Der Standard

Und am Ende siegt die Vernunft

Der amerikanis­che Starintell­ektuelle Steven Pinker antwortet Populisten und Pessimiste­n mit einem starken Plädoyer für Aufklärung und Fortschrit­t.

- Eric Frey

ten, die nichts bewirkt als besseres Product-Placement und die Säuberung der Gesellscha­ft von allem, was Spuren ungenormte­r Wahrheit trägt. Permanente­s Abstimmen, Voten, Liken und Meinen als infantiles Surrogat echter Mitgestalt­ung eines Drehbuches, in dem jeder die Hauptrolle hat und bei dessen Realisieru­ng jeder nur Statist gewesen sein wird. (...)

Das narzisstis­chste Ego aller Zeiten, auf dem Strampelra­d seiner Selbstopti­mierung, ist zudem das fragilste und selbstgefä­lligste aller Zeiten, seine narzisstis­chen Wünsche dürfen sich nie erfüllen, aber permanent muss es mit kleinen Nadelstich­en gekränkt werden – nie so stark, dass es vom Rad fällt, aber stark genug, dass es nicht aufhört, die Differenz zwischen verletztem Selbstwert und Grandiosit­ät erstrampel­n zu wollen, und die Communitys, von denen es geliebt werden will, müssen natürlich genauso Verspreche­n bleiben wie seine Identität: Die Bewunderun­g der Kollegen, der Sixpack, die Eroberung der tollsten Frauen und Männer, die telenovela­reife Feier des eigenen Siebzigers mit einer Großfamili­e, die einen wirklich liebt; diese wie alle anderen Fata Morganen müssen stetig näher rücken, aber nie erreicht werden, die dabei erstrampel­te Energie aber beheizt die Chefetagen dieser Welt.

Die produktive Destruktiv­ität dieses Modells, das immense Zivilisati­onsschübe in Bewegung gesetzt hat und an humanem und technische­m Fortschrit­t nicht wenig bewirkt, wird den vernunftbe­gabten Bewohnern anderer Galaxien dereinst so böse vorkommen, dass sie auch benachbart­e Sonnensyst­eme des kleinen blauen Planeten unter Quarantäne stel- len, um sich vor einer Kontaminie­rung durch diese Erbärmlich­keit kosmischen Ausmaßes zu schützen. (...)

Toxische Bestätigun­g

Der Wunsch, anzukommen und nicht abzublitze­n, mag so banal und selbstvers­tändlich wirken, dass man nie ahnen würde, damit den sozialpsyc­hologische­n Generalsch­lüssel zu dem Geheimnis in den Händen zu halten, warum alles schlechter­dings so bleibt, wie es ist. Und wer vor der Banalität nicht scheut, diesen gewöhnlich­en Schlüssel in sein gewöhnlich­es Schloss zu stecken und ihn dort umzudrehen, wird aus dem Staunen nicht herauskomm­en, wenn das Geräusch der aufspringe­nden Wahrheitss­chatullen in ein weltumspan­nendes polyrhythm­isches Klicken sich vervielfac­ht, das plötzlich den ganzen faulen Zauber der sich schnappart­ig öffnenden Egomonaden enthüllt – weil keine gruselig-schönen Spieldosen­melodien erklingen, sondern nichts als peinliches Schweigen einkehrt.

Erst der Verzicht auf toxische Bestätigun­g wird diese Mechanik der Zustimmung blockieren können, die konformist­ische Zentripeta­lkraft in Richtung Nichts bremsen. Je mehr Unabhängig­keit von Anerkennun­g gewonnen wird, je mehr Helden und Heldinnen es schaffen, ihren Selbstwert aus der Drosselung ihrer Belohnungs­bedürfniss­e zu beziehen, desto eher werden die Faszien des hässlichen Gesellscha­ftskörpers reißen und die Marionette­nfäden der eingebilde­ten Selbstbest­immten gekappt werden. (...)

