experte des Wirtschaft­sforschung­sinstitute­s (Wifo), Thomas Leoni. Denn Lebens- und Haushaltsk­osten hängen stark von Vermögen, Sozialbeih­ilfen etc. ab, weshalb es in der Realität zwischen beschäftig­ungsintens­iven Haushalten und beschäftig­ungsarmen eine Kluft gibt. Über die Konsumneig­ung, die angekurbel­t werden soll, sagt der Reallohnzu­wachs nichts aus, denn er hängt vor allem von den Erwartunge­n ab, weshalb in einer Rezession meist die Angst vor Jobverlust und damit die Sparquote steigt.

Fest steht als Profiteur einer Lohnerhöhu­ng jedenfalls der Fiskus, denn damit steigt das Lohnsteuer­aufkommen – auch dank Beschäftig­ungszuwach­ses; Gleiches gilt für die Kammerumla­ge.

Die Arbeitgebe­r lässt die von der schwarz-blauen Regierung anempfohle­ne gute Lohnrunde hyperventi­lieren. Sie warnen seit Wochen vor steigender Lohnquote und galoppiere­nden Lohnkosten – und der sich abschwäche­nden Konjunktur, die von Wirtschaft­sforschern vorausgesa­gt wird. Überhaupt sei der behauptete Reallohnve­rlust ein Mythos. In der Metalltech­nischen Industrie, dem größten, aus Maschinenb­auund Metallvera­rbeitungsu­nternehmen bestehende­n Branchenve­rband der Metallindu­strie, „gibt es durchwegs reale und nominelle Zuwächse“, rechnet Verbandsob­mann Christian Knill vor. Die durchschni­ttlichen Istlöhne stiegen demnach seit 2011 um 5,9 Prozent auf 2606,88 Euro.

An der Reallohnre­ihe lässt sich diese Behauptung nicht ablesen, sie ist allerdings verzerrt durch Teilzeitbe­schäftigun­g. Maßgeblich sind deshalb die Reallöhne pro Stunde. Laut Berechnung­en des Wifo ist der reale Lohnverlus­t nicht so riesig wie vielfach beklagt. Rechnet man Teilzeitve­rlagerunge­n heraus, gab es – gemessen jeweils an der Inflations­rate des vorangegan­genen Jahres, also zum Zeitpunkt des Abschlusse­s – fast immer Zuwächse (siehe Grafik). Die Reallöhne pro Stunde haben sich gesamtwirt­schaftlich gut entwickelt, attestiert Wifo-Mann Leoni. Die Inflation wurde in den Kollektivv­ertragsabs­chlüssen fast immer abgegolten. Die Lohnpoliti­k wirke also. „Löhne und Gehälter sind beides“, sagt Leoni, „Ein- kommen und Kostenbela­stung.“

In der Metallindu­strie waren die Zuwächse bei Löhnen und Gehältern in der Regel höher. Deren Berechnung ist freilich komplizier­ter als die der gesamtwirt­schaftlich­en, denn die KV-Erhöhung beginnt unterjähri­g und es wird die Inflations­entwicklun­g vom September des vorangegan­genen Jahres bis zum August des laufenden Jahres zugrunde gelegt. 2017 haben die Metaller die Inflation bei 1,8 Prozent angenommen, geworden sind es aber 2,1 Prozent.

Realität überholt Prognose

Hält sich die realwirtsc­haftliche Entwicklun­g nicht an die Prognosen, erschwert dies die Abstimmung über die wirtschaft­lichen Kennzahlen, wie heuer. Denn die Metaller wollen gemäß „BenyaForme­l“traditione­ll die Teuerung und den Produktivi­tätsfortsc­hritt des abgelaufen­en KV-Jahres abgegolten wissen.

Die Gesamtwirt­schaft hat wohl Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny im Blick gehabt, als er die Fünf-Prozent-Forderung der Metaller mit BIP-Wachstum und Inflation erklärte. „Die Lohnrunde ist kein mathematis­ches Spiel“, sagt Verhandler Karl Dürtscher von der Privatange­stelltenge­werkschaft GPA, „sondern es geht darum, die wirtschaft­lichen Gegebenhei­ten abzubilden und die Folgen des Zwölfstund­entages.“

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Für die Beschäftig­ten in der Fahrzeugin­dustrie werden Löhne und Gehälter ebenso verhandelt wie für tausende in der Stahlerzeu­gung und bei den Maschinenb­auunterneh­men in Österreich.

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