Teichtmeister spielt Mitterer
Im Theater in der Josefstadt gibt Florian Teichtmeister einen jüdischen Schauspieler, der die Nazis entlarven will. „In der Löwengrube“handelt aber auch von Eitelkeit am Theater. Was haben blondierte Schamhaare mit alldem zu tun?
Die wahre Geschichte des Schauspielers Leo Reuss hat Felix Mitterer zum Stück In der Löwengrube inspiriert. Der jüdische Schauspieler wurde unter den Nationalsozialisten quasi mit einem Auftrittsverbot belegt, zog sich nach Salzburg zurück, ließ sich einen Bart wachsen, färbte sich die Haare blond, nahm den lokalen Dialekt an und kehrte als Naturtalent von den Bergen zurück auf die Bühne. Niemand erkannte ihn, und er feierte rasende Bühnenerfolge. Sogar der Nazi-Propagandaminister und Präsident der Reichskulturkammer Joseph Goebbels lag ihm zu Füßen. Schauspieler Florian Teichtmeister schlüpft unter der Regie von Stephanie Mohr aktuell im Theater in der Josefstadt in die Rolle des Arthur Kirsch.
STANDARD: Geht die Rolle des Arthur Kirsch mehr an die Nieren als eine heitere?
Teichtmeister: Ich spiele diese Rolle wirklich gerne. Aber sie ist körperlich gleich spürbar, und seelisch bleibt es nach ein paar Vorstellungen auch nicht folgenlos, angespuckt zu werden. Das kann man professionell nehmen, aber irgendwo hinterlässt es doch auch ein Gefühl der Vereinsamung.
STANDARD: Warum spielen Sie die Rolle trotzdem besonders gerne?
Teichtmeister: Weil sie eine Form des Widerstands in sich trägt, die ich hochinteressant finde.
STANDARD: Arthur Kirsch, den Sie spielen, kommt nicht an die Josefstadt zurück, nur weil er weiterhin Schauspieler sein will. Er will das System der Nationalsozialisten ad absurdum führen ...
Teichtmeister: Er will sich nicht platt rächen, sondern das Regime vorführen. Dabei kommt er allerdings auch um plumpe Rache nicht herum, und bis zu einem gewissen Grad bereitet sie ihm ein Gefühl der Befriedigung. Diese Erfahrung mache ich auf der Bühne gerne jeden Abend wieder: dass man sich bei Handlungen ertappt, die man bei anderen verurteilt.
STANDARD: Weil das sehr mensch
lich ist?
Teichtmeister: Je länger ich Stücke spiele, die sich damit auseinandersetzen, welche Verantwortung der Einzelne hat, umso schwerer fällt es mir, irgendetwas zu verallgemeinern. Dazu bin ich nicht mehr willens. Ich kann keiner Gruppe von Menschen mehr pauschal etwas unterstellen. Persönliche Motive sind persönlich, und daraus etwas abzuleiten, das allgemeingültig sein soll, wird immer Leute links und rechts liegen lassen. Und ich halte dieses Liegenlassen für gefährlich.
STANDARD: Warum?
Teichtmeister: Für mich bedeutet Gesellschaft immer noch Solidarität und füreinander einzustehen und Menschen nicht aufzugeben.
STANDARD: Im Theater geht es immer schon um das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft ...
Teichtmeister: Ja, eine Idee des Theaters besteht darin, das Individuum gegen das Kollektiv zu stellen, um zu zeigen, wie es zerbricht oder sich behaupten kann. Ich halte das Theater selbstverständlich für einen Ort des Diskurses und der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
STANDARD: Felix Mitterer hat sich von einer wahren Geschichte zu
„In der Löwengrube“inspirieren lassen. Haben Sie sich am historischen Vorbild Leo Reuss orientiert?
Teichtmeister: Ich habe nachgeschaut, wer dieser Leo Reuss war. Das mache ich immer, und dann stellt sich heraus, ob es etwas an der Figur gibt, das es für mich nachzumachen lohnt. Es sind oft die kleinen Geschichten, die dabei einen Mehrwert geben. Leo Reuss hat sich zum Beispiel die Haare am ganzen Körper blondiert. Damit er beim Umziehen in der Garderobe nicht nur am Kopf blond ist. Das ging nicht ohne Hautverätzungen ab und war natürlich schmerzhaft. Die Momente, in denen ich auf der Bühne denke, da brennt die Haut, denn da hab ich mich vor einer Woche blondiert – ich weiß nicht, ob man das als Zuschauer bemerkt, im Programmheft steht’s auch nicht, aber das versuche ich für das Innenleben der Figur und dafür, wie ich sie spiele, aus der Biografie von Leo Reuss herauszuholen.
STANDARD: Das Stück wurde 1998 uraufgeführt, sechzig Jahre nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland. Haben Sie während der Proben darüber nachgedacht, ob Arthur Kirsch heute ein Flüchtling oder ein Muslim wäre?
Teichtmeister: Ich habe das für mich überlegt, aber am Schluss macht es keinen Unterschied. Die Repressionen haben sich verschoben, aber prinzipiell hat sich nichts geändert. Wenn man mit einer Geschichte ganz präzise von einer Zeit erzählt, können die Zuschauer die Analogie sehr wohl erkennen. Wahrscheinlich schneller, als wenn man mit dem Schild „Früher Jude, heute Muslim“auf der Bühne steht. Wir haben nach einer Vorstellung einen Brief von jemandem bekommen, der im Kommunismus am Theater genau das erlebt hat. Und an dem Abend war es für diesen Menschen so, als wäre es damals. Das ist für mich alles, was ich an Politik an einem Abend machen kann.
STANDARD: Was?
Teichtmeister: Eine Geschichte erzählen und dadurch in Zuschauern zulassen, dass sie sich Gedanken machen. In der Löwengrube bezieht auch Position, für welche Welt und welche menschliche Haltung wir stehen. Aber wie wir die Botschaft mit den Mitteln des Mediums herstellen, das ist, was mich daran interessiert. Vielleicht ist das nachhaltiger, um Menschen politisch anzurühren, als ihnen eine Antwort vorzusetzen. Manchmal ist es gut, bloß eine Frage zu stellen.
STANDARD: Trotz des ernsten Themas strotzt das Stück vor Pointen. Es ist zugleich eine Theatersatire mit Konkurrenzkämpfen, Affären ...
Teichtmeister: Dafür bin ich Felix Mitterer sehr dankbar. Die wahre Geschichte war dramaturgisch nicht ganz so aufregend, wie Mitterer es mit seiner Kunst dreht. In
der Löwengrube ist eine Geschichte, an der man Gefallen finden und über die man lachen kann, wobei einem aber im Lachen zugleich die Erkenntnis einfährt. Eine reine Tragödie würde auch der Welt des Theaters mit all ihrer Eitelkeit und Oberflächlichkeit, in der das Stück spielt, nicht gerecht.
STANDARD: #MeToo-Vorwürfe gibt es auch an Bühnen. Die präsentieren sich oft als Moralinstanz ...
Teichtmeister: Bei der Zusammenarbeit von Menschen kommt es immer wieder zu Verwerfungen. Die Erschütterung, die durch die Theaterwelt gegangen ist, finde ich notwendig und wahrscheinlich überfällig. Man wird sehen, wie viel davon tatsächlich systemisch ist und wie viel mit der persönlichen Haltung von Menschen zu tun hat, die auf gewissen Positionen sitzen. Ich bin als Schauspieler jedenfalls mit allergrößtem Respekt auf der Suche danach, was eine Figur erzählt.
Verallgemeinerungen lassen immer Leute links und rechts liegen. Ich halte dieses Liegenlassen für gefährlich.