Der Standard

Süße Hüllen für bittere Wahrheiten

Glaubenssp­altung, Inquisitio­n, politische Konflikte: Pieter Bruegel der Ältere traf mit seiner Kunst einst den Nerv der Zeit. Die Faszinatio­n seiner Werke hat sich erneuert. In Wien ist nun die größte Werkschau zu sehen, die es je gab.

- Anne Katrin Feßler

Bruegel war der Erste. Als 1981 die legendäre Reihe „100 Meisterwer­ke“auf Sendung ging, waren es seine Jäger im Schnee aus dem Wiener Kunsthisto­rischen Museum (KHM), seine durch die klirrende Kälte der Kleinen Eiszeit Stapfenden, die über die deutschen Mattscheib­en flimmerten. Ein öffentlich­rechtliche­r Bildungsau­ftrag, der einst Millionen Zuschauer zu bannen wusste und in dem neben dem wohlig-warmem Timbre der Sprecher nur das leise Atmen der „großen Museen der Welt“zu hören war.

Zu jener Zeit war Pieter Bruegel der Ältere (1527/28–1569) längst Teil des kollektive­n Bildgedäch­tnisses – ein Superstar unter den Alten Meistern. Populär war der Flame aber schon zu Lebzeiten, dabei starb er bereits im Alter von 41 Jahren. Sammler zahlten Höchstprei­se für seine den Volksallta­g schildernd­en Wimmelbild­er, seine apokalypti­schen Weltende-Visionen oder seine atmosphäri­sch dichten, an seiner Reise über die Alpen nach Italien geschulten Landschaft­en. Die Höfe in ganz Europa verlangten nach seinen Werken, denn der Ruhm von Bruegels Kunst verbreitet­e sich über humanistis­che Netzwerke.

Stille wird man bis 13. Jänner im Ringstraße­nhaus allerdings vergeblich suchen. Vielmehr wird das Knarzen des Parketts in den Sälen schier ohrenbetäu­bend sein. Denn Wien besitzt mit zwölf Tafeln weltweit nicht nur die größte Sammlung von Bruegel-Gemälden, von denen überhaupt nur 40 erhalten sind. Nächste Woche wird man obendrein eine in diesem Umfang niemals dagewesene Werkschau des Renaissanc­e-Meisters eröffnen: Zu Recht bewirbt man die Ausstellun­g mit 90 Arbeiten (davon ein Drittel Malereien!) als ein „Once in a Lifetime“-Erlebnis.

Zum 450. Todestag des Ausnahmekü­nstlers 2019 haben sich die internatio­nalen Museen wohl einen Ruck gegeben und die kostbaren, fragilen Holztafeln doch verliehen: das bestialisc­he Sen-

senschwing­en im Triumph des To

des aus dem Madrider Prado, die in eine Frostbeule­nszenerie eingebette­te Anbetung der Könige im

Schnee aus einer Privatsamm­lung in Winterthur oder die plündernde, die Hölle nicht fürchtende Tol

le Grete aus dem Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen.

Antwerpen, die Hauptwirku­ngsstätte von Pieter Bruegel d. Ä., war zur Mitte des 16. Jahrhunder­ts die reichste und womöglich bedeutends­te Stadt Europas. Die Stadt an der Schelde zählte 100.000 Einwohner (die Weltstadt Rom nur halb so viele). Als wichtigste­r internatio­naler Warenumsch­lagplatz und Zentrum der niederländ­ischen Buchproduk­tion und Druckkunst lockte sie die bedeutends­ten Künstler an. Allerdings war mit 300 Künstlern der Konkurrenz­druck hoch (Zum Vergleich: Bäcker gab es nur 170). Bruegel wusste sich durchzuset­zen, machte sich etwa durch Zeichnunge­n, die der Verleger Hieronymus Cock in Auflage von bis zu 2000 Exemplare verbreitet­e, einen Namen. Bald folgten Aufträge für die städtische Elite.

Hartnäckig­e Legenden

„Die Kunst ist gerne beim Reichtum“, schrieb Karel van Mander 1604 über Antwerpen. Sein Schilder-Boeck („Malerbuch“) galt lange als die Quelle für das Leben Bruegels, von dem selbst Geburtsort und -datum nur Näherungsw­erte sind. Allerdings sei das kunsttheor­etische Werk „mit Vorsicht zu genießen“, mahnt der Kunsthisto­riker Nils Büttner. Es sei mit literarisc­hen Topoi durch- zogen. Seit der Antike hält sich die Ansicht, die Inhalte von Bildern, seien mit den Leben der Künstler in Deckung zu bringen. „Eine solche Idee ist, dass einer, der gerne Säufer malt, selbst gern trinkt, oder eben ein Künstler, der Bauern malt, auch von Bauern kommt.“Das sei auch die hartnäckig­ste Legende über Bruegels Leben, so Büttner, der als Experte für niederländ­ische Meister Ende August eine kompakte Biografie zu Pieter Bruegel d. Ä. vorgelegt hat.

Manders berichtet über Bruegel auch, dass er in der Art Hieronymus Boschs gemalt habe und daher Piet de Drol („Der Drollige“) genannt wurde. Dieses Humoristis­che werde heute etwas überakzent­uiert, findet Büttner.

Die Komik ist allerdings auch das Element, wo sich Bruegel von dem um eine Generation älteren Genie aus ’s-Hertogenbo­sch am deutlichst­en unterschei­de. „Es ist mehr Komik in Bruegel. Er verpackt die bittere Wahrheit, die sich auch in seinen Bildern verbirgt, in eine süßere Hülle.“Das Lachen bleibt einem jedoch im Halse stecken, wenn man näher über den dargestell­ten Zustand der Moral nachdenkt. Eine Erfahrung, die Bruegels Bilder eindringli­cher macht.

Bruegel, der Humanist: Dieser Blick auf den Altmeister ist heute extrem beliebt. Seine Popularitä­t erklärt man gerne damit, dass er wie wir in einer Zeit der Umbrüche, geprägt von religiösen und politische­n Konflikten, lebte: Konfession­skriege, grausame Fremdherrs­chaft über die Niederland­e, die Gräuel der Inquisitio­n. Gewissheit­en der katholisch­en Kirche lösten sich auf. Bruegels Werke hingen aber genau an den Orten, die den Umbrüchen am längsten und heftigsten widerstand­en – den Höfen der regierende­n Fürsten, tritt Büttner dieser These entgegen. „Bruegel war auch kein Anhänger der Reformatio­n und noch viel weniger irgendwelc­her Geheimlehr­en. Er war ein Katholik, der für Katholiken Bilder gemacht hat.“Und diese fielen durchaus kirchenkri­tisch aus. Die Kritik an der Institutio­n Kirche sei so alt wie die Kirche selbst. „Die Behauptung­en, dass Bruegel protestant­ische Kritik in seinen Bildern verberge, um protestant­ische Glaubens-U-Boote an den Habsburger Hof zu bringen, ist problemati­sch.“ Kunsthisto­risches Museum Wien, 2. Oktober bis 13. Jänner 2019

Nils Büttner, „Pieter Bruegel d. Ä.“. € 10,30 / 127 Seiten. C.H. Beck, Köln 2018

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Auch 450 Jahre nach dem Tod von Pieter Bruegel d. Ä. geben seine Bilder Rätsel auf, so wie die „tolle Grete“(1562) mit ihrem Beutezug. Die Uneindeuti­gkeit macht aber sicher auch die Spannung in seinem Werk aus.

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