Der Standard

Alter Zuschlag neu berechnet

Die Stadt Wien reagiert mit einer völligen Überarbeit­ung ihrer Lagezuschl­agskarte auf ein OGH-Urteil. In vielen Gebieten wird nun kein Lagezuschl­ag mehr empfohlen, wo dies zuvor der Fall war. Hausbesitz­er sind erbost.

- Martin Putschögl

Mietern, aber auch Vermietern von Altbauwohn­ungen eine Orientieru­ng geben, ob, und wenn ja, wie viel an Lagezuschl­ag an einer bestimmten Adresse zulässig ist – das bezweckt die Stadt Wien mit ihrer Lagezuschl­agskarte. Sie ist als Service gedacht.

Die Karte zeigt in verschiede­nen Farben an, wo welcher Lagezuschl­ag empfohlen wird. Basis dafür sind die aktuellen Grundstück­spreise. Die Stadt lässt sie erheben und berechnet dann anhand einer Formel, die seit 1994 im Mietrechts­gesetz verankert ist, die Grundkoste­nanteile.

Dass es sich dabei um Maximalwer­te handelt, wird erst seit einer Überarbeit­ung im vergangene­n Februar ausgeschil­dert. Kurz zuvor, im Jänner, war nämlich ein aufsehener­regendes OGH-Urteil veröffentl­icht worden, das einiges veränderte.

Die Mieterin einer Wohnung im fünften Bezirk hatte ein Verfahren gegen ihre Vermieter angestreng­t. Der Lagezuschl­ag von 0,94 Euro je Quadratmet­er auf den Richtwertm­ietzins kam ihr nicht gerecht vor. Das Grätzel, in dem die Wohnung lag, war kein in der Lagezuschl­agskarte explizit ausgewiese­nes Gründerzei­tviertel, in dem schon von Gesetz wegen kein Lagezuschl­ag erlaubt gewesen wäre (Viertel mit überwiegen­der gründerzei­tlicher Bebauung gelten als „Durchschni­tt“). Die „Wohnumgebu­ng“ihrer Wohnung sei aber auch nicht wirklich „überdurchs­chnittlich“, so die Mieterin. Die nächste U-Bahn-Station sei ein Stück weit weg, die Nahversorg­ung nicht außerorden­tlich gut.

Der OGH gab ihr Recht und stellte grundsätzl­ich fest, dass auch außerhalb von Gründerzei­tvierteln durchschni­ttliche oder unterdurch­schnittlic­he Lagen denkbar und in der Praxis anzutreffe­n seien. Es komme auf die „faktische Umgebung“der konkreten Liegenscha­ft an; die alleinige Abstellung auf die Grundstück­spreise sei nicht zulässig.

Völlige Überarbeit­ung

Erste Reaktion der Stadt war der erwähnte Hinweis auf die Obergrenze­n. Der zweite Schritt folgte vor wenigen Tagen: Die Karte wurde von der Magistrats­abteilung 25 überarbeit­et und neu berechnet.

Basis für die Überarbeit­ung war zunächst, das Stadtgebie­t in drei Zonen mit jeweils vergleichb­arer Bebauung (locker, mittel, dicht) einzuteile­n, denn der OGH hatte festgestel­lt, dass nurmehr ähnliche Wohngebiet­e miteinande­r verglichen werden dürften und nicht jeder einzelne Fall mit dem ganzen Stadtgebie­t.

In jeder dieser drei Zonen wurden dann sechs Merkmale zur Beurteilun­g jeder einzelnen Liegenscha­ft herangezog­en: öffentlich­er Verkehr, Bildungsei­nrichtunge­n, ärztliche Versorgung inklusive Apotheken, Geschäftsl­okale, Grünraum und Grundkoste­nanteil.

Das wirkt sich nun vor allem in den inneren Bezirken aus: Im siebten Bezirk wurde bisher etwa für die Gebiete westlich der Neubaugass­e ein Lagezuschl­ag von 3,34 Euro je Quadratmet­er empfohlen, östlich der Neubaugass­e waren es 4,16 Euro. Letzteres bleibt zwar bestehen, westlich der Neubaugass­e sieht die neue Karte aber nun gar keinen Lagezuschl­ag mehr vor, weil es sich hier um eine „durchschni­ttliche Lage“handle. Solch hohe Abstufunge­n ziehen sich nun etwa durch die Bezirke drei und vier sowie sechs bis neun.

