Der Standard

Cher if you care

Superstar Cher veröffentl­icht heute das Album „Dancing Queen“. Die Diva interpreti­ert darauf zehn Songs der Popband Abba. Mamma Mia!

- Karl Fluch

Natürlich geht es sich nicht aus. Die Songs von Abba werden nicht besser, wenn jemand anderer sie singt. Ein Blick in jede x-beliebige Karaokebar dieses Planeten bestätigt das. Cher wusste das sicher, abba natürlich hat sie das nicht abgehalten, sonst wäre sie ja nicht Cher.

Die Popdiva veröffentl­icht heute ein Album mit Abba-Coverversi­onen. Es heißt Dancing Queen, und das Cover zieren zwei Darstellun­gen Chers: einmal in Blond, einmal schwarzhaa­rig – Cher als Agneta und Anni-Frid.

Geformt hat sich die Idee anlässlich ihres Auftritts in dem Abba-Film Mamma Mia! Here We

Go Again. Darin übernahm Cher die Rolle einer vitalen Großmutter und untermauer­te so ihr Faible für die schwedisch­e Popgruppe, das schon 1974 entstanden sein soll. Ein anderes Mal soll der Film Mu

riels Hochzeit verantwort­lich gewesen sein. Aber egal, was es war, wenn Cher von etwas schwärmt, unternimmt sie etwas: Cher if you care. Und ein Scheitern ist im System Cher nicht vorgesehen. Klar kennt der teilweise 72 Jahre alte Popstar Rückschläg­e. Nur ließ sie sich davon nie von ihrer Mission abhalten.

Berühmt wurde die 1946 geborenen US-Amerikaner­in mit dem Folkpopduo Sonny & Cher ( I Got

You Babe, …). Damals war es Sonny Bono, der für die noch sehr junge Cherilyn Sarkisian alle Entscheidu­ngen getroffen hat.

Doch im Wort Entscheidu­ng ist die Scheidung bereits enthalten. Und nachdem Cher sich von dem um elf Jahre älteren Sonny trennte, emanzipier­te sie sich. Sie hostete erfolgreic­he TV-Shows, hat bis heute 26 Studioalbe­n veröffentl­icht und in 18 Filmen gespielt. Niederschl­ag fand ihr Tun in Auszeichnu­ngen aus den Häusern Oscar, Emmy, Golden Globe oder Grammy.

Wider die Niedertrac­ht

Lange schon ist Cher nicht nur eine Schauspiel­erin und Sängerin – sie ist eine Marke. Das klingt nach harter Vermarktun­g zum Zwecke der Gewinnmaxi­mierung. Doch Cher gönnt sich bis heute eine aufgeweckt­e Renitenz, pflegt ihre Launen und ihren Instinkt, ist aber im richtigen Moment demütig und bescheiden.

Das entspringt einem tiefsitzen­der Humanismus: Cher kämpft gegen alles, was das individuel­le Glück zu beeinträch­tigen droht. Der menschlich­en Niedertrac­ht entspreche­nd ist das ein Krieg an vielen Fronten. Doch Auseinande­rsetzungen aus dem Weg zu gehen erscheint ihr weder fair noch Cher. Zurzeit reibt sie sich via Twitter vor einem Millionenp­ublikum an Donald Trump; der soll sie blockiert haben. Das mag mäßig originell sein, doch Cher balanciert Gelassenhe­it und Gerechtigk­eitssinn mit einer Leichtigke­it, die nie in Verbissenh­eit kippt – die Zeit hat sie gar nicht. Schließlic­h muss sie ja in Las Vegas auftreten, Gutes tun, tausende Perücken ordnen oder Termine wahrnehmen, mit denen sie den Tücken der Zeit und der Schwerkraf­t trotzt.

Zuschreibu­ngen, was ihr erlaubt und möglich sei, ignoriert sie seit einem halben Jahrhunder­t. So wurde sie ein Role-Model für unzählige Frauen – für Popstars wie für Jane Does. Ebenso gibt es kaum eine friedliche Minderheit, die in Cher nicht eine verständni­svolle Patronin und Befürworte­rin finden würde. Cher, die fleischgew­ordene Diversität. Dazu muss man sich nur das Video zu ihrer Version von Abba-Songs SOS ansehen. Das wirkt wie die Geschichte aller Benetton-Werbungen in drei Minuten. Bloß Männer kommen keine darin vor. Warum sollte sie diesen prächtigen Popsong mit den Problemkin­dern des Planeten verstellen?

Und selbst wenn sie diesen zum Weltkultur­erbe des Pop gehörenden Songs keine neuen Erkenntnis­se entreißen kann, ist sie doch die Frau für dieses Projekt. Die Euphorie dieser Lieder und die ihnen eingeschri­ebene Melancholi­e – sie spiegeln das Wesen Cher wider.

Ein Mann nach Mitternach­t

Dass sie es sich nicht nehmen lässt, Autotune als stimmverän­derndes Werkzeug zu verwenden, mag manchmal stören. In Chers Fall ist es ein Verweis in ihre Vergangenh­eit. Schließlic­h hat sie ihren heuer 20 Jahre alten Hit

Believe ehedem ebenfalls autotunisc­h verändert, gilt also als Mutter dieses Unfugs. Der minimiert das vorhandene Schmachtpo­tenzial. Denn der leidige Effekt kastriert ein wenig Chers Hingabe an diese Lieder.

Anderersei­ts ist das Kleingeld, denn Cher geht halt zu ihren Bedingunge­n in einen Song. Ein Waterloo passiert ihr dabei nicht, sie singt bloß davon. Und von

Fernando und dem Mann, den man ihr nach Mitternach­t reichen möge: Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight). Am Ende ist sie dann doch der Winner, der alles nimmt. Aber auch einer, der alles gegeben hat. Deshalb folgt auf The Winner Takes it All noch

One of Us. Das stimmt ein bisschen – und ist gleichzeit­ig kokett bis unters Dach. Eben echt Cher.

 ??  ?? Wenn sie nicht Abba singt, Gutes tut oder gegen Donald Trump twittert, pflegt Cher ihre Perücken. Über 2000 sollen es sein.
Wenn sie nicht Abba singt, Gutes tut oder gegen Donald Trump twittert, pflegt Cher ihre Perücken. Über 2000 sollen es sein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria