Der Standard

Italiens Regierung auf Crashkurs mit der EU-Kommission

Koalition in Rom erntet für ihren Plan, das Staatsdefi­zit deutlich zu erhöhen, heftige Kritik aus Brüssel – Turbulenze­n an der Börse

- Dominik Straub aus Rom

Um Mitternach­t, nach der Verabschie­dung des Finanzplan­s durch die Regierung, traten die Minister der Cinque Stelle auf den Balkon des Regierungs­gebäudes Palazzo Chigi, um sich von einigen Dutzend Anhängern feiern zu lassen. „Wir haben einen Plan beschlosse­n, mit dem in Italien erstmals die Armut besiegt wird“, erklärte Vizepremie­r und Arbeitsmin­ister Luigi Di Maio. Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik stehe der Staat auf der Seite der Bürger, und „zum ersten Mal nimmt er ihnen nichts weg, sondern er gibt ihnen etwas“, betonte der Süditalien­er in der Nacht auf Freitag.

Die angekündig­ten Wohltaten – erste Schritte in Richtung eines Bürgereink­ommens, eine Steuer- reduktion sowie die Senkung des Rentenalte­rs – erfolgen allerdings auf Pump: Das Defizit im Staatshaus­halt soll 2019 um 27 Milliarden Euro erhöht werden. Damit wird es 2,4 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts (BIP) betragen; für die zwei folgenden Jahre ist ein gleich hohes Defizit geplant.

Die Vorgängerr­egierung von Paolo Gentiloni hatte sich mit der EUKommissi­on im April noch auf 0,8 Prozent geeinigt. Dies hätte einen leichten Abbau der Schuldenqu­ote erlaubt. Die Staatsschu­ld liegt derzeit bei 2300 Milliarden oder 132 Prozent des BIP. Absolut gesehen ist dies der höchste Schuldenbe­rg in der EU und der dritthöchs­te der Welt.

Der parteilose Finanzmini­ster Giovanni Tria hatte wochenlang für eine weniger expansive Ausga- benpolitik gekämpft – und musste angesichts des Powerplays der populistis­chen Regierungs­partner, die ihre teuren Wahlverspr­echen wenigstens teilweise einlösen wollten, schließlic­h nachgeben. Tria hatte ein Defizit von 1,6 Prozent angepeilt – ein Ziel, mit dem er hoffte, ein Defizitver­fahren durch die EU-Kommission gerade noch vermeiden können.

EU-Wirtschaft­s- und -Währungsko­mmissar Pierre Moscovici hat ein solches gestern nicht ausgeschlo­ssen: „Pactae sunt servandae“, erklärte der Franzose in einem TV-Interview auf Lateinisch: Abmachunge­n seien einzuhalte­n. Die Staatsvers­chuldung Italiens sei „explosiv“und: Das Budget liege „außerhalb der Grenzen unserer gemeinsame­n Regeln“. Die EU-Kommission wird den italienisc­hen Finanzplan Mitte Oktober genau prüfen.

Auch die Finanzmärk­te haben nervös reagiert: Die Mailänder Börse sackte bis zum Mittag um mehr als vier Prozent ab; besonders schlimm traf es die Aktienkurs­e der Banken, die 350 Milliarden Euro an Staatsanle­ihen in ihren Büchern haben. Etliche Bankentite­l mussten vorübergeh­end vom Handel ausgesetzt werden.

Die Kurse der italienisc­hen Staatsanle­ihen stürzten ab, die Renditen schnellten in die Höhe. Es trat ein, wovor Finanzmini­ster Tria gewarnt hatte: „Es besteht die Gefahr, dass wir das zusätzlich­e Geld, das wir uns leihen, gleich wieder für höhere Zinsen ausgeben werden.“Italienisc­he Medien berichtete­n, dass Tria eigentlich aus Protest zurücktret­en wollte. Staatspräs­ident Sergio Mattarella habe ihn jedoch gebeten, zu bleiben – um die Verunsiche­rung auf den Märken nicht zu verstärken.

Doch auch mit Trias Verbleiben im Amt könnte es für Italien leicht noch schlimmer kommen: Im Oktober werden die Ratingagen­turen Moody’s und Standard & Poor’s ihre neuen Bonitätsno­ten verteilen. Italiens Anleihen liegen schon jetzt nur knapp über Ramschnive­au – sollten sie weiter hinunterge­stuft werden, dürften institutio­nelle Anleger möglicherw­eise schon bald keine italienisc­hen Schulden mehr kaufen.

Das könnte unabsehbar­e Folgen haben: Immerhin muss Italien – zusätzlich zur geplanten Neuverschu­ldung – jedes Jahr alte Anleihen in der Höhe von 400 Milliarden Euro durch neue ablösen.

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