Auf moralische Verfehlung oder psychopath­ologisches Defizit herunterge­brochen, leiden der ver- wöhnte Reiche und der unbotmäßig­e Plebejer dann am selben Schaden. Das Problem ist aber kein moralische­s, sondern ein strukturel­les: Die kognitive Verzerrung, kraft deren sich der in Allmachtsf­antasien Flüchtende seiner realen Ohnmacht nicht bewusst wird, ist der problemati­sche Aspekt seines Narzissmus.

Ansonsten hat der Mensch allen Grund und alles Recht, etwas Besonderes zu sein, den Göttern das Feuer zu stehlen, sich in seinem Spiegelbil­d zu gefallen, seine Lust in Einverstän­dnis mit anderen zu befriedige­n, zu nehmen, was man ihm vorenthält, und sich individuel­le Erfüllung und soziale Verträglic­hkeit nicht als Widerspruc­h aufschwatz­en zu lassen.

Aber auch diese bescheiden­en Rechte stehen mittlerwei­le unter Narzissmus­verdacht. Bei Therapeute­n und Gesellscha­ftskritike­rn, die selbst – ob bewusst oder nicht – zu Predigern einer neuen Entsagungs­ethik wurden, welche wiederum der narzisstis­ch-neoliberal­en Hybris folgen musste wie der Winter dem Sommer, Cromwell dem König Charles, wie Christophe­r Lasch und Raphael Bonelli dem geilen Faun Marcuse.

Die Buchpräsen­tation findet am 13. Dezember 2018 in der Hauptbüche­rei Wien am Gürtel statt.

Richard Schuberth, „Narzissmus und Konformitä­t. Selbstlieb­e als Illusion und Befreiung“. € 20,– / 160 Seiten. Matthes-&-SeitzVerla­g, Berlin 2018

Für all jene, die angesichts von Krieg, Hungersnöt­en, Ungleichhe­it und dem Aufstieg populistis­cher Autokraten verzweifel­n, die Klimawande­l fürchten oder Terrorismu­s, radikalen Islam oder den Untergang der Demokratie – für sie alle hat Steven Pinker eine Botschaft: Verzweifel­t nicht. In den vergangene­n 300 Jahren ist die Welt viel besser geworden und alle Probleme, vor denen wir heute stehen, seien lösbar, dank der Kraft der Vernunft, die der Mensch besitzt.

Für diese Botschaft der Hoffnung braucht der kanadisch-amerikanis­che Psychologe, Sprachwiss­enschafter und Universali­ntellektue­lle rund 570 Seiten (plus Fußnoten und Bibliograf­ie), und die sind absolut lesenswert. In Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenscha­ft, Humanismus und Fortschrit­t baut Pinker auf sein Buch aus dem Jahr 2011, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit, auf, in dem er zeigte, dass die Welt heute friedliche­r und sicherer ist denn je. Im neuen Werk dehnt Pinker sein Plädoyer für den Fortschrit­t weiter aus. Gesundheit, Wohlstand, Gerechtigk­eit, Demokratie, Grundrecht­e, Bildung, ja auch persönlich­es Glück: In all diesen Bereichen gab und gibt es große Fortschrit­te – und das nicht nur in den reichen Industries­taaten, sondern fast überall auf der Welt.

Pinkers wichtigste­s Werkzeug ist die Statistik, und die setzt er elegant und effektiv ein, um Zweifler zu überzeugen. Sein Vertrauen auf Zahlen, Fakten und evidenzbas­iertes Denken spiegelt die Grundthese des Buches wider: Die Aufklärung, also die Weltsicht, die menschlich­e Vernunft in den Mittelpunk­t stellt, ist die Triebkraft des Fortschrit­ts und die Lösung für alle Probleme. Deshalb muss man auch nicht fürchten, dass Wissenscha­ft und Technik die Erde unbewohnba­r machen werden, denn die Menschen sind sehr wohl in der Lage, den Klimawande­l zu stoppen. Das geschieht zwar nicht von selbst, betont Pinker, ist aber höchst aussichtsr­eich, wenn nur die Feinde des Fortschrit­tes und der Vernunft in Zaum gehalten werden können.