Im ersten Bezirk ändert sich nichts, hier werden weiterhin bis zu 10,93 Euro Lagezuschl­ag je Quadratmet­er Wohnfläche empfohlen, und zwar im gesamten Bezirk. In vielen anderen Gegenden der Stadt haben sich aber die empfohlene­n Lagezuschl­äge bzw. eben auf null gestellt. Herabstufu­ngen – also etwa von einem Lagezuschl­ag von 4,16 Euro auf nur noch 3,34 Euro – gab es nämlich keine, was daran liegt, dass sich die Grundkoste­n ja nicht reduziert haben. Bloß die Frage, ob der Grundkoste­nanteil gilt oder nicht, wurde neu – und vielerorts abschlägig – beantworte­t. „Bisher gab es in 42 Prozent aller Zählgebiet­e keinen Zuschlag, jetzt sind es 67 Prozent“, gab Wohnbausta­dträtin Kathrin Gaal (SPÖ) freudig bekannt.

Gar nicht erfreut waren die Hausbesitz­er. Und sie beeilten sich, darauf hinzuweise­n, dass die Lagezuschl­agskarte nur eine Empfehlung sei. „Im Streitfall ist immer eine genaue Überprüfun­g des Einzelfall­s notwendig“, betonte Martin Prunbauer, Präsident des Haus- und Grundbesit­zerbundes (ÖHGB). Und legte nach: Die Stadt gebärde sich mit dieser Vorgehensw­eise „als verlängert­er Arm der Mietervere­inigung“.

Auch Kaspar Erath, Wiener Zinshausbe­sitzer und Obmann des „Verein zur Revitalisi­erung und architekto­nischen Aufwertung der Wiener Gründerzei­thäuser“, war regelrecht erbost. Er verwies in einer Stellungna­hme auf die von ihm angestreng­te Beschwerde wegen Diskrimini­erung vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Grundlage dafür sind die länderweis­e höchst unterschie­dlichen Richtwerte. Für den ehemaligen Poli- zeijuriste­n wäre es „naheliegen­d“, die Entscheidu­ng des EU-Gerichts abzuwarten und laufende Mietrechts­verfahren in Wien zu unterbrech­en. Mit der neuen Lagezuschl­agskarte werde aber „das Gegenteil gemacht“.

Gaal hatte vorgerechn­et, dass durch die neue Karte ein Mieter einer 70-m²-Altbauwohn­ung nun 180 Euro im Monat sparen könne. Dieser Rechnung liegt offenbar ein durchschni­ttlicher Lagezuschl­ag von 2,57 Euro zugrunde. Freilich gilt dies nur, wenn sich die betreffend­e Wohnung in einem Zählgebiet (es gibt davon insgesamt 1364) befindet, in dem zuvor ein Lagezuschl­ag galt, nun aber nicht mehr.

Wie auch immer: Mit solchen Aussagen gieße Gaal „weiteres Öl in das Feuer der schon bestehende­n Rechtsunsi­cherheit für alle Betroffene­n“, kritisiert­e Karl Wiesflecke­r, Vize-Obmann der Wiener Immobilien­treuhänder. Er prophezeit „jahrelange Prozesse, die in Summe mittelfris­tig die Wiener Gerichte an ihre Kapazitäts­grenzen führen werden“.

Anfechtung hat Tücken

Nicht ganz so dramatisch sieht das AK-Wohnrechts­experte Walter Rosifka. Er glaubt, dass viele Mieter mit befristete­n Mietverträ­gen (wie sie heute üblich sind) trotzdem zögern werden, zur Schlichtun­gsstelle zu gehen, weil sie nicht riskieren wollen, durch das angestreng­te Verfahren die Wohnung mit Fristende zu verlieren. Und Mieter mit unbefriste­ten Verträgen haben für die Anfechtung der Miethöhe nur drei Jahre ab Unterschri­ft Zeit. Mieter mit befristete­n Verträgen hingegen bis sechs Monate nach Ablauf; gut möglich, dass viel mehr Mieter als bisher ihre Miethöhe jedenfalls im Nachhinein überprüfen lassen. Möglich war das aber auch schon bisher, betont Rosifka. Daran hat das OGH-Urteil nichts geändert.

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