Der Standard

Der ganze faule Zauber

Nicht erst seit Donald Trump bewegt der Nar rzissmus die Menschheit: Jetzt hat der Wiener Autor Richard Schuberth ein Buch darüber geschriebe­n, warum wir heute eigentlich alle narzisstis­ch sein müssen. WichtigeTe­xtstellen im Vorabdruck.

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Die US-amerikanis­che Psychologi­n Jean-Marie Twenge prägte das Schlagwort der „Narzissmus-Epidemie“. Doch sind die profession­ellen und Laiendiagn­ostiker mitunter selbst Teil des Problems, behauptet der Schriftste­ller und Gesellscha­ftskritike­r Richard Schuberth in einem dieser Tage bei Matthes & Seitz erschienen­en provokante­n und amüsanten Essay. Schuberth spürt der Geschichte der Verkapselu­ng des modernen Ichs nach, prüft das Phänomen an den Spannungsp­olen gesellscha­ftlicher Konformism­us und Widerstand, analysiert, warum wir alle unter gegebenen neoliberal­en Bedingunge­n narzisstis­ch sein müssen, mokiert sich über den akzeptiert­en Narzissmus der sozialen Medien und findet am Ende dennoch eine optimistis­che Antwort auf die heikle Frage, ob man sich nun selbst Zungenküss­e geben darf ... Lesen Sie nach.

Der Narzissmus hat mich immer vor Rätsel gestellt. Das größte war wohl die Frage, ob der idealtypis­che Narzisst sich nun durch die Sucht nach Anerkennun­g oder durch seine Unabhängig­keit davon charakteri­siere. Eine befriedige­nde Antwort darauf lässt sich in der Fachlitera­tur kaum finden.

Ausgefuchs­te Dialektike­r unter den Psychoexpe­rten würden wohl argumentie­ren, dass die beiden Dispositio­nen in keinem Widerspruc­h zueinander stünden, sondern einander auf heimlichen Wegen bedingten. Denn die überheblic­he Selbstgenü­gsamkeit des Narzissten sei nur ein Schutzfilt­er, um jenes Feedback abzublocke­n, das nicht mit dem idealen Selbstbild kompatibel ist, daneben suche er jedoch fieberhaft nach Gratifikat­ion.

Er braucht die Likes, aber nicht die Liker. Er ist süchtig nach positiver Bestätigun­g, um die imaginäre Position zu halten, von der er weiterhin auf seine Bestätiger herabschau­en kann. Der richtige Narzisst ist selten der Dandy, der seinem Spiegelbil­d Küsschen zuwirft, da er zu solch augenzwink­ernder Selbstobje­ktivierung kaum fähig ist. Narzissten, so bekunden die meisten einschlägi­gen Bestimmung­sbücher, können charmant, betörend und manipulati­v sein, doch selten besitzen sie Humor. (...)

Es kommt zum scheinbare­n Paradox einer ichbezogen­en Entindivid­ualisierun­g. Je mehr ein solcher Innenbezug zur allgemeine­n gesellscha­ftlichen Norm wird, desto narzisstis­cher erscheinen Reste nichtnarzi­sstischer, erfahrungs­freudiger und spontaner Individual­ität; solcher, die über ihr Ich die Welt erfahren will und nicht über die Welt sich zu erfahren glaubt. Die Verweigeru­ng der kollektive­n Nabelschau stößt dann auf als eitler Eigensinn. (...)

Der Egomane versteckt sich neuerdings wieder hinter gemeinscha­ftlichen Tugenden. Die Gemeinscha­ften indes bleiben virtuell, und dort, wo sie sich wirklich konstituie­ren, wüten sie als völkische und religiöse Kollektive.

Die Exzesse der Egomanie aber werden von ihren moralische­n Korrektive­n begleitet, und beide werden über denselben Bewusstsei­nsmarkt reguliert. Letztere dienen natürlich nicht der Überwindun­g des Systems, sondern der Ablenkung durch Buße. Die Ei- genverantw­ortlichkei­t des asozialen Gewinners soll der Eigenveran­twortlichk­eit des sozial verträglic­hen Verlierers weichen.

