Und am Ende siegt die Vernunft
Der amerikanische Starintellektuelle Steven Pinker antwortet Populisten und Pessimisten mit einem starken Plädoyer für Aufklärung und Fortschritt.
ten, die nichts bewirkt als besseres Product-Placement und die Säuberung der Gesellschaft von allem, was Spuren ungenormter Wahrheit trägt. Permanentes Abstimmen, Voten, Liken und Meinen als infantiles Surrogat echter Mitgestaltung eines Drehbuches, in dem jeder die Hauptrolle hat und bei dessen Realisierung jeder nur Statist gewesen sein wird. (...)
Das narzisstischste Ego aller Zeiten, auf dem Strampelrad seiner Selbstoptimierung, ist zudem das fragilste und selbstgefälligste aller Zeiten, seine narzisstischen Wünsche dürfen sich nie erfüllen, aber permanent muss es mit kleinen Nadelstichen gekränkt werden – nie so stark, dass es vom Rad fällt, aber stark genug, dass es nicht aufhört, die Differenz zwischen verletztem Selbstwert und Grandiosität erstrampeln zu wollen, und die Communitys, von denen es geliebt werden will, müssen natürlich genauso Versprechen bleiben wie seine Identität: Die Bewunderung der Kollegen, der Sixpack, die Eroberung der tollsten Frauen und Männer, die telenovelareife Feier des eigenen Siebzigers mit einer Großfamilie, die einen wirklich liebt; diese wie alle anderen Fata Morganen müssen stetig näher rücken, aber nie erreicht werden, die dabei erstrampelte Energie aber beheizt die Chefetagen dieser Welt.
Die produktive Destruktivität dieses Modells, das immense Zivilisationsschübe in Bewegung gesetzt hat und an humanem und technischem Fortschritt nicht wenig bewirkt, wird den vernunftbegabten Bewohnern anderer Galaxien dereinst so böse vorkommen, dass sie auch benachbarte Sonnensysteme des kleinen blauen Planeten unter Quarantäne stel- len, um sich vor einer Kontaminierung durch diese Erbärmlichkeit kosmischen Ausmaßes zu schützen. (...)
Toxische Bestätigung
Der Wunsch, anzukommen und nicht abzublitzen, mag so banal und selbstverständlich wirken, dass man nie ahnen würde, damit den sozialpsychologischen Generalschlüssel zu dem Geheimnis in den Händen zu halten, warum alles schlechterdings so bleibt, wie es ist. Und wer vor der Banalität nicht scheut, diesen gewöhnlichen Schlüssel in sein gewöhnliches Schloss zu stecken und ihn dort umzudrehen, wird aus dem Staunen nicht herauskommen, wenn das Geräusch der aufspringenden Wahrheitsschatullen in ein weltumspannendes polyrhythmisches Klicken sich vervielfacht, das plötzlich den ganzen faulen Zauber der sich schnappartig öffnenden Egomonaden enthüllt – weil keine gruselig-schönen Spieldosenmelodien erklingen, sondern nichts als peinliches Schweigen einkehrt.
Erst der Verzicht auf toxische Bestätigung wird diese Mechanik der Zustimmung blockieren können, die konformistische Zentripetalkraft in Richtung Nichts bremsen. Je mehr Unabhängigkeit von Anerkennung gewonnen wird, je mehr Helden und Heldinnen es schaffen, ihren Selbstwert aus der Drosselung ihrer Belohnungsbedürfnisse zu beziehen, desto eher werden die Faszien des hässlichen Gesellschaftskörpers reißen und die Marionettenfäden der eingebildeten Selbstbestimmten gekappt werden. (...)
Auf moralische Verfehlung oder psychopathologisches Defizit heruntergebrochen, leiden der ver- wöhnte Reiche und der unbotmäßige Plebejer dann am selben Schaden. Das Problem ist aber kein moralisches, sondern ein strukturelles: Die kognitive Verzerrung, kraft deren sich der in Allmachtsfantasien Flüchtende seiner realen Ohnmacht nicht bewusst wird, ist der problematische Aspekt seines Narzissmus.
Ansonsten hat der Mensch allen Grund und alles Recht, etwas Besonderes zu sein, den Göttern das Feuer zu stehlen, sich in seinem Spiegelbild zu gefallen, seine Lust in Einverständnis mit anderen zu befriedigen, zu nehmen, was man ihm vorenthält, und sich individuelle Erfüllung und soziale Verträglichkeit nicht als Widerspruch aufschwatzen zu lassen.
Aber auch diese bescheidenen Rechte stehen mittlerweile unter Narzissmusverdacht. Bei Therapeuten und Gesellschaftskritikern, die selbst – ob bewusst oder nicht – zu Predigern einer neuen Entsagungsethik wurden, welche wiederum der narzisstisch-neoliberalen Hybris folgen musste wie der Winter dem Sommer, Cromwell dem König Charles, wie Christopher Lasch und Raphael Bonelli dem geilen Faun Marcuse.
Die Buchpräsentation findet am 13. Dezember 2018 in der Hauptbücherei Wien am Gürtel statt.
Richard Schuberth, „Narzissmus und Konformität. Selbstliebe als Illusion und Befreiung“. € 20,– / 160 Seiten. Matthes-&-SeitzVerlag, Berlin 2018
Für all jene, die angesichts von Krieg, Hungersnöten, Ungleichheit und dem Aufstieg populistischer Autokraten verzweifeln, die Klimawandel fürchten oder Terrorismus, radikalen Islam oder den Untergang der Demokratie – für sie alle hat Steven Pinker eine Botschaft: Verzweifelt nicht. In den vergangenen 300 Jahren ist die Welt viel besser geworden und alle Probleme, vor denen wir heute stehen, seien lösbar, dank der Kraft der Vernunft, die der Mensch besitzt.
Für diese Botschaft der Hoffnung braucht der kanadisch-amerikanische Psychologe, Sprachwissenschafter und Universalintellektuelle rund 570 Seiten (plus Fußnoten und Bibliografie), und die sind absolut lesenswert. In Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt baut Pinker auf sein Buch aus dem Jahr 2011, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit, auf, in dem er zeigte, dass die Welt heute friedlicher und sicherer ist denn je. Im neuen Werk dehnt Pinker sein Plädoyer für den Fortschritt weiter aus. Gesundheit, Wohlstand, Gerechtigkeit, Demokratie, Grundrechte, Bildung, ja auch persönliches Glück: In all diesen Bereichen gab und gibt es große Fortschritte – und das nicht nur in den reichen Industriestaaten, sondern fast überall auf der Welt.
Pinkers wichtigstes Werkzeug ist die Statistik, und die setzt er elegant und effektiv ein, um Zweifler zu überzeugen. Sein Vertrauen auf Zahlen, Fakten und evidenzbasiertes Denken spiegelt die Grundthese des Buches wider: Die Aufklärung, also die Weltsicht, die menschliche Vernunft in den Mittelpunkt stellt, ist die Triebkraft des Fortschritts und die Lösung für alle Probleme. Deshalb muss man auch nicht fürchten, dass Wissenschaft und Technik die Erde unbewohnbar machen werden, denn die Menschen sind sehr wohl in der Lage, den Klimawandel zu stoppen. Das geschieht zwar nicht von selbst, betont Pinker, ist aber höchst aussichtsreich, wenn nur die Feinde des Fortschrittes und der Vernunft in Zaum gehalten werden können.
Kampf gegen links und rechts
Und es sind diese Gegner, die Pinker seitenweise beschäftigen. Er hat sich durch tausende Seiten von Literatur so ziemlich aller sozial- und geisteswissenschaftlichen Gebiete gelesen, zitiert aus dieser selektiv, aber effektiv und findet überall Thesen und Passagen, die ihn erzürnen. Das Buch ist voller Kampfgeist, nicht nur gegen die neuen Rechtspopulisten, angeführt von US-Präsident Donald Trump, die sich um objektive Wahrheit nicht scheren, sondern auch alle linken Kapitalismus-, Technologie- und Fortschrittskritiker sowie postmoderne und marxistische Intellektuelle, die Pinker auch in seiner akademischen Heimat Harvard zur Genüge findet. Dabei greift Pinker auch gerne zur Polemik und lässt den Leser seinen persönlichen Unmut allzu sehr spüren.
Dass Pinker nichts von Religion hält und überzeugt ist, dass die Gesellschaft sehr gut ohne Gott auskommt, überrascht nicht. So wie andere vor ihm argumentiert er klar, warum eine Moral, die auf Aufklärung und Humanismus be- ruht, viel eher zu einer gerechten Gesellschaft führt als die Berufung auf alte Texte und Dogmen. Sein größtes Feindbild aber sind Friedrich Nietzsche und all jene, die einen romantischen Heroismus über die nüchterne Abwägung individueller Interessen stellen. Er zieht hier eine direkte Linie vom deutschen Philosophen und dessen faschistischen Jüngern zur Alt-Right-Bewegung und Trump.
Keine Angst vor der Technik
Pinkers wahre Helden sind die Naturwissenschafter und die Techniker, die stets neue Lösungen austüfteln, die den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen. Anders als etwa Yuval Noah Harari fürchtet er sich nicht vor künstlicher Intelligenz und Biotechnologie. Er hält es für unsinnig, zu glauben, dass Wissenschafter zwar die großartigsten Maschinen entwickeln können, aber nicht in der Lage sind, diese zu kontrollieren – oder ihnen gar einen Willen zur Macht über ihre Erzeuger verleihen.
Auch die Angst vor dem Atomkrieg hält er für übertrieben; allein die Vernunft hält jeden, der über Nuklearwaffen verfügt, davon ab, damit die Zerstörung seines eige- nen Landes heraufzubeschwören. Fanatiker, egal ob in der Politik oder in Terrororganisationen, sind meist zu dumm, um gegen den Verstand der Mehrheit anzukommen, so seine optimistische These. Atomkraft, Gentechnik, Geoengineering – jede noch so umstrittene Technologie ist für Pinker mehr Segen als Fluch.
Pessimisten liegen meistens falsch, ist Pinker überzeugt und macht auch die selektive Berichterstattung der Medien dafür verantwortlich, dass Bedrohungen überschätzt und Fortschritte ignoriert werden. Er findet auch einige psychologische Thesen dafür, tut sich aber insgesamt schwer damit, zu erklären, warum die Ignoranz, die Irrationalität und der Obskurantismus in der Welt nicht längst besiegt worden sind. „Die Geschichte des menschlichen Fortschrittes ist wahrhaft heroisch. Sie ist ruhmreich. Sie ist erhebend“, schreibt Pinker zum Abschluss des Buches. Denn wer an den Verstand glaubt, der braucht weder Religion noch Nationalismus, um ein von Sinn erfülltes Leben zu führen.
Steven Pinker, „Aufklärung jetzt“. € 26,– / 736 Seiten. S. Fischer, Frankfurt/Main 2018