„Nicht Ängste ausnutzen“
Kaum nominiert, hat die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner den ersten Interviewmarathon absolviert. Inhaltlich will sie keine neue Flanke aufreißen. Beim Thema Integration werde sie „nicht die Ängste ausnützen“.
Pamela Rendi-Wagner, erste Frau an der Spitze der SPÖ, spricht über ihre Pläne. Inhaltlich will sie keine neuen Flanken aufreißen.
Anfangs gab sie sich noch schweigsam: Nach der Nominierung durch das Parteipräsidium folgte eine knappe Stellungnahme. Journalistenfragen hat das Team rund um die neue SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner am vorigen Dienstagabend nicht zugelassen. Zur Erinnerung: Es war jener Tag, an dem Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) aufgrund einer „Anregung“aus seinem Haus, kritische Medien nur mit den nötigsten Informationen zu versorgen, international in den Medien war.
STANDARD: Das Wichtigste zuerst: Geht’s noch mit der Belastung? Rendi-Wagner: Ich wusste, das ist eine große Aufgabe. Ich habe auch immer klargemacht: Ich bin keine One-Woman-Show, ich kann das nur erfüllen, wenn ich ein Team in den Schlüsselpositionen habe, das ich gut kenne und dem ich vertraue. Thomas Drozda als neuer Bundesgeschäftsführer ist also keine Entscheidung gegen Max Lercher – er ist jemand, mit dem ich gut arbeite.
STANDARD: Wir spielen auf den Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig an, der sich bereits öffentlich sorgt ... Rendi-Wagner: ... was die Doppelbelastung als Klubund Parteichefin anlangt, die da im Raum steht: Ich will mich ganz bewusst stark operativ in die parlamentarische Arbeit einbringen, weil ich dem Parlament einen sehr hohen Stellenwert in der Opposition einräume. Auch hier gilt: Das ist keine Entscheidung gegen Andi Schieder.
STANDARD: Ist diese Entscheidung eine Lehre aus Ihrer Beobachtung als Mandatarin? Rendi-Wagner: Ein bisschen. Ich finde, dass die Parteizentrale und der Parlamentsklub zu einer strategischen Einheit zusammenrücken sollten. Und was die Überbelastung anlangt: Auch Michael Ludwig ist es unbenommen, gleichzeitig Landeshauptmann und Wiener Parteivorsitzender zu sein, für Hans Peter Doskozil gilt bald dasselbe.
Am Freitag dann der Interviewmarathon: dreißig Minuten pro Medium, alles eng getaktet. In einer E-Mail wird auch gleich eine Anweisung mitgeliefert, wer was wann wie bringen darf. RendiWagner, die „Neue“an der Spitze der Sozialdemokratie, empfängt der Reihe nach die Medienvertreter in der Wiener Löwelstraße – im Büro ihres Vorgängers Christian Kern, der eigentlich noch gar nicht so richtig weg ist. Die später von Kärntens Landeshauptmann und Landesparteichef Peter Kaiser in der sonntägigen Pressestunde geäußerte Hoffnung, weg von den Personalfragen und hin zum Inhaltlichen zu kommen, war da noch ungehört.
Längst hat sie mehrfach Fragen zu ihrem Verhältnis zur Wiener und steirischen SPÖ abwehren müssen, haben doch ihre ersten Personalentscheidungen für Wirbel gesorgt: Der Steirer Max Lercher musste als Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda weichen, der Wiener Andreas Schieder sei- nen Posten als Klubchef räumen. Ein Gerücht dementiert sie dabei vehement: dass sie die Klubführung nur deshalb alleine übernehme, weil sie Drozda in dieser Position nicht durchgebracht habe. Das stimme einfach nicht.
Dass eine steirische Genossin ihn als „Bobo“abkanzelte, ist der SP-Vorsitzenden herzlich egal. Sie könne mit dem Begriff „vor allem im Kontext einer Qualifikation für ein politisches Amt“wenig anfangen. Man hat fast den Eindruck, Rendi-Wagner wäre genervt von solchen Stempeln, die man ihrem Team – und indirekt natürlich auch ihr – damit aufdrücken will.
Und dann war da noch die Breitseite aus Wien: Bürgermeister Michael Ludwig hatte sich öffentlich gesorgt, ob sie die Belastung aushalten werde – ein nett verpackter Giftpfeil. In ihrer Antwort bleibt Rendi-Wagner sachlich, erklärt, warum sie sich „ganz bewusst stark operativ in die parlamentarische Arbeit einbringen will“. Und auch hier gelte: „Das ist keine Entscheidung gegen Schieder.“Ihre Erfahrung als Parlamentarierin habe sie jedenfalls gelehrt: Parteizentrale und Parlamentsklub müssten „zu einer strategischen Einheit zusammenrücken“.