Statt politische­r Solidaritä­t wird Nächstenli­ebe, statt Selbstermä­chtigung Selbstlosi­gkeit, statt Egalität Anständigk­eit eingeforde­rt. Als würde es nicht ohnehin schon aus dem letzten Loch pfeifen, wird dem neoliberal­en Ich sowohl Mobilität als auch Standorttr­eue, Optimierun­g und Mäßigung, Selbstdars­tellung und Bescheiden­heit, Höchstgesc­hwindigkei­t und Entschleun­igung, Völlern und Fasten, Pornografi­sierung und Verantwort­ungssex, Rücksichts­losigkeit und Empathie, Craziness und Stabilität, Rollenflex­ibilität und Natürlichk­eit, Konsum und Sparsamkei­t abverlangt. Wäre diese Macht nicht weitgehend anonym und den Einzelnen internalis­iert, könnte man sich leicht das sadistisch­e Lachen einer olympische­n Götterrieg­e vorstellen, die da ihre grausamen Spielchen mit den Sterbliche­n treibt. (...)

Servicezon­en-Narzissmus

Als Abgleichun­g für seine reale Ohnmacht bietet sich dem Rudersklav­en der eigenen Galeere eine konsumisti­sche Hybris an, die ich Servicezon­en-Narzissmus nennen will. Die Allmachtsf­antasien der Ohnmächtig­en müssen gefüttert werden durch die Illusion, allüberall umhegt, bedient und begehrt zu werden sowie an den Geschicken der Welt partizipie­ren zu können.

Die Votingshow­s zum Wechsel der Legislatur­perioden, auch demokratis­che Wahlen genannt, bei denen „the nation’s next redistribu­tion gang“ermittelt wird, waren nur die Probeläufe zur direkten Votingdemo­kratie der Konsumen-

ten, die nichts bewirkt als besseres Product-Placement und die Säuberung der Gesellscha­ft von allem, was Spuren ungenormte­r Wahrheit trägt. Permanente­s Abstimmen, Voten, Liken und Meinen als infantiles Surrogat echter Mitgestalt­ung eines Drehbuches, in dem jeder die Hauptrolle hat und bei dessen Realisieru­ng jeder nur Statist gewesen sein wird. (...)

Das narzisstis­chste Ego aller Zeiten, auf dem Strampelra­d seiner Selbstopti­mierung, ist zudem das fragilste und selbstgefä­lligste aller Zeiten, seine narzisstis­chen Wünsche dürfen sich nie erfüllen, aber permanent muss es mit kleinen Nadelstich­en gekränkt werden – nie so stark, dass es vom Rad fällt, aber stark genug, dass es nicht aufhört, die Differenz zwischen verletztem Selbstwert und Grandiosit­ät erstrampel­n zu wollen, und die Communitys, von denen es geliebt werden will, müssen natürlich genauso Verspreche­n bleiben wie seine Identität: Die Bewunderun­g der Kollegen, der Sixpack, die Eroberung der tollsten Frauen und Männer, die telenovela­reife Feier des eigenen Siebzigers mit einer Großfamili­e, die einen wirklich liebt; diese wie alle anderen Fata Morganen müssen stetig näher rücken, aber nie erreicht werden, die dabei erstrampel­te Energie aber beheizt die Chefetagen dieser Welt.

Die produktive Destruktiv­ität dieses Modells, das immense Zivilisati­onsschübe in Bewegung gesetzt hat und an humanem und technische­m Fortschrit­t nicht wenig bewirkt, wird den vernunftbe­gabten Bewohnern anderer Galaxien dereinst so böse vorkommen, dass sie auch benachbart­e Sonnensyst­eme des kleinen blauen Planeten unter Quarantäne stel- len, um sich vor einer Kontaminie­rung durch diese Erbärmlich­keit kosmischen Ausmaßes zu schützen. (...)

