Ein Preis für maximal drei Herren
Die Vergabe der wissenschaftlichen Nobelpreise hinkt der Realität hinterher
Auch an diesem ersten Montag im Oktober beginnt ein Prozedere, das bisher so selbstverständlich schien wie die Bestätigung der Papstwahl durch weißen Rauch: Die Nobelpreise für Medizin, Physik und Chemie werden an drei aufeinanderfolgenden Tagen verkündet. Die Entscheidungsfindung ist streng geheim. Nach einem Tag Pause folgt dann der Friedensnobelpreis, am Montag darauf der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, der von der Schwedischen Reichsbank gestiftet wird und nicht im Testament Nobels vermerkt ist. Ein von ihm dagegen explizit erwünschter Preis fehlt 2018, jener für Literatur. Der Grund: Es gab Missbrauchsvorwürfe gegen den Ehemann einer Schriftstellerin, die in der für die Vergabe zuständigen Akademie saß.
So flexibel man in diesem Fall mit der Pausierung war, so einzementiert wirken die Vergabekriterien für die wichtigen wissenschaftlichen Nobelpreise: Diese Lorbeeren gehen maximal an drei Wissenschafter pro Disziplin, die allesamt Großes, das aber sicher nicht allein, geleistet haben. Wissenschaft ist heute mehr denn je Teamarbeit. Das Bild des Denkers, der in Stuben über Theorien brütet, war vielleicht noch Anfang der 1920erJahre realistisch. Heute ist es das nicht mehr. Damals gewann Albert Einstein im Alter von 42 Jahren den Nobelpreis, heute sind zahlreiche Durchbrüche erst durch Arbeit in einer größeren Gruppe von Wissenschaftern denkbar. Der Nachweis der Gravitationswellen etwa war nur so möglich. Den Physiknobelpreis 2017 haben dafür aber wieder nur drei Wissenschafter erhalten. eamarbeit ist ein gedeihliches Miteinander aller Experten, unabhängig von Herkunft und Geschlecht. Auch dabei hinkt die Vergabe der Nobelpreise der Realität hinterher. Zahlen liefern Beweise: Nur sechs Frauen erhielten Nobelpreise für Chemie und Physik. Die übrigen, mehr als hundert in jedem der beiden Fächer, gingen an ältere Herren aus dem mit Wohlstand und Bildung gesegneten Westen. Insgesamt waren nur drei Prozent der Nobel-Wissenschaftspreise in weiblichen Händen. 50 Jahre ist es zudem her, dass eine Frau den Physikpreis erhielt. Ein Missverhältnis, das sich nicht mehr begründen lässt – auch nicht durch die an Unis immer noch schwierigen Arbeitsbedingungen für Frauen.
TEine allfällige und dringende Modernisierung sollte aber natürlich nicht bei Geschlechtergerechtigkeit enden. Auch die alleinige Relevanz der Fächer Medizin, Physik und Chemie darf durchaus bezweifelt werden. Heutige Forschungshighlights kommen oft aus Entwicklungen, die Alfred Nobel logischerweise noch nicht vorhersehen konnte: Die US-amerikanische Strukturbiologin Jennifer Doudna und die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier haben beispielsweise etwa die ersten relevanten Arbeiten über die Gen-Schere CRISPR/Cas9 geschrieben. Sie wur- den schon mehrfach als Kandidatinnen für Chemie genannt. Selbstverständlich haben sie diese Leistung nicht allein, sondern gemeinsam mit Postdocs, den Erhaltern des Uni-Wissenschaftsbetriebs, erbracht.
Sollten die beiden Wissenschafterinnen den Preis jetzt erhalten, wird man erst in 50 Jahren nachlesen können, welche Argumente zur Vergabe führten. Eine Intransparenz, die in einer weltoffenen Wissenschaftswelt des 21. Jahrhunderts auch nichts verloren hat. Und die Anmutung traditionsreicher Prozesse in der katholischen Kirche nur untermauert.