Der Standard

Geben Sie Informatio­nsfreiheit!

Kanzler Kurz muss das Klima der Geheimnist­uerei in Österreich beenden

- Martin Kotynek

Diese Woche war keine gute für die Demokratie in diesem Land. Der Europarat zeigt sich wegen der Medienfrei­heit in Österreich alarmiert, und auch die OSZE hat Österreich wegen der „Anregung“aus dem Innenminis­terium kritisiert, „einzelne Medien zu boykottier­en und den Informatio­nsfluss an diese beschränke­n“zu wollen.

Man kann die Schuld an dieser Misere auf seinen Mitarbeite­r schieben, wie Innenminis­ter Herbert Kickl es getan hat. Man kann den Grund auch bei Kickl selbst suchen, der kürzlich in einem TV-Interview deutlich gemacht hat, wie wenig er davon verstehen will, welche Aufgabe die freie Presse in einer Demokratie hat. Man kann auch den Kanzler selbst dafür kritisiere­n, dass die Regierungs-PR unter ihm eine neue Dimension erreicht hat. Dass manche Medien gezielt Informatio­nen erhalten, während andere benachteil­igt werden, ist keineswegs ein Phänomen FPÖgeführt­er Ministerie­n; zuletzt wurden etwa bei Infos zur Sozialvers­icherungsr­eform und zur Pensionser­höhung nicht alle Medien gleich behandelt.

Man kann aber auch auf einer noch höheren Ebene nach einer Erklärung suchen, warum solche „Anregungen“überhaupt entstehen. So etwas geschieht, weil Politik und Verwaltung in Österreich ein Transparen­zproblem haben, und zwar ganz offiziell: Es heißt „Amtsgeheim­nis“, steht im Verfassung­srang (einzigarti­g in Europa) und gilt seit der Kaiserzeit. Klare Regeln, was in der Praxis der Amtsversch­wiegenheit und was der Auskunftsp­flicht unterliegt, gibt es in Österreich nicht. ies ist die Grundlage für jene Geisteshal­tung, die Volksvertr­eter überhaupt erst auf die Idee kommen lässt, es sei ihre Entscheidu­ng, das Volk nach ihrem Gutdünken informiere­n oder im Dunkeln lassen zu können. Dies ist die Grundlage für ein Klima, in dem Informatio­nen der öffentlich­en Hand wie ein Eigentum betrachtet werden, für das sich nach Belieben entscheide­n lässt, ob man es weitergibt oder kritischen Medien wie dem STANDARD vorenthält, wie das in der E-Mail aus dem Innenminis­terium angeregt wurde.

Eigentlich sollte es genau umgekehrt sein: Alles, was der Staat macht, ist öffentlich – außer eine Geheimhalt­ung ist für die Sicherheit des Landes, für den Schutz des Geschäftsg­ebarens

Dvon Betrieben oder der Privatsphä­re von Bürgern unverzicht­bar.

Es ist nun auch in Österreich wirklich an der Zeit für ein Informatio­nsfreiheit­sgesetz, etwa nach dem liberalen Hamburger Vorbild. Damit hätten künftig alle Menschen einen klar definierte­n und in der Praxis vor Gericht auch durchsetzb­aren Anspruch, zu erfragen, was mit ihrem Steuergeld passiert. In den meisten EU-Ländern gibt es bereits ein Recht auf Dokumenten­einsicht.

Einer hat diese Notwendigk­eit schon 2013 erkannt. Unter dem Motto „Gläserner Staat statt gläserner Bürger“forderte er ein solches Transpa- renzgesetz, damit „alles, was aus Steuergeld finanziert wird, offengeleg­t werden muss“. Es war Sebastian Kurz, damals Staatssekr­etär. Geändert hat sich seither nichts.

Nun, als Bundeskanz­ler, wäre Kurz in der Lage, dieses Problem zu lösen. Damit wäre der Bund auch ein Vorbild für Länder wie Wien und Gemeinden, in denen mehr Transparen­z ebenfalls dringend nötig ist. Wenn der Kanzler seinen Worten Taten folgen lässt, kann er das Klima der Geheimnist­uerei beenden und noch viel gefährlich­ere Dinge als die E-Mail eines fehlgeleit­eten Ministeriu­mssprecher­s verhindern.

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