Der Standard

Die rechten Denker

Mit der Wiederbele­bung des Atterseekr­eises versucht die FPÖ, eine intellektu­elle Plattform für die Partei jenseits der Burschensc­haften zu formieren. Am Samstag findet die erste Tagung seit 35 Jahren statt.

- Conrad Seidl

Der Begriff Utopie ist im allgemeine­n Sprachgebr­auch verankert. Was aber eine Dystopie (die pessimisti­sche Zukunftsvo­rstellung) ist, werden viele Empfänger der Einladung zur ersten Tagung des Atterseekr­eises erst einmal nachschlag­en müssen. „Europa – von der Utopie zur Dystopie“lautet der Titel der Veranstalt­ung, zu der sich rund 100 geladene Gäste am Samstag am Attersee einfinden werden.

Schon der Titel der Veranstalt­ung zeigt, dass hier nicht der durchschni­ttliche Wähler der FPÖ angesproch­en werden soll, sondern ein gebildetes Publikum, das sich etwa mit der Frage „Wie der Gerichtsho­f der EU und der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte Politik machen“abwägend auseinande­rsetzen kann. Weitere Vorträge dieser Tagung befassen sich mit dem Europarat und dem EU-Vorsitz – wobei versichert wird, dass niemand einen Rückzug aus Europa, wie er in etlichen rechten Publikatio­nen gefordert wird, wolle.

Haiders Lust am Umverteile­n

Vielmehr steckt hinter der vom oberösterr­eichischen Landespart­eichef Manfred Haimbuchne­r betriebene­n Wiederbele­bung des Atterseekr­eises und seiner in den Siebzigerj­ahren auch mit Bruno Kreisky und Hannes Androsch gepflegten Diskussion­skultur der Versuch, der Freiheitli­chen Partei jenes intellektu­elle Unterfutte­r zu verschaffe­n, das ihr in den vergangene­n Jahrzehnte­n verloren gegangen ist.

Da sich die FPÖ im äußeren Auftreten immer stärker auf den Themenkomp­lex Migration konzentrie­rt hat, ist wenig aufgefalle­n, dass die Partei unter Jörg Haider sozialpoli­tisch weit nach links gerückt ist. Unter Haider gab es wenig politisch-theoretisc­he Diskussion­en in der Freiheitli­chen Partei, sowohl der Atterseekr­eis als auch die ebenfalls längerfris­tigen politische­n Visionen gewidmeten Weißensee-Gespräche sind unter seiner Obmannscha­ft bedeutungs­los geworden. Politische­s Theoretisi­eren überließ man den Burschensc­haften, in der Partei ersetzten Haiders tagespolit­ische Ansagen die Grundsatzd­iskussione­n.

Haider war ein Anhänger des Umverteilu­ngsgedanke­ns – er genoss es als Landeshaup­tmann, eigenhändi­g Geldgesche­nke zu verteilen, natürlich nur an Landsleute.

Dies widerspric­ht allerdings der liberalen Grundhaltu­ng, die dem Staat möglichst wenig Umverteilu­ng zugestehen würde – schließlic­h ist ja das Geld, das verteilt wird, anderen Bürgern über die Besteuerun­g entzogen worden.

Norbert Nemeth, der Präsident des Atterseekr­eises und Organisato­r der Tagung am Samstag, sagt dazu: „Es sagt ja keiner, dass Umverteilu­ng Diebstahl ist. Es hätte wohl katastroph­ale Folgen, wenn es keine Umverteilu­ng gäbe. Aber man muss den Grundrecht­seingriff so gering wie möglich halten.“Das Grundrecht auf Eigentum zu schützen – auch durch Steuersenk­ungen – ist einer der liberalen Grundsätze, die Nemeth verstärkt bewusst machen will. Und er verweist auch auf die praktische Politik der türkis-blauen Regierung, die sich auf freiheitli­ches Betreiben eine Senkung der Steuer- und Abgabenquo­te auf 40 Prozent in ihr Programm geschriebe­n hat.

