Regierung erschwert Überprüfung von Scheinselbständigen
Nach Reform soll nur Krankenkasse der Unternehmer eigene Klientel kontrollieren
Wien – Neben der Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern bringt die Kassenreform der Regierung auch wesentliche Änderungen bei der Prüfung von Beiträgen und Dienstverhältnissen. Zunächst werden rund 300 Mitarbeiter der Gebietskrankenkassen an die Finanz transferiert.
Damit ändert sich aber auch der Prüfauftrag. Die neue Einheit bei der Finanz wird nur mehr bei ASVG-Versicherten kontrollieren können, ob deren Beiträge auch korrekt abgeführt wurden. Ist jemand bei der Versicherungsanstalt der Selbstständigen (SVB), zu der künftig auch die Bauern zählen, versichert, sind diese Prüfer nicht mehr zuständig.
Sollten freie Dienstnehmer oder Werkvertragsnehmer also zu Unrecht als Selbstständige eingestuft sein, so könnte die Finanz diesem Verdacht auf Scheinselbstständigkeit nicht nachgehen. Die SVB müsste ihre eigene Klientel kontrollieren, weshalb die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) negative Auswirkungen auf die Prüfergebnisse befürchtet.
Der Zentralbetriebsrat der WGKK, Michael Aichinger, hält aber ohnehin die gesamte Übertragung von Prüfern an die Finanz für unzulässig und kündigt im Gespräch mit dem STANDARD eine Verfassungsklage an, sollte die Regierung an diesem Vorhaben festhalten. (red)
Die Wirtschaft beklagt seit Jahren, dass es die Prüfer der Gebiets krankenkassen mitunter übertreiben. Gibt es den Verdacht, dass jemand zu Unrecht freier Dienstnehmer oder Werkvertrags nehmer ist und eigentliche in ganz normales Angestelltenverhältnis haben sollte, dann kann die Gebietskrankenkasse(GKK)na ch einem entsprechenden Verfahrene in eU mstufung vornehmen. Die Sozialversicherung san st alt der Selbstständigen hat zwar ein Mitspracherecht, die Entscheidung liegt aber bei den GKKs.
Mit der von Türkis-Blau geplanten Kassenreform wird es hier zu Änderungen kommen. Der Ablauf wird auf komplett neue Beine gestellt. Rund 300 bisherige GKKPrüfer werden zur Finanz transferiert, die dann allein für den Prüfdienst zuständig ist.
Damit aber nicht genug: Diese neue Einheit wird die Sozial versi ch erungs prüfung nur für ASVGVersicherte durchführen. Bei allen anderen Versicherten werden nur die Lohnsteuer und die Kommunalsteuer kontrolliert. Mit anderen Worten: Ist jemand bei der Sozialversicherung der Selbstständigen angemeldet, muss diese selbst prüfen, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Der Zentralbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse, Michael Aichinger, befürchtet, dass sich das negativ auf das Ergebnis auswirkt. „Die Selbstständigenkasse wird kein Interesse daran haben, dass sie Versicherte und Einnahmen verliert“, sagt er zum STANDARD.
Die Reform bringe für die Versicherten aber noch eine weitere Verschlechterung, sagt Aichinger. Haben Firmen Pensionsversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter nicht abgeführt, können die Gebietskrankenkassen diese Ansprüche für die vergangenen fünf Jahre zurückfordern. Die Finanz, die künftig dafür zuständig ist, könne das nur für drei Jahre. Von ihren Arbeitgebern betrogene Mitarbeiter würden also um Ansprüche für zwei Jahre umfallen.
„Zuweisung“an Finanz
Die Wiener Gebietskrankenkasse mobilisiert aber nicht nur wegen dieser Auswirkungen auf die Versicherten gegen die Regierungspläne. Aichinger hält schon das grundsätzliche Vorhaben, GKK-Mitarbeiter zur Finanz zu transferieren, für unzulässig. Laut Gesetzesentwurf sollen die Prüfer dem Finanzministerium„ zugewiesen“werden. Arbeitgeber bliebe also formal die Kasse, die nach der Fusion der neun GKKs Österreichische Gesundheitskasse heißen wird. Die Fach- und Dienstaufsicht läge aber bei der Finanz.
Aichinger: „Das Problem dabei ist, dass es im Arbeitsrecht keine Zuweisung gibt.“Er spricht von einem „einzigartigen Eingriff in die Privatrechts rechts autonomie “. Theoretisch möglich wäre ihm zufolgenu reine Arbeitskräfteüb erlassung, gemeinhin bekannt als Leiharbeit. Der Unterschied zur Zuweisung: Einer Überlassung muss jeder einzelne Mitarbeiter zustimmen.
Finanzielle Einbußen?
Der Betriebsrat befürchtet zudem, dass es für die Mitarbeiter zu finanziellen Verschlechterungen kommen könnte. In den Erläuterungen des Regierungsentwurfes ist die Rede davon, dass die Dienstordnung (vergleichbar mit einem Kollektivvertrag) „harmonisiert“werden soll. Zur Erklärung: Derzeit gibt es regionale Unterschiede bei den Zulagen, die von der (noch arbeitnehmerdominierten) Selbstverwaltung festgelegt wurden. In der neuen Österreichischen Gesundheitskasse werden die ÖVPnahen Vertreter die Mehrheit haben, weshalb Aichinger die Aufkündigung bestehender Betriebsvereinbarungen befürchtet.
Sollte die Koalition an ihren Vorhaben festhalten, werde man jedes Rechtsmittel ausschöpfen und bis zum Verfassungsgerichtshof gehen, kündigt Aichinger an.
Rechtliche Rückendeckung bekommt er vom Arbeitsrechtsexperten Walter Pfeil, der in einem aktuellen Fachbeitrag verfassungsrechtliche Bedenken anmeldet. Bisherige GKK-Mitarbeiter in die Weisungshierarchie des Finanzministeriums einzugliedern rühre an den „Grundfesten der Selbstver- waltung“. Die Finanzautonomie der Selbstverwaltung sei verfassungsrechtlich geschützt. „Das muss letztlich auch für die Sicherstellung und Kontrolle gelten, dass die Beiträge korrekt berechnet und abgeführt werden. Ob das bei einem an Weisungen staatlicher Organe gebundenen Prüfdienst der Fall ist, scheint höchst zweifelhaft“, schreibt Jurist Pfeil.