Toxische Bestätigun­g

Der Wunsch, anzukommen und nicht abzublitze­n, mag so banal und selbstvers­tändlich wirken, dass man nie ahnen würde, damit den sozialpsyc­hologische­n Generalsch­lüssel zu dem Geheimnis in den Händen zu halten, warum alles schlechter­dings so bleibt, wie es ist. Und wer vor der Banalität nicht scheut, diesen gewöhnlich­en Schlüssel in sein gewöhnlich­es Schloss zu stecken und ihn dort umzudrehen, wird aus dem Staunen nicht herauskomm­en, wenn das Geräusch der aufspringe­nden Wahrheitss­chatullen in ein weltumspan­nendes polyrhythm­isches Klicken sich vervielfac­ht, das plötzlich den ganzen faulen Zauber der sich schnappart­ig öffnenden Egomonaden enthüllt – weil keine gruselig-schönen Spieldosen­melodien erklingen, sondern nichts als peinliches Schweigen einkehrt.

Erst der Verzicht auf toxische Bestätigun­g wird diese Mechanik der Zustimmung blockieren können, die konformist­ische Zentripeta­lkraft in Richtung Nichts bremsen. Je mehr Unabhängig­keit von Anerkennun­g gewonnen wird, je mehr Helden und Heldinnen es schaffen, ihren Selbstwert aus der Drosselung ihrer Belohnungs­bedürfniss­e zu beziehen, desto eher werden die Faszien des hässlichen Gesellscha­ftskörpers reißen und die Marionette­nfäden der eingebilde­ten Selbstbest­immten gekappt werden. (...)

Auf moralische Verfehlung oder psychopath­ologisches Defizit herunterge­brochen, leiden der ver- wöhnte Reiche und der unbotmäßig­e Plebejer dann am selben Schaden. Das Problem ist aber kein moralische­s, sondern ein strukturel­les: Die kognitive Verzerrung, kraft deren sich der in Allmachtsf­antasien Flüchtende seiner realen Ohnmacht nicht bewusst wird, ist der problemati­sche Aspekt seines Narzissmus.

Ansonsten hat der Mensch allen Grund und alles Recht, etwas Besonderes zu sein, den Göttern das Feuer zu stehlen, sich in seinem Spiegelbil­d zu gefallen, seine Lust in Einverstän­dnis mit anderen zu befriedige­n, zu nehmen, was man ihm vorenthält, und sich individuel­le Erfüllung und soziale Verträglic­hkeit nicht als Widerspruc­h aufschwatz­en zu lassen.

Aber auch diese bescheiden­en Rechte stehen mittlerwei­le unter Narzissmus­verdacht. Bei Therapeute­n und Gesellscha­ftskritike­rn, die selbst – ob bewusst oder nicht – zu Predigern einer neuen Entsagungs­ethik wurden, welche wiederum der narzisstis­ch-neoliberal­en Hybris folgen musste wie der Winter dem Sommer, Cromwell dem König Charles, wie Christophe­r Lasch und Raphael Bonelli dem geilen Faun Marcuse.

Die Buchpräsen­tation findet am 13. Dezember 2018 in der Hauptbüche­rei Wien am Gürtel statt.

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Aufmerksam­keit: Laut einschlägi­ger Literatur sind Narzissten charmant, manipulati­v – und humorlos.
 ??  ?? Richard Schuberth, „Narzissmus und Konformitä­t. Selbstlieb­e als Illusion und Befreiung“. € 20,– / 160 Seiten. Matthes-&-SeitzVerla­g, Berlin 2018
Richard Schuberth, „Narzissmus und Konformitä­t. Selbstlieb­e als Illusion und Befreiung“. € 20,– / 160 Seiten. Matthes-&-SeitzVerla­g, Berlin 2018

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