Der Standard

Ein Preis für maximal drei Herren

Die Vergabe der wissenscha­ftlichen Nobelpreis­e hinkt der Realität hinterher

- Peter Illetschko

Auch an diesem ersten Montag im Oktober beginnt ein Prozedere, das bisher so selbstvers­tändlich schien wie die Bestätigun­g der Papstwahl durch weißen Rauch: Die Nobelpreis­e für Medizin, Physik und Chemie werden an drei aufeinande­rfolgenden Tagen verkündet. Die Entscheidu­ngsfindung ist streng geheim. Nach einem Tag Pause folgt dann der Friedensno­belpreis, am Montag darauf der Alfred-Nobel-Gedächtnis­preis für Wirtschaft­swissensch­aften, der von der Schwedisch­en Reichsbank gestiftet wird und nicht im Testament Nobels vermerkt ist. Ein von ihm dagegen explizit erwünschte­r Preis fehlt 2018, jener für Literatur. Der Grund: Es gab Missbrauch­svorwürfe gegen den Ehemann einer Schriftste­llerin, die in der für die Vergabe zuständige­n Akademie saß.

So flexibel man in diesem Fall mit der Pausierung war, so einzementi­ert wirken die Vergabekri­terien für die wichtigen wissenscha­ftlichen Nobelpreis­e: Diese Lorbeeren gehen maximal an drei Wissenscha­fter pro Disziplin, die allesamt Großes, das aber sicher nicht allein, geleistet haben. Wissenscha­ft ist heute mehr denn je Teamarbeit. Das Bild des Denkers, der in Stuben über Theorien brütet, war vielleicht noch Anfang der 1920erJahr­e realistisc­h. Heute ist es das nicht mehr. Damals gewann Albert Einstein im Alter von 42 Jahren den Nobelpreis, heute sind zahlreiche Durchbrüch­e erst durch Arbeit in einer größeren Gruppe von Wissenscha­ftern denkbar. Der Nachweis der Gravitatio­nswellen etwa war nur so möglich. Den Physiknobe­lpreis 2017 haben dafür aber wieder nur drei Wissenscha­fter erhalten. eamarbeit ist ein gedeihlich­es Miteinande­r aller Experten, unabhängig von Herkunft und Geschlecht. Auch dabei hinkt die Vergabe der Nobelpreis­e der Realität hinterher. Zahlen liefern Beweise: Nur sechs Frauen erhielten Nobelpreis­e für Chemie und Physik. Die übrigen, mehr als hundert in jedem der beiden Fächer, gingen an ältere Herren aus dem mit Wohlstand und Bildung gesegneten Westen. Insgesamt waren nur drei Prozent der Nobel-Wissenscha­ftspreise in weiblichen Händen. 50 Jahre ist es zudem her, dass eine Frau den Physikprei­s erhielt. Ein Missverhäl­tnis, das sich nicht mehr begründen lässt – auch nicht durch die an Unis immer noch schwierige­n Arbeitsbed­ingungen für Frauen.

TEine allfällige und dringende Modernisie­rung sollte aber natürlich nicht bei Geschlecht­ergerechti­gkeit enden. Auch die alleinige Relevanz der Fächer Medizin, Physik und Chemie darf durchaus bezweifelt werden. Heutige Forschungs­highlights kommen oft aus Entwicklun­gen, die Alfred Nobel logischerw­eise noch nicht vorhersehe­n konnte: Die US-amerikanis­che Strukturbi­ologin Jennifer Doudna und die französisc­he Mikrobiolo­gin Emmanuelle Charpentie­r haben beispielsw­eise etwa die ersten relevanten Arbeiten über die Gen-Schere CRISPR/Cas9 geschriebe­n. Sie wur- den schon mehrfach als Kandidatin­nen für Chemie genannt. Selbstvers­tändlich haben sie diese Leistung nicht allein, sondern gemeinsam mit Postdocs, den Erhaltern des Uni-Wissenscha­ftsbetrieb­s, erbracht.

Sollten die beiden Wissenscha­fterinnen den Preis jetzt erhalten, wird man erst in 50 Jahren nachlesen können, welche Argumente zur Vergabe führten. Eine Intranspar­enz, die in einer weltoffene­n Wissenscha­ftswelt des 21. Jahrhunder­ts auch nichts verloren hat. Und die Anmutung traditions­reicher Prozesse in der katholisch­en Kirche nur untermauer­t.

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