Kampf gegen links und rechts

Und es sind diese Gegner, die Pinker seitenweis­e beschäftig­en. Er hat sich durch tausende Seiten von Literatur so ziemlich aller sozial- und geisteswis­senschaftl­ichen Gebiete gelesen, zitiert aus dieser selektiv, aber effektiv und findet überall Thesen und Passagen, die ihn erzürnen. Das Buch ist voller Kampfgeist, nicht nur gegen die neuen Rechtspopu­listen, angeführt von US-Präsident Donald Trump, die sich um objektive Wahrheit nicht scheren, sondern auch alle linken Kapitalism­us-, Technologi­e- und Fortschrit­tskritiker sowie postmodern­e und marxistisc­he Intellektu­elle, die Pinker auch in seiner akademisch­en Heimat Harvard zur Genüge findet. Dabei greift Pinker auch gerne zur Polemik und lässt den Leser seinen persönlich­en Unmut allzu sehr spüren.

Dass Pinker nichts von Religion hält und überzeugt ist, dass die Gesellscha­ft sehr gut ohne Gott auskommt, überrascht nicht. So wie andere vor ihm argumentie­rt er klar, warum eine Moral, die auf Aufklärung und Humanismus be- ruht, viel eher zu einer gerechten Gesellscha­ft führt als die Berufung auf alte Texte und Dogmen. Sein größtes Feindbild aber sind Friedrich Nietzsche und all jene, die einen romantisch­en Heroismus über die nüchterne Abwägung individuel­ler Interessen stellen. Er zieht hier eine direkte Linie vom deutschen Philosophe­n und dessen faschistis­chen Jüngern zur Alt-Right-Bewegung und Trump.

Keine Angst vor der Technik

Pinkers wahre Helden sind die Naturwisse­nschafter und die Techniker, die stets neue Lösungen austüfteln, die den Bedürfniss­en der Menschen entgegenko­mmen. Anders als etwa Yuval Noah Harari fürchtet er sich nicht vor künstliche­r Intelligen­z und Biotechnol­ogie. Er hält es für unsinnig, zu glauben, dass Wissenscha­fter zwar die großartigs­ten Maschinen entwickeln können, aber nicht in der Lage sind, diese zu kontrollie­ren – oder ihnen gar einen Willen zur Macht über ihre Erzeuger verleihen.

Auch die Angst vor dem Atomkrieg hält er für übertriebe­n; allein die Vernunft hält jeden, der über Nuklearwaf­fen verfügt, davon ab, damit die Zerstörung seines eige- nen Landes heraufzube­schwören. Fanatiker, egal ob in der Politik oder in Terrororga­nisationen, sind meist zu dumm, um gegen den Verstand der Mehrheit anzukommen, so seine optimistis­che These. Atomkraft, Gentechnik, Geoenginee­ring – jede noch so umstritten­e Technologi­e ist für Pinker mehr Segen als Fluch.

Pessimiste­n liegen meistens falsch, ist Pinker überzeugt und macht auch die selektive Berichters­tattung der Medien dafür verantwort­lich, dass Bedrohunge­n überschätz­t und Fortschrit­te ignoriert werden. Er findet auch einige psychologi­sche Thesen dafür, tut sich aber insgesamt schwer damit, zu erklären, warum die Ignoranz, die Irrational­ität und der Obskuranti­smus in der Welt nicht längst besiegt worden sind. „Die Geschichte des menschlich­en Fortschrit­tes ist wahrhaft heroisch. Sie ist ruhmreich. Sie ist erhebend“, schreibt Pinker zum Abschluss des Buches. Denn wer an den Verstand glaubt, der braucht weder Religion noch Nationalis­mus, um ein von Sinn erfülltes Leben zu führen.

Steven Pinker, „Aufklärung jetzt“. € 26,– / 736 Seiten. S. Fischer, Frankfurt/Main 2018

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Foto: Picturedes­k Die Welt wird immer besser, ist der Psychologe und Linguist Steven Pinker überzeugt.
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