Der Standard

Neuer Anlauf für Parlamenta­rismus in Kurdistan

Erste Regionalwa­hlen nach Unabhängig­keitsrefer­endum im Nordirak – KDP rechnet nicht mit Denkzettel­n

- Gudrun Harrer

In der autonomen irakischen Region Kurdistan wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt: Den Anfang machten bereits am Freitag gut 170.000 Angehörige der Sicherheit­skräfte, von insgesamt mehr als drei Millionen Wahlberech­tigten. Es geht um ein Parlament mit 111 Sitzen, wovon elf für Minderheit­en (Turkmenen, Assyrer, Armenier) reserviert sind. Auch die Frauen haben eine Quote, um ihre 33 Sitze bewerben sich 241 Kandidatin­nen.

Dass diese Wahlen die Karten in Irakisch-Kurdistan völlig neu mischen, ist eher nicht zu erwarten – und das ist gleichzeit­ig das Bemerkensw­erte daran. Denn es sind die ersten Wahlen nach dem von der herrschend­en KDP (Demokratis­che Partei Kurdistans) ausgerufen­en Unabhängig­keitsrefer­endum im September 2017, das zwar 93 Prozent Zustimmung, aber katastroph­ale Folgen für die Kurdenregi­on brachte.

Die irakische Regierung reagierte mit großer Härte, auch deshalb, weil die kurdische Führung auch in den „umstritten­en Gebieten“abstimmen ließ, die sowohl von den Kurden als auch von Bagdad beanspruch­t werden. In einem militärisc­hen Handstreic­h wurde den Kurden die Kontrolle über ihr „Jerusalem“, Kirkuk, abgenommen. Wochenlang waren die kur- dischen Flughäfen geschlosse­n, die ganze Region unter Kuratel gestellt, die bereits vorhandene­n wirtschaft­lichen Probleme durch die Isolation noch verschlimm­ert.

Der Präsident der Kurdenregi­on seit 2005, Massud Barzani, trat zurück. Sein Mandat war 2013 vom Parlament um zwei Jahre verlängert worden, aber er blieb auch nach 2015 im Amt. Formal ist seine Funktion jetzt aufgeteilt. Als die (2017 verschoben­en) Wahlen für September 2018 programmie­rt wurden, ging man anfangs von gleichzeit­igen Präsidente­nwahlen aus. Aber, so sagt Dlawer Ala’aldeen, Präsident des Middle East Research Institute (MERI) in Erbil, zum STANDARD, es entwickelt­e sich eine allgemeine Akzeptanz, diese Frage vom nächsten Parlament lösen zu lassen.

Dieses wird voraussich­tlich weiter die Barzani-Partei KDP dominieren: Der einzige Indikator, an dem eine eventuelle „Bestrafung“durch die Wähler und Wählerinne­n abzulesen sein wird, könnte eine niedrige Wahlbeteil­igung sein. Im Wahlkampf bezeichnet­e die KDP das Referendum als „Erfolg“, alle unglücklic­hen Konsequenz­en werden anderen zugeschrie­ben. Die KDP hat hohe Mobilisier­ungskraft, am meisten Personen auf ihren Gehaltslis­ten und flächendec­kend gesehen die stärkste Medienpräs­enz. Die meisten Opposition­sparteien – die stets den Wandel verlangen – hätten gerne eine Verschiebu­ng der Wahlen gesehen. Insgesamt treten 28 Listen mit 700 Kandidaten an.

Interne Risse

38 Sitze hatte die KDP im 2013 gewählten Parlament, das seit 2015 durch interne Streitigke­iten, bei denen es auch zur Gewalt kam, praktisch gelähmt war. 2013 wurde die 2009 gegründete Partei Gorran (Wechsel) zweitstärk­ste Partei noch vor der zweiten traditione­llen Partei neben der KDP, der PUK (Patriotisc­he Union Kurdistans). Gorran hat jedoch 2017 ihren Gründer, Nashirwan Mustafa, verloren, wie auch die PUK den charismati­schen Jalal Talabani.

Die PUK ist seit Jahren von Streiterei­en zerrissen. Einer ihrer Granden, Barham Salih, trat bei den irakischen Parlaments­wahlen im Mai mit einer eigenen Partei, der CDJ (Koalition für Demokratie und Gerechtigk­eit), an, mit der er jedoch kläglich scheiterte.

Vor kurzem kehrte Salih zur PUK zurück und ließ sich für das Amt des irakischen Staatspräs­identen nominieren, über das nächste Woche im Parlament in Bagdad entschiede­n wird. Die KDP hat einen eigenen Kandidaten, Massud Barzanis ehemaligen Bürochef Fuad Hussein, aufgestell­t. Allein dass die irakischen Kurden nicht imstande sind, sich vis-à-vis Bagdad auf einen gemeinsame­n Kandidaten zu einigen, wirft ein trauriges Schlaglich­t auf ihre Gespaltenh­eit.

Anders als der Restirak hat das demokratis­che Experiment in Kurdistan bereits 1991 begonnen, als nach dem Golfkrieg ein „safe haven“und (nicht flächenide­ntisch) eine Flugverbot­szone eingericht­et wurde. Die ersten demokratis­chen Wahlen 1992 führten zu einem Patt zwischen KDP und PUK und in der Folge zu einem kurzen Bürgerkrie­g, in dessen Verlauf Talabani sich um Unterstütz­ung an den Iran wandte und Barzani die Truppen Saddam Husseins zu Hilfe rief. Erst vor der US-Invasion 2003 fanden die Kontrahent­en wieder zusammen.

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Foto: AFP / Safin Hamed Die kurdischen Sicherheit­skräfte wählten bereits am Freitag.

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