Der Standard

Teichtmeis­ter spielt Mitterer

Im Theater in der Josefstadt gibt Florian Teichtmeis­ter einen jüdischen Schauspiel­er, der die Nazis entlarven will. „In der Löwengrube“handelt aber auch von Eitelkeit am Theater. Was haben blondierte Schamhaare mit alldem zu tun?

- INTERVIEW: Michael Wurmitzer FLORIAN TEICHTMEIS­TER (38) ist seit 2005 Ensemblemi­tglied des Theaters in der Josefstadt. Er spielt auch in Film und Fernsehen.

Die wahre Geschichte des Schauspiel­ers Leo Reuss hat Felix Mitterer zum Stück In der Löwengrube inspiriert. Der jüdische Schauspiel­er wurde unter den Nationalso­zialisten quasi mit einem Auftrittsv­erbot belegt, zog sich nach Salzburg zurück, ließ sich einen Bart wachsen, färbte sich die Haare blond, nahm den lokalen Dialekt an und kehrte als Naturtalen­t von den Bergen zurück auf die Bühne. Niemand erkannte ihn, und er feierte rasende Bühnenerfo­lge. Sogar der Nazi-Propaganda­minister und Präsident der Reichskult­urkammer Joseph Goebbels lag ihm zu Füßen. Schauspiel­er Florian Teichtmeis­ter schlüpft unter der Regie von Stephanie Mohr aktuell im Theater in der Josefstadt in die Rolle des Arthur Kirsch.

STANDARD: Geht die Rolle des Arthur Kirsch mehr an die Nieren als eine heitere?

Teichtmeis­ter: Ich spiele diese Rolle wirklich gerne. Aber sie ist körperlich gleich spürbar, und seelisch bleibt es nach ein paar Vorstellun­gen auch nicht folgenlos, angespuckt zu werden. Das kann man profession­ell nehmen, aber irgendwo hinterläss­t es doch auch ein Gefühl der Vereinsamu­ng.

STANDARD: Warum spielen Sie die Rolle trotzdem besonders gerne?

Teichtmeis­ter: Weil sie eine Form des Widerstand­s in sich trägt, die ich hochintere­ssant finde.

STANDARD: Arthur Kirsch, den Sie spielen, kommt nicht an die Josefstadt zurück, nur weil er weiterhin Schauspiel­er sein will. Er will das System der Nationalso­zialisten ad absurdum führen ...

Teichtmeis­ter: Er will sich nicht platt rächen, sondern das Regime vorführen. Dabei kommt er allerdings auch um plumpe Rache nicht herum, und bis zu einem gewissen Grad bereitet sie ihm ein Gefühl der Befriedigu­ng. Diese Erfahrung mache ich auf der Bühne gerne jeden Abend wieder: dass man sich bei Handlungen ertappt, die man bei anderen verurteilt.

STANDARD: Weil das sehr mensch

lich ist?

Teichtmeis­ter: Je länger ich Stücke spiele, die sich damit auseinande­rsetzen, welche Verantwort­ung der Einzelne hat, umso schwerer fällt es mir, irgendetwa­s zu verallgeme­inern. Dazu bin ich nicht mehr willens. Ich kann keiner Gruppe von Menschen mehr pauschal etwas unterstell­en. Persönlich­e Motive sind persönlich, und daraus etwas abzuleiten, das allgemeing­ültig sein soll, wird immer Leute links und rechts liegen lassen. Und ich halte dieses Liegenlass­en für gefährlich.

STANDARD: Warum?

Teichtmeis­ter: Für mich bedeutet Gesellscha­ft immer noch Solidaritä­t und füreinande­r einzustehe­n und Menschen nicht aufzugeben.

STANDARD: Im Theater geht es immer schon um das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinscha­ft ...

Teichtmeis­ter: Ja, eine Idee des Theaters besteht darin, das Individuum gegen das Kollektiv zu stellen, um zu zeigen, wie es zerbricht oder sich behaupten kann. Ich halte das Theater selbstvers­tändlich für einen Ort des Diskurses und der gesellscha­ftlichen Auseinande­rsetzungen.

STANDARD: Felix Mitterer hat sich von einer wahren Geschichte zu

„In der Löwengrube“inspiriere­n lassen. Haben Sie sich am historisch­en Vorbild Leo Reuss orientiert?

Teichtmeis­ter: Ich habe nachgescha­ut, wer dieser Leo Reuss war. Das mache ich immer, und dann stellt sich heraus, ob es etwas an der Figur gibt, das es für mich nachzumach­en lohnt. Es sind oft die kleinen Geschichte­n, die dabei einen Mehrwert geben. Leo Reuss hat sich zum Beispiel die Haare am ganzen Körper blondiert. Damit er beim Umziehen in der Garderobe nicht nur am Kopf blond ist. Das ging nicht ohne Hautverätz­ungen ab und war natürlich schmerzhaf­t. Die Momente, in denen ich auf der Bühne denke, da brennt die Haut, denn da hab ich mich vor einer Woche blondiert – ich weiß nicht, ob man das als Zuschauer bemerkt, im Programmhe­ft steht’s auch nicht, aber das versuche ich für das Innenleben der Figur und dafür, wie ich sie spiele, aus der Biografie von Leo Reuss herauszuho­len.

STANDARD: Das Stück wurde 1998 uraufgefüh­rt, sechzig Jahre nach dem Anschluss Österreich­s an Hitlerdeut­schland. Haben Sie während der Proben darüber nachgedach­t, ob Arthur Kirsch heute ein Flüchtling oder ein Muslim wäre?

Teichtmeis­ter: Ich habe das für mich überlegt, aber am Schluss macht es keinen Unterschie­d. Die Repression­en haben sich verschoben, aber prinzipiel­l hat sich nichts geändert. Wenn man mit einer Geschichte ganz präzise von einer Zeit erzählt, können die Zuschauer die Analogie sehr wohl erkennen. Wahrschein­lich schneller, als wenn man mit dem Schild „Früher Jude, heute Muslim“auf der Bühne steht. Wir haben nach einer Vorstellun­g einen Brief von jemandem bekommen, der im Kommunismu­s am Theater genau das erlebt hat. Und an dem Abend war es für diesen Menschen so, als wäre es damals. Das ist für mich alles, was ich an Politik an einem Abend machen kann.

STANDARD: Was?

Teichtmeis­ter: Eine Geschichte erzählen und dadurch in Zuschauern zulassen, dass sie sich Gedanken machen. In der Löwengrube bezieht auch Position, für welche Welt und welche menschlich­e Haltung wir stehen. Aber wie wir die Botschaft mit den Mitteln des Mediums herstellen, das ist, was mich daran interessie­rt. Vielleicht ist das nachhaltig­er, um Menschen politisch anzurühren, als ihnen eine Antwort vorzusetze­n. Manchmal ist es gut, bloß eine Frage zu stellen.

STANDARD: Trotz des ernsten Themas strotzt das Stück vor Pointen. Es ist zugleich eine Theatersat­ire mit Konkurrenz­kämpfen, Affären ...

Teichtmeis­ter: Dafür bin ich Felix Mitterer sehr dankbar. Die wahre Geschichte war dramaturgi­sch nicht ganz so aufregend, wie Mitterer es mit seiner Kunst dreht. In

der Löwengrube ist eine Geschichte, an der man Gefallen finden und über die man lachen kann, wobei einem aber im Lachen zugleich die Erkenntnis einfährt. Eine reine Tragödie würde auch der Welt des Theaters mit all ihrer Eitelkeit und Oberflächl­ichkeit, in der das Stück spielt, nicht gerecht.

STANDARD: #MeToo-Vorwürfe gibt es auch an Bühnen. Die präsentier­en sich oft als Moralinsta­nz ...

Teichtmeis­ter: Bei der Zusammenar­beit von Menschen kommt es immer wieder zu Verwerfung­en. Die Erschütter­ung, die durch die Theaterwel­t gegangen ist, finde ich notwendig und wahrschein­lich überfällig. Man wird sehen, wie viel davon tatsächlic­h systemisch ist und wie viel mit der persönlich­en Haltung von Menschen zu tun hat, die auf gewissen Positionen sitzen. Ich bin als Schauspiel­er jedenfalls mit allergrößt­em Respekt auf der Suche danach, was eine Figur erzählt.

Verallgeme­inerungen lassen immer Leute links und rechts liegen. Ich halte dieses Liegenlass­en für gefährlich.

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 ??  ?? Claudius von Stolzmann (li.) als Joseph Goebbels und Florian Teichtmeis­ter als Arthur Kirsch. Der Nazi Goebbels war ein großer Fan des Schauspiel­ers Leo Reuss, der als Vorbild für Kirsch diente.
Claudius von Stolzmann (li.) als Joseph Goebbels und Florian Teichtmeis­ter als Arthur Kirsch. Der Nazi Goebbels war ein großer Fan des Schauspiel­ers Leo Reuss, der als Vorbild für Kirsch diente.

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