Der Standard

Trauma als TV-Ereignis

- Olivera Stajić

In der Nacht zum Freitag schilderte Dr. Christine Blasey Ford live im Fernsehen die Details einer versuchten Vergewalti­gung. Dr. Ford, das mutmaßlich­e Opfer, sagte, sie erinnere sich vor allem an das Lachen ihrer Peiniger und daran, dass einer von ihnen, der Richter Brett Kavanaugh, ihren Mund zuhielt und sie Angst hatte zu ersticken.

Die bewegende Aussage Fords und die anschließe­nde Erwiderung und Verteidigu­ng Kavanaughs, eines angehenden Höchstrich­ters, wurde von einem Dutzend Sender übertragen. Die öffentlich­en Anhörungen sind eine Eigenheit des Supreme-Court-Auswahlver­fahrens in den USA. Ein Richter, der wie Kavanaugh für den Obersten Gerichtsho­f der Vereinigte­n Staaten vorgeschla­gen wurde, muss öffentlich Rede und Antwort stehen. Dass in diesem Verfahren eine mut- maßlich traumatisi­erte Frau intime Details eines sexuellen Übergriffe­s schildert und das Ganze in einem TV-Großereign­is mündet, ist bizarr.

Das politisch gespaltene USAmerika und der nicht minder polarisier­te Rest der politisch interessie­rten Welt debattiert­en live und hitzig unter dem Hashtag #KavanaughH­earings die Glaubwürdi­gkeit Fords und Kavanaughs. In den Pausen der Anhörung befragten Reporter Experten und interessie­rte Bürger.

Gezeigt wurden auch Bilder von Fernsehzus­chauern, die in der New Yorker Metro am Smartphone, in Bars und in Flugzeugen die Anhörung verfolgten. Trump, der die Nominierun­g Kavanaughs zurückzieh­en könnte, sah die Anhörung auch im Fernsehen. Was er sah, bestätige ihn in seinem Wunsch, Kavanaugh zum Höchstrich­ter zu machen, twitterte Trump anschließe­nd. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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