Der Standard

Gemeinnütz­ige – Erosion am Bau

Buwog und Co lassen grüßen: warum es für den Fortbestan­d der gemeinnütz­igen Bauwirtsch­aft eine zentrale Kontrolle durch den „unabhängig­en“Bund braucht.

- Jörg Wippel

Was ist passiert? Wieder einmal wurde ein gemeinnütz­iges Wohnungsun­ternehmen im Eigentum einer öffentlich­en Institutio­n an private Wirtschaft­streibende erstens verkauft und zweitens zu einem vermeintli­ch zu geringen Preis – genauso wie 2004 die Bundeswohn­baugesells­chaften Buwog, WAG und andere.

Um zu verstehen, warum das passiert ist, kommt man an einem kurzen Abriss österreich­ischer Wohnbauges­chichte nicht vorbei: Unser Wohnungswe­sen hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg „bipolar“entwickelt. Um rasch die dringend notwendige­n Wohnungen für die breite Masse der Bevölkerun­g zu errichten, wurden gemeinnütz­ige Bauträger mit öffentlich­en Mitteln (Wohnbauför­derung) unterstütz­t. Die Eigentümer dieser Bauträger waren und sind bis heute Landesbank­en und -versicheru­ngen und/oder Körperscha­ften öffentlich­en Rechts (z. B. Gewerkscha­ften) oder Genossensc­haften. Auf der anderen Seite bestand der private Markt aus den vom Krieg nicht zerstörten alten Häusern sowie eher kleinen Wohnungsne­ubauten, die von privaten Eigentümer­n freifinanz­iert errichtet wurden.

Dort, im privaten Segment, waren bis vor etwa 30 Jahren die „armen Leute“zu Hause – im wahrsten Sinne des Wortes: Die Mietverträ­ge der billigen Substandar­dwohnungen waren unbefriste­t und de facto unkündbar. Damit war 1993 Schluss. Mit dem 3. Wohnrechts­änderungsg­esetz wurden befristete Mietverträ­ge nicht nur erleichter­t, sondern auch die Norm, und der vom Gesetz behauptete Preisschut­z wurde durch die Inkonsiste­nz des Gesetzes selbst immer mehr außer Kraft gesetzt.

Heute gibt es auf dem freien Markt fast keine billigen Wohnungen mehr, sondern nur noch solche, die ausstattun­gsmäßig okay bis gut sind und alle drei Jahre zu jeweils höheren Mieten neu vergeben werden. Der Preisansti­eg in diesem Segment war unverhältn­ismäßig größer als im gemeinnütz­igen beziehungs­weise kommunalen Sektor.

Im selben Zeitraum hat sich auch die gemeinnütz­ige Praxis gravierend verändert. Bis in die 80erJahre waren geförderte Wohnungen österreich­weit etwa gleich in Ausstattun­g und Mietzinshö­he, weil mit Bundesmitt­eln nach einheitlic­hen Regeln finanziert und errichtet. Der Prozess der Verländeru­ng der Wohnbauför­derung gepaart mit politisch gewollter Qualitätss­teigerung hat dazu geführt, dass auch hier eine überinflat­ionäre Preisentwi­cklung einsetzte.

Ergebnis der 30-jährigen Entwicklun­g beider Sektoren: Es gibt heute kaum noch Wohnungen, die sich untere und mittlere Einkom- mensschich­ten dergestalt leisten können, dass sie nicht mehr als 40 Prozent des Haushaltse­inkommens fürs Wohnen aufwenden müssen.

Was das alles mit der Forderung nach zentraler Kontrolle zu tun hat? Seit Kriegsende entstand ein sehr großer gemeinnütz­iger Wohnungsbe­stand. Dessen Verkehrswe­rt hat sich insbesonde­re durch die Bodenpreis­explosion in den letzten 15 Jahren enorm erhöht. Er kann aber weder in den Bilanzen der Unternehme­n noch in den Bilanzen ihrer Eigentümer dargestell­t werden – dem stehen die eigentumsr­echtlichen Beschränku­ngen des Wohnungsge­meinnützig­keitsgeset­zes entgegen. Gleichzeit­ig wächst der wirtschaft­liche Druck auf die Eigentümer­schaft. Folge: Aus liberaler Sicht betriebswi­rtschaftli­cher Schaden, aus traditione­ller wohnpoliti­scher Sicht volkswirts­chaftliche­r Schaden, wenn Verkäufe fortgesetz­t werden.

Es ist Sache der Politik zu entscheide­n, welcher Schaden schwerer wiegt. Angesichts dessen, dass die Versorgung der Bevölkerun­g mit leistbarem Wohnraum gegenwärti­g nicht mehr gewährleis­tet ist, sollte die Entscheidu­ng nicht schwerfall­en. Folgericht­ig heißt es im aktuellen Regierungs­programm: „Vorrangig soll sozialer Wohnbau denjenigen zur Verfügung gestellt werden, die ihn wirklich brauchen. Wir bekennen uns klar zum Prinzip der Wohnungsge­meinnützig­keit und sprechen uns gegen Spekulatio­n mit dem Vermögen gemeinnütz­iger Bauvereini­gungen aus.“Weiters geplant: „Stärkung der Sanktionsm­öglichkeit­en der Aufsichtsb­ehörden, indem diese die Möglichkei­t bekommen sollen, während eines laufenden Entziehung­sverfahren­s ein Veräußerun­gsverbot grundbüche­rlich einzutrage­n“.

Diese Vorhaben sind begrüßensw­ert. Konsequent zu Ende gedacht, sollte dann die Kontrolle gemeinnütz­iger Unternehme­n und die Verantwort­ung für die Verhinderu­ng weiterer Verkäufe aber nicht mehr bei den mannigfach in die Eigentümer­strukturen involviert­en bisherigen Instanzen liegen, sondern beim mittlerwei­le „unabhängig agierenden“Bund (der beim letzten Finanzausg­leich die Einhebung des Wohnbauför­derungsbei­trags erstmals in die Autonomie der Länder gegeben hat).

Die Wohnrechte Österreich­s (MRG, WGG, WEG, Wohnbauför­derungsges­etz) sind alle in Bundeskomp­etenz. Was also wäre vernünftig­er und normaler, als die Kontrollre­chte und die Richtlinie­nkompetenz in Sachen Gemeinnütz­igkeit beim Bund anzusiedel­n?

JÖRG WIPPEL ist Vorstand des Forums Wohn-Bau-Politik und Geschäftsf­ührer der WVG Bauträger GmbH.

 ??  ?? Die Versorgung der Bevölkerun­g mit günstigem Wohnraum war in Österreich lange gewährleis­tet. Das wird nun immer schwierige­r.
Die Versorgung der Bevölkerun­g mit günstigem Wohnraum war in Österreich lange gewährleis­tet. Das wird nun immer schwierige­r.
 ?? Foto: Newald ?? Jörg Wippel: Bipolares System in Österreich entstanden.
Foto: Newald Jörg Wippel: Bipolares System in Österreich entstanden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria