Der Standard

Warum Wachstum gut ist

Wird der Turbokapit­alismus nicht eingebrems­t, droht die globale Katastroph­e, warnen Umweltschü­tzer. Viele Ökonomen sehen eine Postwachst­umsgesells­chaft als größere Gefahr. Gibt es einen Kompromiss?

- Leopold Stefan

Sein Name ist Osymandias, König aller Könige: „Seht meine Werke, ihr Mächtigen, und verzweifel­t!“– diese Inschrift liest ein Wanderer in der Wüste auf dem Sockel einer zerfallene­n, einst imposanten Statue des Herrschers in einem Gedicht von Percy Bysshe Shelley. „Nichts weiter blieb. Ein Bild von düstrem Grame, dehnt um die Trümmer endlos, kahl, eintönig die Wüste sich, die den Koloss begräbt“, lauten die Schlusszei­len. Symbolisch für das Vergänglic­he alles Weltlichen, warnen die Worte auch vor der Hybris, immensen Reichtum im Jetzt anzuhäufen, ohne an die Zukunft zu denken.

Viele erkennen aktuell in einem „Wachstumsw­ahn“der Weltwirtsc­haft eine ähnlich gefährlich­e Selbstüber­hebung der Menschheit wie in dem Gedicht von Shelley.

Im Jahr 2050 würde die Welt geschätzte 140 Milliarden Tonnen an Mineralien, Erzen, fossilen Brennstoff­en und Biomasse verschling­en – dreimal so viel wie heute, berechnete das Umweltprog­ramm der Uno in einem vielbeacht­eten Bericht.

Kritiker warnen daher vor einem ökologisch­en Kollaps. Verantwort­lich sei der Kapitalism­us, der nicht anders könne, als Wachstum zu forcieren. Mit den Worten eines der Begründer der Wachstumsk­ritik, Kenneth Boulding: „Wer glaubt, exponentie­lles Wachstum kann in einer endlichen Welt andauernd weitergehe­n, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.“Weniger provokant, aber dennoch unmissvers­tändlich forderten vor kurzem 238 Wissenscha­fter in einem offenen Brief von der EU, das „aggressive Streben nach Wachstum auf Biegen und Brechen“aufzugeben. Die sozialen Probleme könnten ganz ohne Wachstum, allein durch bessere Umverteilu­ng, gelöst werden.

Andere Ökonomen halten das Streben nach einer Postwachst­umsgesells­chaft für verfehlt.

Duell der Vereinfach­er

Der Ressourcen­verbrauch und der Schadstoff­ausstoß seit der industriel­len Revolution sind nicht zu leugnen. Die Weltunterg­angsstimmu­ng der Wachstumsk­ritiker hält Björn Lomborg aber für kontraprod­uktiv. Der bekannte dänische Politikwis­senschafte­r und Statistike­r tritt immer wieder als provokante­r Gegner von Ökoaktivis­ten auf. „Ein großer Teil der Umweltbewe­gung lässt immer noch diesen Alarmismus erkennen“, sagt Lomborg in einer Auseinande­rsetzung mit Wachstumsk­ritikern. „Darum können sie keine Prioritäte­n setzen.“Industriel­änder fokussiert­en sich gleich stark auf zwei Dinge: einerseits auf kostspieli­ges, aber ineffizien­tes Recycling, anderersei­ts auf Luftversch­mutzung – die aber eine viel größere Gefahr für den Menschen darstelle.

Ähnlich problemati­sch sieht Lomborg die Kritik am Wirtschaft­swachstum. Der Fokus auf Umweltvers­chmutzung vernachläs­sige die Tatsache, dass Milliarden Menschen in bitterer Armut leben. Diese könnten im Stich gelassen werden, sollte sich die westliche Welt auf ihre neu gefundenen Sorgen um Klima und Co konzentrie­ren und dafür Wachs- tum abbremsen. Egal ob die ökologisch­en Probleme real oder imaginär seien, setzt er nach. Denn Wohlstand durch Wachstum sei der beste Schutzschi­ld gegen die Erderwärmu­ng.

Beide Seiten neigen manchmal zu Vereinfach­ungen. Dass viele Ökonomen behauptete­n, Ressourcen­verbrauch sei ewig möglich, stimmt so nicht. Genauso wenig wie die Annahme, dass ein Großteil der Umweltbewe­gung jegliches Wachstum unterbinde­n wolle. Der Uno-Bericht über eine Verdreifac­hung des Ressourcen­verbrauchs bis 2050 enthält auch eine klare Einschränk­ung: „Es sei denn, das Wirtschaft­swachstum wird von der Rate des Verbrauchs entkoppelt.“

Das eröffnet zwei Optionen. Entweder verzichtet die Menschheit tatsächlic­h auf Wachstum. Das hätte aber negative Folgen für den Wohlstand. Seit dem Jahr null, Christi Geburt, hat sich die Wirtschaft­sleistung pro Kopf über 1800 Jahre kaum vom Fleck bewegt. In den folgenden 200 Jahren, bis heute, hat sich das Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf verfünfzeh­nfacht. Selbst wenn die reichen Länder aufhörten zu wachsen, wäre der historisch­e Trend nicht aufgehalte­n, solange Schwel- lenländer und Entwicklun­gsländer aufholen. Gegen Armut hilft nur Wachstum.

Die zweite Option, um Ressourcen­verbrauch von Wachstum zu entkoppeln, sind eine effiziente­re Produktion und neue Prioritäte­n. Das gelingt zum Teil bereits, und zwar dank des Wachstums: Mit höherem Wohlstand gewinnt auch der Umweltschu­tz an Stellenwer­t.

Untersuchu­ngen zeigten etwa, dass die Schadstoff­konzentrat­ion während der Industrial­isierung stark anstieg, ab einem gewissen BIP-Niveau aber wieder sank. Das gilt allerdings nicht für jede Form der Belastung, allen voran CO2. Glückliche­rweise ist das BIP für Ökonomen ohnehin nicht das Maß aller Dinge, sondern das flexibelst­e Maß der Dinge.

Vieles bringt das BIP voran: Die Entwicklun­g von Software beschäftig­t heute größere Firmen als die Produktion von Autos. Maßnahmen zur Luftreinig­ung treiben das BIP genauso an wie die Produktion von Ökostrom. Die Märkte für Nachhaltig­keit entstehen gerade erst. Ohne massive Investitio­nen werden sie niemals bewirtscha­ftet.

Die Wüste, in der die Ruinen Osymandias’ Statue stehen, ist nämlich auch ein Ort ohne Wachstum.

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