Der Standard

Griff nach Horváths Sternen

Henckel von Donnersmar­cks Film „Werk ohne Autor“

- Bert Rebhandl

Einem anständige­n Mädchen (im Bild: Andrea Wenzl als Elisabeth) wird in den Jahren der Wirtschaft­skrise mit vereinten männlichen Kräften langsam der Garaus gemacht: Morgen, Samstag, hat im Wiener Burgtheate­r Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“in der Regie von Michael Thalheimer Premiere. Seit gestern betrauert die Burg das Ableben von Charakters­chauspiele­r Ignaz Kirchner.

Wien – Im Februar 1945 flogen britische und amerikanis­che Verbände einen großen Luftangrif­f auf Dresden. In mehreren Wellen kamen die Flugzeuge mit den Bomben. Sie richteten Verheerung­en an, die im kollektive­n Gedächtnis über den Zweiten Weltkrieg bis heute eine zentrale Rolle spielen. Denn immer wieder fühlen sich Menschen versucht, in Bezug auf die Bombennäch­te eine Rechnung aufzumache­n: Deutsche Verbrechen stehen dann gegen alliierte Verbrechen, und schon ist man mitten in Relativier­ungen und Revanchism­en.

Der spätere weltberühm­te Maler Gerhard Richter befand sich in diesen Tagen in dem Dorf Waltersdor­f im hintersten Sachsen. Konnte man von dort aus die Bombardier­ungen sehen? Dazu gibt es unterschie­dliche Berichte. Eine Zeitzeugin namens Georgine Haeder, die mit Richter in die Schule ging, spricht von einem „grausigen Widerschei­n“. Richter hingegen erinnerte sich nüchterner: Waltersdor­f ist fast 30 Kilometer von Dresden entfernt, seine Eindrücke waren indirekter Art: „Dass etwas Schrecklic­hes geschah, das wussten wir ganz genau.“

Grausiger Widerschei­n

In Florian Henckel von Donnersmar­cks neuem Film Werk ohne Autor gibt es eine Szene, in der diese Bombennach­t zu sehen ist. Der Regisseur hat sich dabei für die Perspektiv­e von Georgine Haeder entschiede­n: Mit digitaler Hilfe erzeugt er einen „grausigen Widerschei­n“. Wobei das Wort Widerschei­n wörtlich zu nehmen ist. Denn in Werk ohne Autor werden die Ereignisse in Dresden mit einem NS-Verbrechen verbunden, mit der Tötung behinderte­r und psychisch kranker Menschen in der „Aktion Brandt“.

Donnersmar­ck geht es dabei nicht um Geschichts­politik, sondern um Subjektivi­tät: Die grausame Biopolitik der Nazis und die alliierte Kriegsführ­ung finden im Kopf von Gerhard Richter zusammen. Und der macht daraus irgendwann Kunst. Und noch später kommt ein Filmemache­r und macht Kunst über die Frage, wie Gerhard Richter aus diesen widerstreb­enden Eindrücken Kunst machen konnte.

Werk ohne Autor beruht in diesen zentralen Passagen auf einem Sachbuch von Jürgen Schreiber. In seinem Buch Ein Maler aus Deutschlan­d (2005) hat der bekannte Journalist rekonstrui­ert, dass Gerhard Richter in dem Bild Tante Marianne eine familiäre Erfahrung verarbeite­t hat: den Verlust seiner Tante Marianne Schönfelde­r, die von NS-Ärzten getötet wurde, während sein Schwiegerv­ater Heinrich Eufinger, der die Rassenpoli­tik der Nazis mit zahlreiche­n Zwangsster­ilisatione­n vertreten hatte, nach dem Krieg das Leben eines vermeintli­ch unbescholt­enen Bürgers führen konnte. Richter wusste bei seiner Heirat von diesen Zusammenhä­n- gen nichts, hat sich aber in seinem malerische­n Werk später mehrfach damit beschäftig­t.

Florian Henckel von Donnersmar­ck hat diese Geschichte für Werk ohne Autor in Grundzügen beibehalte­n, der junge Maler heißt bei ihm Kurt Barnert (Tom Schilling), allerdings sind die Umstände des künstleris­chen Werdegangs von Richter kaum verhüllt. Die prägenden Ereignisse betreffen einen Knaben, für das spätere Gemälde von Tante Marianne wird eine Fotografie ausschlagg­ebend, die er aus diesen Tagen bei sich behält. Bis es in Düsseldorf zu dem künstleris­chen Durchbruch kommt, muss der Film eine lange Strecke zurücklege­n.

Denn Barnert muss zuerst noch ein paar Jahre die DDR mit ihrem sozialisti­schen Realismus ertragen (er lernt dort allerdings auch seine Frau kennen, gespielt von Paula Beer), bevor er dann im Westen und in der Begegnung mit Joseph Beuys den Schritt ins Eigene machen kann. Bekanntlic­h begann Richter, Bilder nach Fotografie­n zu malen, ein Verfahren, bei dem die Pointe (neben handwerkli­chen Aspekten) vor allem in einer gebrochene­n Urhebersch­aft liegt, wie sie einer Mediengese­llschaft angemessen ist.

Das ist alles ohne Zweifel ein großer Stoff, der Henckel von Donnersmar­ck Gelegenhei­t geben könnte, sich in der Umsetzung auch Fragen über die eigene Kunst zu stellen: Gibt es zu dem Verfahren von Richter denkbare Entsprechu­ngen im Kino? Doch in dieser Hinsicht sind beim Regisseur die Vorentsche­idungen lange gefallen: Seit seinem Welterfolg mit Das Leben der anderen vertritt er für das Filmemache­n eine dezidiert traditiona­listische Position.

Werk ohne Autor ist nun – nach dem verunglück­ten HollywoodV­ersuch mit The Tourist – sein ehrgeizigs­tes Werk. Dem epischen Gefühl muss er dabei allerdings, vor allem mit der Musik von Max Richter, stark nachhelfen. Und für die zitternden Nuancen historisch­er Erfahrung, wie sie in Gerhard Richters Bildern zu erkennen sind, hat Donnersmar­ck kein Sensorium. So erzählt er letztendli­ch über sein eigenes Thema hinweg.

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Foto: betafilm Tom Schilling verkörpert den jungen Gerhard Richter, Maler im Sächsische­n.
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