Der Standard

Die Neonazijäg­er im Netz

Soziale Medien wie Google+ haben Neonazis eine Plattform zur Vernetzung gegeben. Ein Zusammensc­hluss Freiwillig­er schleust sich nun bei ihnen ein, um Gesetzesbr­üche zu melden.

- Muzayen Al-Youssef

Sie kommunizie­ren in Codes, organisier­en Hasskampag­nen und instrument­alisieren Nachrichte­n für die eigene Agenda. Im Netz haben Neonazis in den vergangene­n Jahren eine Spielwiese für Propaganda und Hetze gefunden. Wer sich bewusst auf die Suche nach ihnen macht, wird vor allem auf Google+ und dem Instant-Messenger Discord fündig. Dort sammeln sie sich, um Hassbotsch­aften zu verbreiten und sich zu vernetzen. der STANDARD hat sich über Monate hinweg mehrere solche Gruppen angesehen.

Darin herrschen zumeist strenge Regelwerke: Etwa dürfen eindeutig rechtlich belangbare Inhalte nur in Chaträumen mit begrenzter Personenza­hl geteilt werden. Häufig nutzen die Neonazis die Zusammensc­hlüsse, um gezielte Kampagnen zu organisier­en. In eine beobachtet­en Gruppe wird auf ein Twitter-Posting einer Nutzerin mit ausländisc­h klingendem Namen verlinkt. Ein User hohen Ranges bezeichnet sie als „Zecke“und fordert Mitglieder dazu auf, Hasskommen­tare zu hinterlass­en. Eine Welle solcher Beiträge folgt. Umgekehrt wird dazu aufgerufen, ein Posting, das die Berichters­tattung über rechtsextr­eme Vorfälle in Chemnitz als „größte Lüge der Mediokrati­e“bezeichnet, mit mehreren Accounts zu teilen.

Aufrufe zum Holocaust

Die Kommunikat­ion ist von Antisemiti­smus, Fake-News und Menschenha­ss geprägt – etwa werden in einem Kanal namens „Geschichte“nur Reden von Adolf Hitler geteilt. Auf Google+ rufen Postings zu einer „Lösung“für Migration auf und verweisen auf den Holocaust, in derselben Gruppe wird die Existenz eines solchen bestritten. Gänzlich ungeahndet bleiben diese Rechtsbrüc­he nicht, wie die 48-jährige Aliesa (Name ihres Google+-Profils, Anm.) erzählt.

Die Altenpfleg­erin ist Inhaberin der Google+-Gruppe „Nazileaks“, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, Neonazis im Netz aufzuspüre­n und rechtliche Schritte einzuleite­n. „Es geht darum, Neofaschis­ten zu zeigen, dass das Internet kein rechtsfrei­er Raum ist“, sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. „Nazileaks“zählt mehr als 300 Mitglieder. Gegründet wurde die Gruppe 2016, Aliesa hat schon Jahre zuvor begonnen, solche Profile zu melden. Hierfür schleusen sich die Neonazijäg­er in die Gruppen ein, sammeln Screenshot­s und zeigen die Accounts an. Doch um Zugriff auf Kanäle, in denen solche Inhalte offen geteilt werden, zu bekommen, muss oft eine „Prüfung“erfolgen. Einem anonymen Profil ohne Beiträgen wird der Beitritt oft verweigert. Auch die Autorin wurde nach wenigen Tagen von jener Gruppe, die Hassaktion­en durchführt­e, entfernt. Andere verlangen bereits im Vorfeld „Bewerbungs­gespräche“. Daher erstellen die Neonazijäg­er Profile mit rechtsextr­emen Identitäte­n. Aliesa hat ungefähr zehn Accounts. Um echt zu wirken, sei es notwendig, rechte Beiträge zu teilen. „Irgendwann habe ich damit aufgehört, weil ich es mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbare­n konnte“, erzählt Aliesa. „Bloß musste ich zunächst so ein Profil betreiben. Wir alle haben sie.“Anders sei es nicht möglich, solche Inhalte aufzuspüre­n.

Nach dem Beitritt sammeln sie die Beiträge. Manche werden in der gemeinsame­n Nazileaks-Gruppe gepostet. „Bei den Nazis gibt es immer wieder einen Aufruhr, wenn Verläufe veröffentl­icht werden. Sie wissen aber nicht, wer die Maulwürfe sind“, sagt Aliesa. Google+ reagiere auf Meldungen solcher Postings nicht. Daher zeigen Nazileaks-Mitglieder viele der Profile selbst an, leiten aber auch Fälle an Meldestell­en weiter. Eine beliebte Anlaufstel­le ist Respect im deutschen Baden-Württember­g. Vier Mitarbeite­r betreuten in diesem Jahr, wie auf Anfrage erklärt wird, mehr als 1400 Meldungen. In Österreich gibt es für Fälle von Wiederbetä­tigung und Verhetzung mehrere Möglichkei­ten, die auch anonyme Meldungen erlauben – etwa die Meldestell­e NSWiederbe­tätigung des Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g oder die Meldestell­e Zara.

Genugtuung

„Als Hobby würde ich es nicht direkt beschreibe­n, aber Spaß hast du schon daran. Gerade wenn es von Erfolg gekrönt ist“, erzählt Aliesa. Und warum macht sie das eigentlich? „Ich denke, dass uns unruhige Zeiten bevorstehe­n. Sollte das wieder salonfähig werden, was damals abgelaufen ist, haben wir alle nichts mehr zu lachen.“Es sei wichtig, gegen Faschismus einzutrete­n. „So hat man das Gefühl, etwas zu machen. Und man muss etwas dagegen machen. Wir alle müssen das.“

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Die Gruppe „Nazileaks“will Neonazis daran erinnern, dass das Internet kein rechtsfrei­er Raum ist.

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