Erst dann erlaubt sie sich eine kleine Spitze Richtung Wien: „Auch Michael Ludwig ist es unbenommen, gleichzeitig Landeshauptmann und Wiener Parteivorsitzender zu sein.“Wie sie künftig mit solchen Querschüssen umgehen wird, bleibt offen. Nur so viel: Sie werde sich in den kommenden Wochen stark mit den roten Ländern, Gewerkschaftern, den Frauen und den Jugendorganisationen abstimmen – „das werde ich anders machen“. Als Vorgänger Kern anscheinend.
STANDARD: Die Lehrerin Susanne Wiesinger hat in einem Buch ihre Erfahrungen in den Wiener Schulen niedergeschrieben. Ein vernichtender Befund, oder? Rendi-Wagner: Er ist auf jeden Fall ernst zu nehmen. Dabei geht es ja nicht nur um eine Einzelbeobachtung. Das Thema der Integration vor allem im Bildungsbereich ist ein sehr wesentliches.
STANDARD: Wien ist gefühlt immer schon in roter Hand. Ist das nicht ein Versagen der Sozialdemokratie in diesem Bereich? Rendi-Wagner: Ich beginne meine Zeit als Parteivorsitzende sicher nicht damit, mit dem Finger auf Leute zu zeigen, die etwas gut oder vielleicht weniger gut gemacht haben. Was vielleicht in der Vergangenheit zu kurz kam, ist die Politik des Hinschauens.
Nur keine neue Flanke aufmachen, lautet die Devise, wenn es um inhaltliche Positionierungen geht: Immer wieder erwähnt sie das rote Migrationspapier, muss sich aber die Frage gefallen lassen, worin es sich von den Positionen der Regierung unterscheide.
Wie es etwa mit einer Maschinensteuer oder einer Erbschaftssteuer aussehe? Mehr als ein „Wir werden auch dafür gemeinsam Konzepte erarbeiten“ist da nicht rauszuholen. Beim Thema Bildung müsse sie sich erst einlesen, sagt Rendi-Wagner. Was die Kritik von Lehrerin Susanne Wiesinger am Wiener Schulsystem anlangt, da befindet aber auch sie: „Das Thema der Integration, vor allem im Bildungsbereich, ist ein sehr wesentliches.“
Das ist auch der Moment, wo Persönliches plötzlich zu Politischem wird. Ob ihre Kinder eine öffentliche Schule besuchen? Nein, tun sie nicht. Die Erklärung hierfür lautet: „Ich war ein paar Jahre in Israel und musste binnen drei Monaten einen Volksschulplatz für meine Tochter finden.“Für sie sei immer klar gewesen, „dass sich Beruf und Kinder nur dann gut ausgehen, wenn sie eine Ganztagsschule besuchen“. Das Angebot habe schlicht gefehlt, sagt sie und leitet daraus ab, dringend für den Ausbau zu sorgen.
STANDARD: Die SPÖ ist in einer entscheidenden Frage zerrissen: der Asyl- und Migrationsfrage. Verfahrenszentren an der EU-Außenrenze und raschere Abschiebung von straffällig gewordenen Asylwerbern, die im SPÖMigrationspapier vorgesehen sind, will die Regierung auch. Wo ist der Unterschied? Rendi-Wagner: Für uns ist die Menschenrechtskonvention unverhandelbar. Daran halten wir fest, das sehe ich bei der Regierung nicht immer. Und wir haben auch einen klaren Schwerpunkt auf Prävention und Verhinderung der Fluchtursachen.
Standard: Spielt die strategische Überlegung, Wähler von der FPÖ zurückzugewinnen, hier eine Rolle? Rendi-Wagner: Nein, weil es ein Thema ist, bei dem wir nicht wegschauen können. Das ist unsere Realität. Und unser politischer Gegner macht damit Politik. Ich werde das nicht tun – aber ich werde dennoch hinschauen und Lösungen erarbeiten. Ich werde nicht die Ängste ausnützen.
Die Uhr tickt. Ein Letztes: Als Gesundheitsministerin habe sie den jetzigen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kennengelernt. Wie denn das Verhältnis zu ihm sei? Ein kurzes Zögern, dann formuliert Rendi-Wagner druckreif: „Wir waren Regierungskollegen. Das war ein korrektes Arbeitsverhältnis. Wir wissen, wie es ausgegangen ist.“Am Montag geht es weiter: Da steht die ZiB 2 an.