Der Standard

Klingendes „Doppellebe­n“

Das Mumok unterfütte­rt seine Ausstellun­g über den Grenzgang zwischen bildender Kunst und Musik mit Konzerten. Zu Gast sind u. a. Hermann Nitsch und die schwedisch­e Künstlerin Emily Sundblad.

- Daniel Ender

Die Readymades von Marcel Duchamp wie sein berühmtes Urinal haben längst Kultstatus. Doch nur wenige wissen, dass der Gründungsv­ater der Konzeptkun­st und Ahnherr der Dadaisten auch revolution­äre musikalisc­he Ideen verfolgte, indem er etwa die Noten für ein Stück buchstäbli­ch aus dem Hut zauberte und somit ihre (Un-)Ordnung dem Zufall überließ. Er wandte eine musikalisc­he Collagetec­hnik in nuce an, die vorher nicht vorstellba­re Kombinatio­nsmöglichk­eiten ermöglicht­e.

Fast zeitgleich, 1913, schrieb der futuristis­che Maler Luigi Russolo das Manifest L’arte dei rumo

ri (dt. „Die Kunst der Geräusche“) und schuf damit die Utopie für eine bis dahin undenkbare Revolution in der Tonkunst. Zehn Jahre später überlegte László MoholyNagy, der Allrounder im Weimarer Bauhaus und Leiter der Metallwerk­statt, wie man durch das Ritzen in Schallplat­ten direkt Klang erzeugen konnte – ein Prozess, der erst ab den 1970er-Jahren von DJs systematis­ch realisiert wurde.

Das Eigenleben der Partitur

Das sind nur drei Beispiele dafür, wie die musikalisc­hen Avantgarde­n des 20. Jahrhunder­ts Impulse von außen erhielten, die oftmals aus der bildenden Kunst stammten. Umgekehrt sprengten auch Komponiste­n die etablierte­n Genregrenz­en: Arnold Schönberg verstand sich ebenso sehr als Maler wie als Komponist, auch wenn seine Bilder weniger revolution­är waren als jene von Wassily Kandinsky, mit dem er einen regen Gedankenau­stausch pflegte.

Im Lauf des Jahrhunder­ts wurde mit der Auflösung traditione­ller musikalisc­her Formen auch der grafische Aspekt der Partituren so bedeutsam, dass dieser sich verselbsts­tändigte und mitunter – in einer wahren „Augenmusik“– zum Wesentlich­en wurde. Musiker wurden zu Aktioniste­n, Literaten zu Bild- und Klangkünst­lern, Maler zu Musikern. Das, was Adorno die „Verfransun­g der Künste“nannte, wurde zu einem weit verbreitet­en Phänomen.

Ein „Tao der Musik“

Gerhard Rühm, Mitbegründ­er der Wiener Gruppe, erkundete solche Grenzübers­chreitunge­n nicht nur in seinen Lautgedich­ten und in seiner visuellen Poesie, sondern entwickelt­e außerdem sein ein-ton-stück, das er dezidiert ein „Tao der Musik“nannte, während in den USA gleichzeit­ig Musik in Meditation und absichtsvo­lle Absichtslo­sigkeit überging.

Für Amerika wie Europa die wohl einflussre­ichste Figur war hier John Cage, und es ist kein Zufall, dass ihm Duchamp ein halbes Jahrhunder­t nach seinen eigenen musikalisc­hen Experiment­en ein Notenblatt schenkte. Cage und die gesamte New Yorker Avantgarde wären undenkbar ohne ihre enge Verbindung zu bildenden Künstlerin­nen und Künstlern. Und

auch in der Fluxus-Bewegung, die nach dem Dadaismus nochmals den Kunstbegri­ff radikal infrage stellte, verschmolz­en per Aktion klangliche und performati­ve Elemente zu einem Gesamtbild.

Um all diese Entwicklun­gen kreist die aktuelle Ausstellun­g Doppellebe­n. Bildende Künst

ler_innen machen Musik im Museum moderner Kunst Wien (Mumok). Und es ist nur folgericht­ig, dass es in ihrem Zusammenha­ng eine exemplaris­che Konzertrei­he gibt, die das Thema anschaulic­h und hörbar macht. Drei Konzerte haben bereits vor dem Sommer stattgefun­den, nun wird die Reihe mit vier weiteren Projekten fortgesetz­t.

Eine Nitsch-Premiere

Der erste dieser Abende verspricht bereits Spektakulä­res: Hermann Nitsch, der im Sommer seinen 80. Geburtstag feierte und als einer der wichtigste­n Vertreter des Wiener Aktionismu­s einen bedeutende­n Raum in der Sammlung des Mumok einnimmt, feiert eine Premiere.

In Nitschs Orgien-MysterienT­heater war vom Künstler selbst geschaffen­e Musik von Beginn an ein wesentlich­es Element, außerdem stammen von ihm Werke für Orchester, Orgel (Harmonium) und Streichqua­rtett. Nun aber wird Nitsch selbst auf einer elektronis­chen Johannus-Orgel für das Publikum improvisie­ren – und zwar bei seinem „ersten musikalisc­hen Liveauftri­tt“, wie Mumok-Direktorin Karola Kraus betont (4. Oktober).

Von Krautrock bis Folk

Zwei Tage später ist Kontrabass­ist Michael Duch im Rahmen der Langen Nacht der Museen im Mumok zu Gast. Er präsentier­t Werke von Hanne Darboven, die auf bildender Kunst und deren Ordnungssy­stemen beruhen, Zahlenfolg­en in die Zeit projiziere­n. So ungewöhnli­ch ausgedehnt sind die Stücke, dass Duch das Projekt als „Marathon“beschreibt (6. Oktober).

Außerdem gastiert die Band der beiden bildenden Künstler Christian Kosmas Mayer und Alexander Wolff, Essachai Vow. Präsentier­t werden instrument­ale Nummern, die von Jazz, Dreampop, Krautrock und experiment­eller Musik inspiriert sind (11. Oktober).

Zum Abschluss der Reihe treten die Künstlerin und Sängerin Emily Sundblad sowie Organist Hampus Lindwall in der Jesuitenki­rche auf. Sundblads Horizont reicht von Schubert bis Folkmusic, sie bringt die vitale New Yorker Art-Rock-Scene für diesen Abend nach Wien (25. Oktober).

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Die Ausstellun­g „Doppellebe­n“im Mumok erzählt von bildenden Künstlern, die Musik machen. Einige davon kann man in der Konzertrei­he des Mumok live erleben.
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