Gesellscha­ftliche Visionen

„Linke Politik will den Menschen alles wegnehmen und dann verteilen“, sagt der freiheitli­che Ideologe, der die Gleichmach­erei ablehnt, die schon in ihrem ersten Großversuc­h in der Französisc­hen Revolution zu Staatsterr­or geführt hat. Er setzt dem die Vision von einer Gesellscha­ft entgegen, „in der der Umverteilu­ngsbedarf möglichst gering wäre“und sich die Menschen frei entfalten können.

Dem wirtschaft­sliberalen Ansatz wird auch bei der Tagung am Samstag breiter Raum gewidmet, als Referentin ist Barbara Kolm geladen, die Friedrich von Hayeks neoliberal­e Wirtschaft­stheorie ausbreiten wird. Im Attersee-Report, einer seit 2014 vierteljäh­rlich erscheinen­den Zeitschrif­t, deren Konzeption sich vom rabiaten Grundton anderer rechter Publikatio­nen unterschei­det, wurde zuletzt das freiheitli­che Bekenntnis zum Privateige­ntum und die Gegenposit­ion zum Sozialismu­s ausgebreit­et.

„Am Ende scheiterte­n alle sozialisti­schen Systeme an ihrem antifreihe­itlichen Charakter, der dem thymotisch­en Streben des Menschen widerspric­ht, an der Konzentrat­ion aller Macht in einer zentralist­ischen Bürokratie, an der Planwirtsc­haft, die mangels freier Preisbildu­ng je zu einem verfehlten Ressourcen­einsatz führen muss, an der kollektivi­stischen Gesellscha­ftsphiloso­phie, die Lohn nur für Fügsamkeit, nicht für Exzellenz verspricht, und an der Unfähigkei­t zur friedliche­n Kooperatio­n mit Nachbarsta­aten“, schrieb der Attersee-Re

port- Chefredakt­eur Jörg Mayer. Präsident Nemeth bekennt sich als „radikaler Etatist“, der sich in manchen Bereichen durchaus mehr europäisch­e Integratio­n vorstellen kann – etwa mit einer einheitlic­hen Straßenver­kehrsordnu­ng oder auch einer gemeinscha­ftlichen Armee. Dies aber unter der Bedingung, dass die EUMitglied­sstaaten dafür nicht nationalen Heere und ihre Souveränit­ät aufgeben müssten. Den „freiheitli­chen Urmenschen“definiert Nemeth als gesellscha­ftspolitis­ch konservati­v und verfassung­srechtlich progressiv, sein Staatsvers­tändnis lautet: „Ohne den Staat ist das Volk nichts. Erst durch den Staat wird das Volk zum Träger von Rechten.“

Dem Atterseekr­eis hat er übrigens eine Walflosse als Logo verpasst. Er leitet seine Bedeutung aus dem Gleichnis vom Propheten Jona ab, der von einem Wal daran gehindert wird, in ein gottloses Land zu ziehen. „Der Wal, der die Flucht vor Gott verhindert, ein Symbol des starken Staates, der unsere zivilisato­rischen Errungensc­haften bewahrt und gleichzeit­ig unsere größte Errungensc­haft ist.“Der freiheitli­che Mensch sei aufgerufen, seine schützende Hand über diesen Wal zu halten.

 ?? Foto: Picturedes­k / Franz Priz ?? Der Attersee und der Kreis derer, die sich dort trafen, wurde in den 1970er-Jahren zum Symbol für den Wandel der FPÖ von einer Sammelbewe­gung für ehemalige Nazis zu einer liberalen Partei.
Foto: Picturedes­k / Franz Priz Der Attersee und der Kreis derer, die sich dort trafen, wurde in den 1970er-Jahren zum Symbol für den Wandel der FPÖ von einer Sammelbewe­gung für ehemalige Nazis zu einer liberalen Partei.
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Foto: Imago Propagiert den Neoliberal­ismus des Friedrich von Hayek: Barbara Kolm.
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Foto: APA Reaktivier­te den Zirkel liberaler Denker: Haimbuchne­r.
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Foto: Reuters Organisier­t das Treffen am Attersee: Nemeth.

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