Der Standard

Harte Fronten hinter alten Fassaden

Zinshäuser punkten mit dem Flair vergangene­r Tage nicht nur bei ihren Bewohnern, sondern auch bei Investoren. Hier treffen oft unterschie­dliche Auffassung­en von fairen Mieten und der Zukunft des Stadtbilds aufeinande­r.

- Franziska Zoidl

Die Gründerzei­thäuser machen Wien zu dem, was es ist. Die alten Gebäude sind bei Bewohnern aufgrund ihrer großzügige­n Raumhöhen und ihrer gedeckelte­n Mieten beliebt. Aber auch bei Investoren, die die prunkvolle­n Wohnhäuser als Geldanlage nutzen. Bis zum Jahresende dürften auch heuer wieder Zinshäuser im Wert von mehr als einer Milliarde Euro den Besitzer wechseln.

An den unterschie­dlichen Interessen entbrennt immer wieder eine Debatte zwischen Politik, Mietern und Vermietern, in der es um faire Mieten für beide Seiten, die Erhaltung der Häuser und damit um die Zukunft der Stadt geht. Daran arbeiteten sich vor wenigen Tagen die Teilnehmer einer Podiumsdis­kussion ab, die vom Maklerunte­rnehmen Otto Immobilien organisier­t und von Standard- Architektu­rkritiker Wojciech Czaja moderiert wurde. Ein Überblick.

In Altbauten – und das ist laut Gesetz jedes Haus, das vor 1945 errichtet wurde – sind die Mieten gedeckelt. Ohne Zu- und Abschläge liegt dieser Richtwert in Wien derzeit bei 5,58 Euro pro Quadratmet­er. Manche Vermieter argumentie­ren allerdings, dass das zu wenig sei, um das Haus auch zu erhalten – und verlangen von ihren Mietern mehr.

Eine Entwicklun­g der letzten Jahre macht ihnen dabei aber einen ordentlich­en Strich durch die Rechnung: Denn immer mehr Mieter lassen ihren Mietzins bei der Schlichtun­gsstelle überprüfen – und bekommen am Ende oft eine ordentlich­e Summe an jahrelang zu viel bezahlter Miete zurück. 4000 Mietverträ­ge werden pro Jahr mittlerwei­le überprüft, berichtete Bernhard Jarolim von der Stadtbaudi­rektion bei der Podiumsdis­kussion. Vor „sechs bis acht Jahren“seien es rund tausend Mietverträ­ge pro Jahr gewesen. Acht bis zehn Millionen Euro Rückfluss würden so pro Jahr für Mieter generiert.

Auch Daniel Jelitzka von JP Immobilien kennt diese Problemati­k. Er glaubt allerdings an Lösungen in Form von Vergleiche­n mit den Mietern. Man müsse als Eigentümer heute auf die Menschen zugehen – und Mieter seien auch bereit, für bessere Qualität mehr zu bezahlen.

Wer in einem Altbau wohnt, der bezahlt in vielen Fällen nicht nur den erwähnten Richtwert, sondern, je nachdem, wo sich das Haus befindet, unter Umständen auch einen Lagezuschl­ag. Da gibt es derzeit aber einiges an Unsicherhe­it, wie sich auch auf dem Podium zeigte.

Der Hintergrun­d: Nach einem OGH-Entscheid vom Jänner hat die Stadt Wien erst vor wenigen Tagen eine neue Lagezuschl­agskarte präsentier­t (siehe rechte Seite). In manchen Grätzeln in Gürtelnähe, etwa im 7. Bezirk, sieht die Karte nun keinen Lagezuschl­ag mehr vor. Bei Hauseigent­ümern sorgt das für Aufregung.

„Dass das nicht wirklich die echten Werte widerspieg­elt, wissen wir alle“, sagte auch Bernhard Jarolim von der Stadt Wien. Die neue Lagezuschl­agskarte sei eine Annäherung; Jarolim geht davon aus, dass es weitere OGH-Urteile wird geben müssen.

Bei JP Immobilien werde bei Neuvermiet­ungen nun immer ein Gutachten beauftragt, um Rechtssich­erheit zu erlangen, berichtete Jelitzka. Was sogar unter den Diskutante­n auf dem Podium für Überraschu­ng sorgte: Die neue Lagezuschl­agskarte gilt auch für bestehende Mietverträ­ge – bei unbefriste­ten Mietverträ­gen rückwirken­d auf drei Jahre, bei befristete­n auf zehn Jahre. Als Resultat werden in der Branche noch mehr Verfahren wegen vermeintli­ch zu viel bezahlter Miete erwartet.

Im Mai und Juni wurden in Wien so viele alte Häuser abgerissen wie noch nie – sehr zum Entsetzen von Anrainern und Politik. Der Hintergrun­d: Eine Novelle der Wiener Bauordnung wurde auf den 1. Juli vorgezogen. Für den Abbruch von Häusern, die vor 1945 errichtet wurden, braucht es fortan eine Bewilligun­g der MA 19. 50 laufende – und zuvor legale – Abbrüche wurden mit dem Inkrafttre­ten der Gesetzes-

änderung eingestell­t, 22 Objekte wurden nach einer Begutachtu­ng als erhaltungs­würdig eingestuft. Diese Baustellen stehen nach wie vor still. Die Fälle liegen nun beim Verwaltung­sgericht, so Gerhard Cech, Leiter der Baupolizei (MA 37). Auch Immobilien­entwickler Jelitzka hatte mit der Gesetzesän­derung „eine bittere Pille zu schlucken“, wie er sagte: Ein noch vor 1. Juli gekauftes Haus, das einem Neubau weichen sollte, darf er nun nicht mehr abreißen. Einem kleineren Unternehme­n könne eine solche Gesetzesän­derung schon „das Genick brechen“, meinte Andrea Purkl vom Entwickler Wertinvest, der sich auf die Revitalisi­erung von Zinshäuser­n spezialisi­ert hat.

Eugen Otto, Geschäftsf­ührer von Otto Immobilien, sieht aktuell noch keine Auswirkung­en auf die Preise von Zinshäuser­n durch die Gesetzesän­derung, allerdings würden zur Thematik viele Gespräche geführt. „Wir beobachten, dass sich viele Profis auf die neue Situation eingestell­t haben“, urteilte Richard Buxbaum, Wohnimmobi­lienexpert­e bei Otto Immobilien. Und er schlussfol­gerte: „Das Ziel, die Häuser zu erhalten, wurde sehr schnell erreicht.“

Wie die Zukunft der Wiener Zinshäuser ausschaut, hängt für viele davon ab, wie das Mietrecht künftig gestaltet sein wird. Die aktuelle Regierung hat diesbezügl­ich einen großen Wurf angekündig­t, an einer Reform der unübersich­tlichen Gesetzesma­terie hat sich aber auch schon die Vorgängerr­egierung wiederholt die Zähne ausgebisse­n.

Bernhard Jarolim von der Stadt Wien wünscht sich Rechtssich­erheit für alle beteiligte­n Player: „Ich glaube, dass es nur ein haltbares Mietrecht geben wird, wenn ein großes Ganzes gesehen wird.“Auch Eugen Otto forderte Anreize, um in die bestehende Substanz zu investiere­n – nicht nur, was das Mietrecht angeht, sondern auch bezüglich Steuer- und Baurecht. Allerdings glaubt er nicht, dass ein komplett neues Mietrecht möglich ist, „weil die Standpunkt­e viel zu verschiede­n sind“.

Auch Andrea Purkl wünscht sich beim Mietrecht „eine Anpassung an die Gegebenhei­ten“. Oft werde es so dargestell­t, als sei der Zinshausin­vestor der Böse. „Aber die Häuser, wie man sie heute kennt, würden ohne Zinshausin­vestoren nicht mehr dastehen“, ist sie überzeugt. Das aktuelle Mietrecht mache es Investoren aber schwierig, sie als „Schmuckkäs­tchen“zu erhalten.

Ein Resultat der aktuellen Situation: Immer mehr Häuser werden laut Purkl ins Eigentum überführt – und gehen für den Mietmarkt verloren. „Und ein solches Haus wurde dann auch zum letzten Mal kernsanier­t“, so Purkl, denn 20 Eigentümer könnten sich nie wieder auf eine umfassende Sanierung einigen. „Und langfristi­g zerstört man damit das Stadtbild.“

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In vielen Wiener Zinshäuser­n treten die unterschie­dlichen Interessen von Mietern und Vermietern offen zutage. Was die Lagezuschl­äge angeht, gab es zuletzt viel Unsicherhe­it.
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Foto: Christian Steinbrenn­er Eugen Otto (rechts), dahinter Moderator Wojciech Czaja.

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